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Werner Bergengruen: Schriftstellerexistenz in der Diktatur. Aufzeichnungen und Reflexionen zu Politik, Geschichte und Kultur 1940 -1963

Werner Bergengruen galt zu seiner Zeit als erfolgreicher und vielgelesener Schriftsteller. Nach dem Krieg wurde der Autor immer wieder als Beispiel für die so genannte innere Emigration kontrovers diskutiert. Bergengruen war 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden. Wie es um die Existenz eines Schriftstellers in der Diktatur bestellt war, zeichnete Bergengruen zwischen 1940 und 1963 in einem Kompendium auf.

Von Angela Gutzeit | 27.06.2005
    "Alle ihre Werke gehören eingestampft!", urteilte Thomas Mann 1945 aus dem fernen Kalifornien über die während der Nazizeit veröffentlichten Bücher seiner Schriftsteller-Kollegen, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geblieben waren. Einen von ihnen musste das großsprecherische Verdikt des Literatur-Nobelpreisträgers, der ja selbst Deutschland nur nach einiger Überzeugungsarbeit seiner Kinder verlassen hatte, ganz besonders treffen: Werner Bergengruen. Er notierte:

    "Wir Feinde des Regimes lagen sozusagen im vordersten Schützengraben. Da rief nun jede Woche einmal ein wohlweiser Generalstabsoffizier, der noch nie Pulver gerochen hatte, aus der Etappe telefonisch bei uns an, erklärte uns unsere Lage und gab Ratschläge und Verhaltensmaßregeln von einer Ahnungslosigkeit, über die jeder Frontsoldat lachte. Allein auch das war noch nicht das Ärgste. Viel schwerer wog es, dass er für uns - und er sprach doch zu uns, zu den Feinden des Regimes, nicht zu den Nationalsozialisten, die ihn ja gar nicht hörten! -, dass er für uns nicht ein Wort des Verständnisses, des Trostes, der Aufrichtung, der Aufmunterung hatte. Er hatte nichts als Vorwürfe, nichts als Beschimpfungen, im besten Falle schulmeisterhafte Belehrungen."
    Tief gekränkt zeigte sich dieser humanistisch gebildete, eher kulturpessimistisch als der Moderne zugewandte Romancier und Lyriker, der während der NS-Zeit immerhin 28 Buchtitel veröffentlichen konnte. Darunter das Buch der so genannten Inneren Emigration überhaupt: "Der Großtyrann und das Gericht" - veröffentlicht 1935 in Deutschland. 1937 wurde Bergengruen zwar aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, er erhielt aber immer wieder Sondergenehmigungen für seine Publikationen. Der in Riga geborene Autor schrieb diese Nachsicht seiner deutsch-baltischen Herkunft zu. Die 'Auslandsdeutschen’ genossen bei den Nationalsozialisten in der Tat so manche Privilegien. Der Grund mag aber auch gewesen sein, dass Bergengruens literarische Äußerungen sich stets im parabelhaften, religiös-metaphorischen Bereich bewegten.

    1940 hatte Bergengruen aufgehört zu publizieren und nur noch für die Schublade produziert. Und das Bedeutendste, was er von da an - fortgesetzt bis in die 60er Jahre - zu Papier brachte, das waren seine Reflexionen zur Politik und Geschichte, zur Kultur und Literatur seiner Zeit. Er nannte sie selbst in seiner etwas altväterlichen, dem Klassischen verbundenen Art "Compendium Bergengruenianum" und bezeichnete sie als seinen Nachlass.

    Unter dem Titel "Schriftsteller-Existenz in der Diktatur" liegen sie jetzt in Buchform vor. Angesichts eines etwa 3000-seitigen Konvoluts handelt es sich hier selbstverständlich um eine Auswahl. Dem vorzüglichen Einführungstext des Historikers Frank-Lothar Kroll kann man entnehmen, dass der Herausgeberkreis, zu dem er selbst gehört, sich insbesondere auf Bergengruens Überlegungen zu den Ursachen des Erfolgs der Nationalsozialisten in Deutschland und zur deutschen Literatur im Dritten Reich konzentrierten.

    Auch wenn also viele Notate weggefallen sind, so fällt doch auf, dass Bergengruens intensivste Schreibphase an seinem Kompendium erst 1945 einsetzte und bis etwa Ende der 50er Jahre reichte. Genau in diesem Zeitraum finden wir - lediglich nummeriert, nicht datiert - seine umfangreichsten Zeitanalysen und seine ins Essayistische erweiterten Ausführungen zur Lage der Literatur unter dem Hakenkreuz. Er schreibt also sozusagen überwiegend retrospektiv. Und der Grund für diese Rückschau liegt sicherlich nicht zuletzt im Verdikt von Thomas Mann und der sich früh andeutenden Konfrontation zwischen "Unterirdischer Literatur" - wie Bergengruen die Innere Emigration nannte - und der Exilliteratur.

