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Werner Bergengruen vor 125 Jahren geboren
Der Glaube an die heile Welt

Werner Bergengruen war ein äußerst produktiver Schriftsteller. Neben Romanen verfasste er auch Gedichte und Kindergeschichten. Während die Werke in der Nachkriegszeit noch ein Massenpublikum fanden, gerieten sie nach seinem Tod in Vergessenheit. Heute vor 125 Jahren wurde er geboren.

Von Angela Gutzeit | 16.09.2017
    Aus Anlass seines 100. Geburtstages gab die Deutsche Bundespost 1992 eine Briefmarke heraus
    Aus Anlass seines 100. Geburtstages gab die Deutsche Bundespost 1992 eine Briefmarke heraus. Bergengruen hat Anfang der 60er Jahre oft Schulklassen besucht und über sein Werk gesprochen - und auch über das, was ihn als Autor bewegte (imago/Schöning)
    "Es ist in diesem Buch zu berichten von den Versuchungen der Mächtigen und von der Leichtverführbarkeit der Unmächtigen und Bedrohten. Es ist zu berichten von unterschiedlichen Geschehnissen in der Stadt Cassano, nämlich von der Tötung eines und von der Schuld aller Menschen."
    Dies ist der Vorspann zu einem der berühmtesten Romane der sogenannten "inneren Emigration" während der Zeit des Nationalsozialismus. "Der Großtyrann und sein Gericht" von Werner Bergengruen, erschienen 1935. Er ist gleichzeitig geradezu ein Paradebeispiel für die unterschiedliche Lesbarkeit eines ins Historische ausweichenden Werkes unter den Bedingungen einer Diktatur. Der Roman spielt zu Zeiten der italienischen Renaissance im Stadtstaat Cassano, in dem ein allmächtiger Herrscher Furcht und Schrecken verbreitet, schließlich aber Einsicht zeigt und Milde walten lässt. Im "Völkischen Beobachter" wurde das Buch als "Führer-Roman" emphatisch gelobt, während nicht wenige Zeitgenossen ihn als Schlüsselroman gegen die Diktatur gelesen haben. Beides trifft nicht den Kern des Buches. Werner Bergengruen hat das später selbst kommentiert mit der Anmerkung: Wie könne er Hitler gemeint haben, wenn doch der Großtyrann am Schluss seine Schuld einsehe?
    Die Frage der Gerechtigkeit
    Bergengruens gesamtes, sehr umfangreiches Werk, das Romane, Novellen, Erzählungen, Gedichte, Kindergeschichten, Reiseberichte, Reflexionen und Tagebuchnotizen umfasst, kreist in einem überzeitlichen Sinne immer wieder um Fragen von Recht und Gerechtigkeit, um Macht und Ohnmacht, um Schuld und drohenden Untergang. Bergengruen hat Anfang der 60er Jahre oft Schulklassen besucht und über sein Werk gesprochen - und eben auch über das, was ihn als Autor bewegte:
    "Meine Frau machte einmal so eine Bemerkung, dass doch in meinen Erzählungen so außerordentlich häufig die Situation auftritt, eine Verstrickung von Recht und Unrecht, die also scheinbar unlöslich ist und die dann oft von einem höheren Punkt aus gelöst wird. Und ich war also des Todes erstaunt. Weil, ich war noch nie auf den Gedanken gekommen, dass fast in jeder Geschichte irgendetwas ist, ich möchte sagen, wie ein mikroskopisches Abbild des Jüngsten Gerichts. Die Frage der Gerechtigkeit hat mich eigentlich mein Leben lang beschäftigt und auch beunruhigt."
    Der ständig weiterziehende und suchende Mensch
    Werner Bergengruen wurde am 16. September 1892 als Sohn eines baltendeutschen Arztes im lettischen Riga geboren. 1902 verließ die Familie das zum Zarenreich gehörende Baltikum, um ins wilhelminische Deutschland, nach Lübeck überzusiedeln. Er studierte in Marburg, München und Berlin, nahm am Ersten Weltkrieg teil und schloss sich einem baltischen Freischärler-Korps an im Kampf gegen die Rote Armee. Wie überhaupt Bergengruen dem Baltischen zeitlebens eng verbunden blieb und die schmerzliche Trennung von der Heimat in seinem Werk tiefe Spuren hinterließ. So ist auch der ständig weiterziehende und suchende Mensch in Bergengruens Werk eine zentrale Gestalt. Und immer wieder kommt sie im historischen Gewand daher.
    "Also, ich möchte Folgendes sagen: Ich habe gegen die Form des historischen Romans manche Einwände (…) Was mich anzieht, ist immer nur, ich möchte sagen, die Urbildlichkeit des Geschehens, also die Urerfahrungen des Menschen."
    Gute Kern der Menschen bleibt von allen Verbrechen verschont
    Der Lutheraner Werner Bergengruen, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, von der er sich niemals distanzierte, trat 1936 zum katholischen Glauben über. Obwohl ihn offensichtlich seine deutsch-baltische Herkunft wiewohl auch seine etwas altertümelnde, gegen alle Modernismen immune und über den Zeiten schwebende Prosa vor Verfolgung schützte, wurde er 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Aber Sondergenehmigungen erlaubten ihm doch immerhin die Veröffentlichung von 28 Buchtiteln während der Zeit des Dritten Reiches.
    Nach seinem Tod am 4. September 1964 geriet sein Werk zunehmend in Vergessenheit. Sein fast verzweifeltes Festhalten an der Überzeugung, egal, was passiert, der Grundentwurf der Welt und der gute Kern des Menschen bleiben letztendlich von allen Verbrechen und Verwerfungen verschont, wie es im Gedichtzyklus "Die heile Welt" zum Ausdruck kommt, war nachwachsenden Generationen nicht mehr vermittelbar.
    "Wisse, wenn
    in
    Schmerzensstunden
    dir das Blut vom Herzen spritzt:
    Niemand kann die Welt verwunden,
    nur die Schale wird geritzt."