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Wertpapierskepsis

In den USA lacht man über die Aktienmuffel in Deutschland. Tatsächlich liegt der Anteil der deutschen Aktionäre an den Dax-Konzernen nur bei etwa 45 Prozent. Ein möglicher Grund: In den USA gehört Geld zum Tagesgespräch - hier gilt es als Tabu.

Von Michael Braun und Dorothee Holz | 08.05.2011
    Manchmal kommt die ganz reale Welt an die Börse. Dieses Jahr stand schon ein Rennwagen auf dem Börsenparkett und warb für einen Rennstall, der seine Aktien verkaufte. Und es gab dieses Geräusch von Sperrklinken, über die der Zahnkranz eines feinen Zweirads lief. Das war beim Börsengang des Fahrradherstellers Derby Cycle.

    Finanzvorstand Uwe Bögershausen wartet auf den ersten Kurs, erzählt derweilen, dass es viel Aufwand kostete, Interessenten für seine Aktien zu finden. Selbst für solch ein greifbares Produkt wie Fahrräder hätten sich Privatanleger nur schwer interessieren lassen:

    "Es ist einfach so, dass im Moment der Privatanleger hier in Deutschland noch etwas zurückhaltend ist, vielleicht auch aufgrund negativer Erfahrungen aus der Finanzkrise. Wir freuen uns aber trotzdem, dass wir hier mit vier, fünf Prozent Privatanlegeranteil doch eine signifikante Gruppe ansprechen konnten."
    Schließlich löst sich die Spannung auf dem Parkett, der Makler ruft den ersten Kurs aus, die Fahrradbauer sind zufrieden und sie dürfen die erste Börsenglocke läuten.

    Börsenmarkler: "Erster Kurs: 13 Euro 15"

    Das war einer von sieben Börsengängen bisher in diesem Jahr. Weitere sollen kommen, Osram etwa, der Hersteller von Glühbirnen und Sparlampen aus dem Siemenskonzern. Immerhin stammen bei Derby Cycle noch die Hälfte der Investoren aus Deutschland. Bei einem weiteren Börsenkandidaten - dem kleinen Stuttgarter Softwareunternehmen RIB Software - lag der Anteil der deutschen Aktionäre gerade mal bei elf Prozent.
    Das ist keine Ausnahme. Ausländer belächeln schon den aktienmuffelnden deutschen Sparer. Mehr noch: Vor Kurzem hat ein amerikanischer Fondsmanager in der Tageszeitung International Herald Tribune kräftig über die Deutschen gelästert: Sie gäben mehr Geld für Schnittblumen aus als für ihre Aktien, das sei gut für die ausländischen Anleger. Und fast stimmt es: Der Schnittblumenumsatz liegt pro Jahr bei drei Milliarden Euro – das Netto-Geldvermögen der Deutschen in Aktien betrug dagegen im ersten Halbjahr 2010 laut Bundesbank zwei Milliarden Euro. Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut bestätigt den Abwärtstrend:
    "Wenn ich die Verkäufe der letzten zehn Jahre ansetze, hat der Fondsmanager leider eindeutig recht. Die Deutschen haben sich netto aus der Aktie zurückgezogen, haben mehr Aktien verkauft, als sie gekauft haben."

