Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Werner Egk - "Columbus"

Heute geht es um zwei Neuerscheinungen, die die Genres Oper und Theater zwar streifen, aber darin nicht aufgehen. Von Amerika-Reisen ist die Rede. Beide Komponisten stammen aus Bayern und haben im 20. Jahrhundert gelebt. * Musikbeispiel: Werner Egk - aus: "Columbus" Nahe am Scheitern erwächst die Vision; was der Sänger/Sprecher noch sucht, wird im orchestralen Part schon Realität - für kurze Zeit. Das Paradies, das Columbus in Kürze betritt, birgt einen Fluch und sein künftiger Ruhm ist der Vorgeschmack auf seinen Sturz. Komponist und Librettist Werner Egk, Jahrgang 1901, entwirft keine Heldengestalt. Auf die Titelfigur fällt vielmehr ein ernüchternder Blick: des Eroberers Spur, die heute noch die Geschichtsbücher füllt, ist die der Gewalt und sie bringt keiner der Figuren des Stücks ein wirkliches Glück. "Columbus", uraufgeführt im Juli 1933, ist ein Auftrag des Bayerischen Rundfunks. Seine Form verdankt es dem Medium, für das es entstand. Wie viele zeitgenössische Kompositionen für das Radio tendiert es zum Lehrstück und mischt Oratorium, Oper und Schauspiel. Egk verwendet zwei Sprecher, die die Stationen der Titelgestalt kontrovers darstellen. Der Chor, deutlich antikisiert, ist Aktionsträger und kommentiert. In erster Instanz der Titelfigur ist die Operngeste vergönnt: erblickt Columbus bei den Indios mexikanisches Gold, singt er die einzige Arie des Stücks. Auch auf dem Konzil, vor seiner Ausfahrt, beim Duett mit Königin Isabella und schließlich beim Sterbegesang, hält er die im Stück sonst unterdrückten Affekte nicht länger zurück. Auffällig sind Passagen reiner Orchestermusik: sie illustrieren, suggerieren Stimmungen, nehmen vorweg. Im Blick auf seine Hörer verwendet Orff-Schüler Egk musikalische Standards: liturgisches Material, spanische Rhythmen, Indio-Musik. Auch im Libretto greift er auf Dokumente zurück: auf historische Bordbücher, altspanische Literatur, gar auf die Annexionsurkunde von 1492. "Columbus - Bericht und Bildnis in drei Teilen" ist jedoch kein Historienspektakel, sondern eher eine historische Reportage des Falls. Autor Egk, der die NS-Zeit in Deutschland verbringt, betrachtet Figur und Werdegang des Eroberers Columbus sehr kritisch und erweist sich als skeptischer Moralist. Wichtig ist ihm nicht die Figur, sondern vielmehr das Modell: Fortschritt schlägt in sein Gegenteil um. Wer aufsteigt, stürzt schnell; der Goldrausch wandelt das Paradies in eine Hölle aus Korruption und Verbrechen. Wenn dies 1933 den in Deutschland bald herrschenden Zeitgeist beschreibt, dann ist Egks wohl gelungenste Radio-Komposition auch politisch ein überraschend mutiges Stück. Es wurde am 13. Juli 1933 im Bayerischen Rundfunk gesendet, am 13.1.1942 an den Städtischen Bühnen Frankfurt unter Franz Konwitschny szenisch gespielt. Das Tondokument, aus dem die Eingangsmusik und jetzt noch die Auswandererszene erklingen, stammt aus dem Münchener Herkulessaal. Hier wurde die Aufführung der Münchener Staatsoper im Prinzregententheater im Januar 1963 für den Rundfunk dokumentiert. Ernst Gutstein sang die Titelpartie, Fritz Wunderlich König Ferdinand, Lia Montoya Königin Isabella. Im Folgenden Ausschnitt hören Sie die Sprecher Romunald Pekny und Rolf Boysen - Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks dirigiert Werner Egk. * Musikbeispiel: Werner Egk - aus: "Columbus" Werner Egk dirigiert Werner Egk. Die historische Aufnahme seines "Columbus" vom Januar 1963 mit den Klangkörpern des Bayerischen Rundfunks ist zum 100. Geburtstag des Komponisten im Mai 2001 beim Münchener Label ORFEO erschienen.

Frank Kämpfer | 08.07.2001