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Werbevermarkter Ströer
Litfaßsäule 2.0

Lange Zeit hat der Werbevermarkter Ströer vor allem mit dem Verkauf von Plakatflächen Geld verdient. Doch mit der Digitalisierung hat sich das Unternehmen als Medienhaus neu aufgestellt – und macht auch journalistischen Angeboten Konkurrenz.

Von Michael Borgers | 24.10.2017
    Auf einer Anzeigentafel in der Innenstadt von Berlin ist der Satz: "Braunschweig ist wieder da" zu lesen.
    Videowände gehören vielerorts zum Stadtbild. (dpa/ Ströer)
    "Drei, zwei, eins, null"
    Als T-Online.de im Sommer seine Redaktionsräume in Berlin eröffnete, war Zeit für große Worte und Gesten: Gemeinsam mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller drückte Ströer-Chef Udo Müller den symbolischen roten Knopf für den Neustart des Online-Portals. Im Interview mit Branchendienst Turi2 verkündete er dann stolz: "T-Online ist heute in der Tat die reichweitenstärkste Seite Deutschlands. Aber wir glauben, dass wir inhaltlich da noch eine Schippe drauflegen können. Deswegen haben wir Florian Harms verpflichtet."
    Florian Harms, der ehemalige Chefredakteur von Spiegel Online leitet jetzt die Redaktion von T-Online. Er rechnet beim Startschuss vor, man erreiche mehr als jeden zweiten Bürger in Deutschland. "Jetzt kommt es darauf an, diese Reichweite mit relevanten Inhalten zu füllen: mit gutem Journalismus."
    Harms will die deutsche Medienszene "aufmischen", wie er selbstbewusst verkündet. Und beweist, dass auch Journalisten griffige Werbeslogans formulieren können: "Es ist die Zeit für ein neues digitales Leitmedium."
    Werbung mit Content
    Gut drei Monate später und rund 600 Kilometer entfernt in Sürth, dem südlichsten Zipfel von Köln. Hier wurde Ströer vor fast 30 Jahren gegründet, und hier hat die Firma noch immer ihren Sitz. Das markante ovale, gläserne Gebäude mit dem langen, roten Außenflügel fällt auf in dem ehemaligen Fischerdorf. Es ist längst zu klein geworden. 300 Menschen arbeiten hier, rund 8.000 Mitarbeiter beschäftigt das börsennotierte Unternehmen insgesamt, viermal mehr als noch vor Jahren, als man die Geschäftsinteressen neu zu definieren begann.
    Der einstige Außenwerber versteht sich inzwischen als Medienhaus. Was Ströer von Springer und der ProSiebenSat1-Gruppe unterscheide – für Unternehmenssprecher Marc Sausen eigentlich nur eines:
    "Wir sind aus der reinen Werbeecke gekommen und packen jetzt Content dazu. Die anderen Unternehmen, die anderen Medienhäuser haben eben zu Content Werbung zugepackt."
    Zukauf von Online-Portalen
    Neue Inhalte, die Ströer dazu gepackt hat: Neben T-Online sind das ausschließlich sogenannte Special-Interest-Portale. Portale wie erdbeerlounge.de, eine Seite, die sich vor allem an Frauen richtet. Mit Artikeln über "Männer, die Ideen von Frauen klauen" und den "Riesen-Beauty-Hype" um eine Wundernuss – und dazwischen gewerblichen Inhalten, die sich in ihrem Layout kaum von den redaktionellen unterscheiden.
    Eine eigene Redaktion gründen will man aber nicht. Ströer kaufe erfolgreiche Marken und ändere dann so wenig wie möglich, so Marc Sausen: "Wir achten immer sehr darauf, dass das Geschäftsmodell, das wir damals gekauft haben, auch genauso weiter funktioniert, wie es funktioniert hat."
    Eine weiteres Beispiel dafür aus dem Ströer-Portfolio: Giga, ehemals Fernsehsender, heute Onlineportal, auf dem Computerspiele, Apps und Smartphones besprochen werden – und 2015 der erste redaktionelle Zukauf des Kölner Unternehmens.
    "Ist natürlich ein Portal für sehr technisch Interessierte, Technerds, und genau das ist die Zielgruppe. Und mit solch einer Zielgruppe kann man das Portal auch gut einbinden zu uns in den Konzern."
    Autorenstücke und Kolumnen
    Deshalb habe man sich für Giga entschieden, sagt Ströer-Sprecher Marc Sausen. Gut 150 Mitarbeiter beschäftige man aktuell in den verschiedenen Redaktionen, 70 alleine bei T-Online. Wo Chefredakteur Florian Harms neben Agentur-basierten Meldungen auf Autorenstücke und meinungsstarke Kolumnen setzt und hierfür bekannte Namen an Bord holte.
    Von Qualitätsjournalismus mag der Mainzer Medienökonom Björn von Rimscha insgesamt dennoch nicht sprechen. Der sei aber auch nicht erforderlich, um andere Firmen davon zu überzeugen, Werbung zu schalten. Grundsätzlich habe Ströer den richtigen Kurs eingeschlagen.
    "Insgesamt verschieben sich einfach die Werbebudgets: Je länger, je mehr ins Internet. Und von daher ist das aus Perspektive von Ströer natürlich eine sinnvolle Perspektive, dem Geld zu folgen."
    Dass die Redaktionen des Werbevermarkters deshalb Anzeigen und redaktionelle Inhalte besonders stark vermischten, findet von Rimscha nicht. Zumindest nicht mehr, als andere das täten. Dennoch stelle sich in diesem Zusammenhang eine prinzipielle Frage, die Ströer dann doch unterscheide:
    "Was ist das Primärziel der Organisation? Wenn wir einen Fernsehsender oder einen Printartikel haben, der ursprünglich aus dem Journalismus kommt und jetzt sagt, wir müssen Grenzen aufweichen vielleicht, um weiterhin Werbeerlöse zu erzielen, ist das noch mal ein anderer Ausgangspunkt, als wenn das Kerngeschäft ist, wir wollen Werbung vermarkten."