    Tatsächlich sind Ausländer bei deutschen Aktiengesellschaften derzeit so stark engagiert, wie noch nie: Lag der Anteil der deutschen Aktionäre an den großen Dax-Konzernen vor zehn Jahren bei 64,5 Prozent, so sind es aktuell noch 44,5 Prozent. Das geht aus Berechnungen des Handelsblatts hervor. Unter den ausländischen Aktionären finden sich arabische Scheichs und Staatsfonds genauso wie der legendäre US-Investor Warren Buffet. Ein Investor setzt besonders stark auf deutsche Unternehmen, der amerikanische Vermögensverwalter Blackrock, der inzwischen über diverse Fonds an allen Dax-Konzernen beteiligt ist. Das macht er nicht aus Liebe zu Deutschland, sondern aus rein geschäftlichen Erwägungen. Denn deutsche Unternehmen sind besonders gut aus der Krise gekommen. Im vergangenen Jahr haben die Dax-Konzerne laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst und Young die Gewinne im Schnitt um 66 Prozent gesteigert. Jetzt ist "Erntezeit": Jetzt fließen die Dividenden. Nach ersten Milliarden im April schütten die Unternehmen jetzt im Mai fast 16 Milliarden Euro Dividende aus. Die Aussichten auf weiteres Wachstum in diesem Jahr sind ebenfalls gut. Deutsche Aktien werden zum Verkaufsschlager meldete kürzlich Feri EuroRating Services, eine der führenden europäischen Rating-Agenturen für die Bewertung von Anlageprodukten. Nur Deutsche sind kaum dabei.
    Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, sieht vom Grundsatz her kein Problem in der hohen Ausländerrate:

    "Die meisten Unternehmen streben ja auch an, dass ihre Investoren nicht nur aus Deutschland kommen, sondern, dass ihre Investoren aus der ganzen Welt kommen. Die Unternehmen wollen sich ja auch unabhängig machen von den Launen des deutschen Investors, sie wollen auf eine stabile Investorenbasis zurückgreifen."

    Die hat sich etwa bei der Commerzbank zunehmend ins Ausland verschoben. Für die Kapitalerhöhung, die vorgestern beschlossen wurde, ist das Interesse vor allem aus Amerika und Großbritannien größer als aus dem Inland. Noch mehr sind es Industriebetriebe inzwischen gewöhnt, nicht nur die Kunden in Asien oder Amerika zu überzeugen, sondern auch die Investoren. Der Autobauer Daimler war 2009, als die Finanzkrise ihren Höhepunkt hatte und für die Autoindustrie zur Konjunkturkrise wurde, sehr erleichtert, als ein Scheich aus Abu Dhabi bereit war, Geld zu investieren. Der von ihm geleitete Staatsfonds kaufte für zwei Milliarden Euro Daimler-Aktien und zahlte gut 20 Euro für das Stück. Heute sind die Aktien mehr als doppelt so viel wert. Das Engagement der Araber hat sich für beide Seiten gelohnt. Sie wollten ihre Ölmilliarden anlegen und Daimler hatte in der Krise frisches Geld gesucht, um kleinere Modelle und neue, effizientere Antriebe zu entwickeln. Denn Daimler will sich auf dem Feld der Elektromobilität und Emissionsminderung gegenüber der Konkurrenz behaupten. Daimler hatte keine Scheu vor arabischen Investoren. Die Stuttgarter haben bereits seit 1974 Erfahrungen mit Kuwait als Aktionär – überwiegend gute. Das bestätigt auch Hans-Peter Wodniok, Auto- und Industrieanalyst der bankunabhängigen Analysefirma fairesearch:

    "Die Erfahrung mit arabischen Investoren zeigt eigentlich, dass sie eine Beteiligung eingehen, aber dem Vorstand recht freie Hand lassen. Sie sitzen dann auch üblicherweise im Aufsichtsrat, berechtigterweise auch, aber nach allem, was ich höre, von den verschiedenen Unternehmen, ob das GEA ist, oder auch Daimler ist: Eigentlich sprechen sie auch in diesen Treffen kaum und lassen wie gesagt dem Vorstand relativ freie Hand."
    So sind aber nicht alle ausländischen Geldgeber. Bei der Deutschen Börse stieg der Anteil der Ausländer am Aktienkapital seit dem Jahr 2000 von Null auf 82 Prozent. Anfangs waren aggressive Hedgefonds dabei, die die Unternehmen zu hohen Schulden zwingen wollten, um dann wiederum am Verkauf von Vermögenswerten, wie etwa Tochtergesellschaften, ein zweites Mal verdienen zu können. Auch beim Badarmaturenhersteller Grohe schienen ausländische Finanzinvestoren nur auf kurzfristige Gewinne aus zu sein, koste es, was es wolle. Hans-Peter Wodniok:

    "Wo mehrere Finanzinvestoren nacheinander drin gewesen sind, die dann zunächst mal die Schulden des Unternehmens deutlich erhöht haben, allerdings auch Kosten reduziert haben. Und jetzt der neueste Investor dafür gesorgt hat, dass man deutlich mehr Umsatz macht, und das Unternehmen steht heute hervorragend da."
    Es gibt auch sensible Branchen, in denen ausländische Investoren nicht gerne gesehen werden. Dazu gehört die Luft- und Raumfahrtindustrie, die unter besonderer politischer Beobachtung steht, weil der Staat größter Kunde im Rüstungsgeschäft ist. Ein Beispiel dafür ist der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Der Autohersteller Daimler ist mit über 20 Prozent an EADS beteiligt, würde seine Anteile aber gerne verkaufen, um den Erlös ins Autogeschäft zu stecken. Doch wer springt stattdessen ein? Um hochwertige Arbeitsplätze in einer Zukunftstechnologie im jeweiligen Land zu sichern, um Einfluss auf die Rüstungsgeschäfte zu haben, legen die Regierungen in Berlin und Paris Wert darauf, dass das Aktionärsgefüge fein austariert ist, sodass auch im Aufsichtsrat das Gleichgewicht gewahrt bleibt. Ökonomen gefällt das nicht: Markus Turnwald, Luftfahrtanalyst der DZ Bank:

    "Insgesamt ist das keine gute Mischung, wenn ein Unternehmen zwei staatlichen Herren dienen muss. Schön wäre es natürlich für alle Beteiligten, wenn der Staat – sowohl Frankreich wie auch Deutschland - sich zurückziehen würde."
    Das wird nicht der Fall sein. Aber in Deutschland ist die Suche nach einem anderen patriotischen Aktionär bisher erfolglos geblieben. Vielleicht bleibt nur ein Investor übrig: der Staat. Aus Mangel an Aktionären wurden auch schon Börsengänge abgesagt, vor allem im vergangenen Jahr: Der Flughafenbetreiber Hochtief Concessions, das Kabelunternehmen Unitymedia, der Solar- und Windenergiehersteller Scan Energy, sie alle gaben auf. Die Rolle der Börse als Kapitalgeber ist jedenfalls keine Selbstverständlichkeit in Deutschland. Aktienhändler Dirk Müller sieht in der Zurückhaltung deutscher Investoren – ob Profi oder Privatanleger – ein großes Problem für deutsche Unternehmen, sich Eigenkapital zu beschaffen:

    "Es hat extreme Nachteile für die deutschen Unternehmen, weil es zunehmend schwierig wird, Geld überhaupt an der Börse aufzunehmen, denn es gibt wenig Aktionäre, die bereit sind, dieses Geld in langfristig gute Ideen zu investieren. Man hält sich an der Börse raus."

    Der Eindruck ist nicht falsch. Auf dem Wochenmarkt direkt gegenüber der Frankfurter Börse interessiert man sich tatsächlich nur wenig für die Börsengänge und Börsenkurse. Die überwiegend ältere Kundschaft hat sich bei der Aktieneuphorie Ende der 1990-er Jahre die Finger verbrannt:

    "Wir sind grade noch ausgestiegen, wir hatten Glück."

    "Wir sind sehr vorsichtig, wir beide, wir sind einmal auf die Schnauze gefallen. Wir haben 10.000 Euro verloren, innerhalb der letzten zehn Jahre."

    "Der kleine Mann hat sowieso nichts mitzubestimmen – das sehen wir doch bei Hochtief, die Spanier bestimmen jetzt. Die haben 30 Prozent und ich mit meinen 0,0 Promille, was will ich da, da habe ich keine Chance."