    Konkret gesprochen, Bergengruen legt hier Rechenschaft ab über sein Tun und Denken zwischen 1933 und 1945. Aber vor allen Dingen ist sein Kompendium eine intellektuelle Positionsbestimmung vor und nach 1945. Er verortet sich außerhalb des NS-Regimes und außerhalb der NS-hörigen Literaturszene. Und von diesem Standort strikter Distanz aus liefert er erstaunliche Innenansichten. Dazu gehört seine Auseinandersetzung mit dem Nationalgefühl der Deutschen, das - wie er schreibt - "niemals in der Balance" gewesen sei: spätestens seit 1918 immer hin und her gerissen zwischen "würdeloser Verleugnung" und "überhitzter Gewaltsamkeit", immer weitaus mehr der Heimat und dem Stamm ergeben als dem Staat. Im Bürgertum, und hier besonders im protestantischen Bürgertum, und seiner zur Schau gestellten Wohlanständigkeit sieht der 1936 zum Katholizismus konvertierte Bergengruen die Gesinnungslosigkeit wüten und den Urgrund für "alle Scheußlichkeiten des Dritten Reiches". Über den Grund der Anziehungskraft des Nationalsozialismus auf die breite Masse notierte er 1945 eine Einschätzung, die durch die Debatte um Götz Alys Buch "Hitlers Volksstaat" derzeit etwas aus dem Blick geraten ist:

    "Der Nationalsozialismus appellierte an den uralten Kinderwunsch der Menschen, die komplexe Vieldeutigkeit des Daseins, der sie sich nicht gewachsen fühlen, gelöst und alle Erscheinungen reinlich in Gut und Böse aufgehälftet zu sehen. Er gab einem jeden mit Ausnahme der schon durch Geburt verdammten Andersrassigen die Möglichkeit, sich bei dieser Aufhälftung auf die Seite des Guten zu stellen. Das heißt, er speiste ihn mit moralischer Genugtuung, an denen gemessen die verheißenen materiellen Vorteile vielleicht gering waren."

    Bergengruen setzt sich zu dieser Zeit auch bereits intensiv mit dem Thema Kollektivschuld auseinander sowie mit den Möglichkeiten und Widrigkeiten eines internationalen Strafgerichts. Und schon früh ahnt er, welche Lasten durch die Verbrechen in der Nazizeit, die er als nie da gewesenen Zivilisationsbruch kennzeichnet, auf die kommenden Generationen zukommen werden. Beeindruckt in diesen Textstellen vor allen Dingen die analytische Schärfe und der Weitblick, so sind es in seinen Charakterisierungen der NS-Autoren und ihrer Werke vor allen Dingen sein unbestechlicher Blick und sein trockener, wohlpointierter Witz, der das Lesen zum Gewinn macht.

    Aus Dokumenten im Anhang geht hervor, dass Bergengruen nach 1945 von einigen dieser Autoren gebeten wurde, sich für sie bei den Alliierten einzusetzen. Er ist dieser Bitte fast immer nachgekommen. Nicht die Rache war ihm ein Bedürfnis, sondern Aufklärung und Differenzierung von Schuld. Dass Bergengruen, der eine jüdische Frau hatte und mehrere Kinder, Nazi-Deutschland nicht verließ, begründete er selbst in der ihm eigenen Geradlinigkeit mit der Bemerkung, er habe eine geistige Position in Deutschland nicht seinen Todfeinden überlassen wollen. Dass er völlig mittellos war und auch kein Englisch konnte, erfahren wir aus seinen Notaten, die in dieser Auswahl auf fast alles Persönliche verzichten, nicht. Manches, was ihn bedrückte, schwingt aber in seinen Aufzeichnungen mit. Zum Beispiel, dass Bergengruen in den Jahren vor seinem Tod in tiefe Resignation verfiel. Nach den Erfahrungen mit einer schwachen Demokratie während der Weimarer Republik, mit der Massenbegeisterung für den Nationalsozialismus und schließlich mit einer Nachkriegszeit, die nach seiner Meinung von mangelndem Schuld- und Geschichtsbewusstsein geprägt war, mochte er nur noch - in der Rückbesinnung auf das 19. Jahrhundert - in der Monarchie ein Bollwerk gegen Totalitarismen sehen. Die neue Zeit hat er nicht mehr verstanden.

    Angela Gutzeit besprach Werner Bergengruens "Schriftsteller-Existenz in der Diktatur", erschienen im R. Oldenbourg Verlag. 296 Seiten für 34,80 Euro.