Donnerstag, 25. April 2024

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Werkschau Martha Rosler
"An der Grenze zwischen Kunst und Aktivismus"

Mit ihren feministischen Fotomontagen wurde Martha Rosler in den 1960er Jahren bekannt. Heute verzichtet die Amerikanerin auf künstlerische Doppelbödigkeit und spricht Klartext. Unter dem Titel "Martha Rosler: Irrespective" zeigt das Jewish Museum in New York nun eine Werkschau.

Von Sacha Verna | 27.12.2018
    epa04603445 US artist Martha Rosler poses during the presentation of the exhibition called 'Woeful Weapons' at the Valencia Institute of Modern Art (IVAM), in Valencia, Spain, 04 February 2015. The display, running from 05 February to 05 July, seeks to contrast Spanish artist Josep Renau's view of various conflicts with the perspective that Martha Rosler developed in relation to Vietnam and Iraq in the 1960s and in the last decade, respectively. EPA/KAI FOERSTERLING |
    Martha Rosler in der Ausstellung 'WOEFUL WEAPONS' (Kai Foersterling/ picture alliance)
    Eine junge Frau hantiert in einer Küche mit Gegenständen, die sie in alphabetischer Reihenfolge und mit übertriebenen Gesten vorstellt - von A wie "apron", der Schürze bis zu Saftpresse und Wallholz. Das sechseinhalbminütige Video von 1975 trägt den Titel "Semiotics of the kitchen", "Zeichentheorie der Küche", und die Frau darin ist Martha Rosler. Zweierlei wird in dieser satirischen Mischung aus Kochsendung und Kaufhausdemonstration deutlich: Nämlich der Humor der Protagonistin und die Tatsache, dass diese die Rolle der Frau überall sieht, nur nicht am Herd.
    Im Kern sei Martha Rosler eine Feministin, sagt Kuratorin Darsie Alexander. Wenn Alexander von "Kern" spricht, dann deshalb, weil die heute 75-jährige Rosler noch sehr viel anderes ist: Bürgerrechtlerin, Konsumkritikerin, Kriegsgegnerin und eben eine Künstlerin, deren Arbeiten nicht von ihren Anliegen zu trennen sind. "Ihr Werk bewegt sich seit je her an der Grenze zwischen Kunst und Aktivismus. Als ich sie neulich fragte, ob sie sich für eine Aktivistin halte, antwortete sie: 'Ich bin keine Aktivistin, sondern eine Organisatorin. Ich bringe Ideen, Menschen und Erfahrungen zusammen.'"
    Blondinen und blutige Kinderleichen
    Krieg und "Schöner Wohnen" zum Beispiel. In den Fotomontagen, mit denen Martha Rosler in den 1960er Jahren bekannt wurde, putzen schicke Hausfrauen prächtige Panoramafenster, hinter denen Minenopfer vorbeihumpeln. Es war die Ära des Vietnamkrieges. Diese Serie nahm Rosler nach den Invasionen der Vereinigten Staaten in Irak und Afghanistan wieder auf. Nun sind es fitnessgestählte Blondinen, die in einem modischen Wohnzimmer für Selfies posieren, während auf den Designerstühlen blutige Kinderleichen liegen. "Sie richtet ihre Aufmerksamkeit stets nach außen. An ihrem eigenen Bauchnabel ist sie nicht interessiert, auch nicht an Kunst, die sich mit formalen Aspekten beschäftigt."
    Das Thema Gentrifizierung verarbeitet Martha Rosler in einem Fotoessay, für den sie Besitzer kleiner Geschäfte, oft Immigranten, in Brooklyn interviewt hat, die von den steigenden Mietpreisen langsam vertrieben werden. Anderswo sind Auszüge aus Hannah Arendts Schriften über die Ursprünge des Totalitarismus auf durchsichtige Folien gedruckt, die von der Decke hängen wie die zweieinhalb Meter grosse Beinprothese in einer weiteren Installation, die im Sekundentakt vor sich hin kickt – die darauf abgebildeten Stöckelschuhe ein einziger Hohn.
    Donald Trump im Großformat
    Den Hashtag #MeToo sucht man in dieser Werkschau vergeblich. Nicht aber Donald Trump: Manipulierte Filmausschnitte zeigen den amerikanischen Präsidenten und seinen Vize im Rosengarten, untermalt von der Schlachthymne der Republik. Auf einem Foto verkündet Trump im Grossformat, er könne jemanden auf der Fifth Avenue erschiessen und würde trotzdem keine Wähler verlieren. Hinter ihm stehen die Namen von Dutzenden, die in den letzten Jahren unbewaffnet von der Polizei getötet worden sind.
    Diese jüngsten Arbeiten beschränken sich auf Empörung und Propaganda. Fertig lustig, scheint Martha Rosler zu sagen. Jetzt geht es nur noch überdeutlich. Das ist schade. Denn obgleich Subtilität nie Martha Roslers Stärke war, halten sich künstlerische Mittel und Botschaft in ihren frühen Arbeiten meistens die Waage, was ihnen auch heute noch einen gewissen Reiz verleiht. Vielleicht ist es einfach ein Zeichen der Zeit, dass nur noch wer hinter dem Mond lebt, nicht aus dem Gleichgewicht gerät.