    Aber auch bei jüngeren Menschen scheint das Misstrauen groß zu sein:

    "Ich bin insgesamt misstrauisch nicht nur gegenüber deutschen Unternehmen, ich hätte einfach Angst, dass das ganze Geld weg wäre."
    Die Freundin hat eine Erklärung parat:

    "Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir bei uns nicht über Geld reden. In Amerika, da treffen sich die Omas zum Stammtisch, und da wird eben auch über Aktien gesprochen, bei uns ist das nie ein Thema. Nee darüber spricht man nicht."

    In den USA ist die Aktie ein Tagesgespräch – hier stößt sie eher auf Desinteresse und Vorsicht. Zwei völlig unterschiedliche Aktienkulturen also, die man im historischen Kontext erklären muss. Denn die Abneigung, Aktien zu kaufen und zu spekulieren hat in Deutschland eine lange Tradition, war sogar politisch gewollt, erklärt Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut:

    "Die ersten negativen Äußerungen zum Thema Aktie finden wir schon nach dem Crash in der Gründerkrise 1870/73. Es gab eine Enquete-Kommission, die hat danach vorgeschlagen, den Nennwert der Aktien auf mindestens 1000 Mark festzusetzen, um den sogenannten kleinen Sparer vor der gefährlichen Aktie zu schützen. Das ist nach und nach dann aufgegeben worden mit dem Nennwert, aber diese Einstellung, dass die Aktie gefährlich sei, dass man den Anleger schützen müsse vor der Anlage in Aktien überhaupt, hat sich dann irgendwie in der Bevölkerung auch festgesetzt und wirkt irgendwo, zumindest unterschwellig, bis heute fort."
    Hinzu kommen mag die seit dem mittelalterlichen Lehenswesen verbreitete deutsche Wirtschaftskultur. Die verlangte einem abhängig Beschäftigten Dienste ab, gewährte ihm aber für seine Dienste auch "Schutz und Schirm" im Alter. Das setzte sich im Umlageverfahren in der deutschen Rentenversicherung fort. Es verlässt sich auf die Beitragskraft der arbeitsfähigen Generation, um die Rentner zu finanzieren – Selbstvorsorge auch mit Aktien und anderen Kapitalmarktprodukten ist erst mit der Riesterrente vorsichtig ins Rentensystem eingefügt worden. Zuvor gab es nur zwei Versuche, die Deutschen für Aktien zu interessieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte unter Ludwig Erhard die Bevölkerung am Produktivkapital beteiligt werden. Das gipfelte in verschiedenen Volksaktien von Preussag, Volkswagen und der Veba, die verbilligt an Privatanleger abgegeben wurden. Der Erfolg war groß, aber nicht dauerhaft: Machten 1960 Aktien knapp ein Viertel des Geldvermögens der privaten Haushalte aus, halbierte sich dieser Anteil bis 1970 und sank bis 1980 noch mals auf nur noch gut fünf Prozent. Erst Mitte der 1990-er Jahre ging es wieder leicht aufwärts.
    1996, mit dem Börsengang der Deutschen Telekom, startete der zweite Versuch, die Aktienkultur in Deutschland zu beleben. Die Telekom trat einen nie gekannten Werbefeldzug los, Promis waren dabei, wie Manfred Krug.
    Krug hat sich später entschuldigt, seine Anhänger zum Kauf dieser Aktie getrieben zu haben. Aber in der Telekom- und Internetblase am Neuen Markt glaubten viele, ganz schnell reich werden zu können – und bezahlten mit herben Verlusten, erinnert Anlegeranwalt Klaus Nieding, zugleich Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz:

    "Der Aktionär ist ja in den letzten zehn, elf Jahren mehrfach gebeutelt gewesen. Sie sprachen den 'Neuen Markt' ja bereits an. Und wir haben ja andere Dinge gesehen, die ebenso den Aktionär nachhaltig verschreckt haben. Wenn ich 17.000 Aktionäre bei der Telekom sehe, die ein Klageverfahren eingeleitet haben, wenn ich Massenklageverfahren bei Hypo Real Estate und Ähnliches sehe, dann schreckt das natürlich nachhaltig Aktionäre ab. Es schreckt Leute davon ab, ihr erspartes versteuertes Geld in Aktien zu investieren."
    Die schlechten Erfahrungen mit dem Neuen Markt wirken nach. Und es drohen weitere negative Erfahrungen, wenn die Versuche, auf den Aktienmarkt zurückzukehren, zu spät kommen und mit Verlusten enden, führt Nieding aus:

    "Der Privatanleger hat ja immer das Problem, dass er jeder Welle mit zeitlicher Verzögerung hinterherläuft. Spätestens dann, wenn die Massenmedien, wenn der Boulevard-Journalismus die Aktie wiederentdeckt, spätestens dann sollte man sehen, dass man wieder rauskommt aus der Aktie. Das macht der Privatanleger nach wie vor falsch. Er kauft oft dann, wenn die Kurse bereits sehr stark gestiegen sind. Und er verkauft meistens dann, wenn die Kurse ordentlich in den Keller gegangen sind. Da wäre mehr und längere Luft dem Privatanleger zu raten."
    Aktien sind Risikopapiere. Der Aktienkäufer beteiligt sich an einem Unternehmen. Er wird Miteigentümer. Er trägt damit Risiken und erhofft sich Chancen. Einen festen Zinssatz für seine Geldanlage wie beim Sparbuch oder bei Anleihen gibt es bei Aktien nicht. Ob Kursgewinne wachsen, ob das Unternehmen eine Dividende ausschüttet – sicher ist nichts. Das spricht nicht gegen die Aktie. Aber das erklärt, wieso es rational sein kann, als Deutscher nicht deutsche Aktien zu kaufen. Darauf verweist Professor Hartmut Kliemt, der an der Frankfurt School of Finance and Management politische Philosophie und Ökonomik lehrt:

    "Man sollte, wenn man Deutscher ist, eher im Ausland investieren tendenziell als in Deutschland, weil man mit der deutschen Wirtschaftsentwicklung als deutscher Staatsbürger ohnehin sehr stark verbunden ist. Und man sollte seine Risiken streuen. Also, man kann beklagen, dass die Deutschen zu wenig in Aktien investieren und zugleich meinen, dass die ganz vernünftig sind, nicht allzu viel in deutsche Aktien zu investieren."
    Das entscheidende Argument, die Aktie doch als Teil der Geldanlage ins Kalkül zu ziehen, ist die selbständige Vorsorge fürs Alter. Denn, wer sich auf den Staat verlasse, könne verlassen sein, meint Professor Kliemt:

    "Die Leute haben natürlich in früheren Zeiten den Eindruck gewinnen müssen, dass man sich auf den Staat in diesen Dingen verlassen kann. Und dass eigentlich die Renten so dynamisiert werden, dass man sich keine Sorgen um das Alter machen muss. Aber diese Zeiten sind vorbei. Das war ein astreines Schneeballsystem, in dem man auf die immer nächsten vertraute, dass sie zahlen würden. Und ich glaube nicht, dass ein vernünftiger Mensch heute noch darauf vertrauen kann, dass die Renten wirklich sicher sind in dieser dynamisierten Form. Also man muss private Vorsorge treffen."
    Dabei kommt man an Aktien kaum vorbei. Das Deutsche Aktieninstitut, das sich für die Deutsche Aktienkultur einsetzt und dabei natürlich auch vom eigenen Interesse geleitet ist, hat eine klare Rechnung aufgemacht. Es ergäben sich große Nachteile, wenn man seine Altersabsicherung nur an sicheren Anlagen wie deutschen Staatsanleihen ausrichte, betont Franz-Josef Leven:

    "Wenn man einfach mal davon ausgeht, dass man für Aktien im Durchschnitt zwei Prozentpunkte mehr bekommt, als für festverzinsliche Wertpapiere. Dann bedeutet das, wenn man 10.000 Euro anlegt, dass man nach 25 oder 30 Jahren mit Aktien bei Wiederanlage durch den Zinseszinseffekt etwa das Doppelte an Vermögen haben kann, als man mit festverzinslichen Papieren erreichen könnte. Und ob ich jetzt, ich sage mal grob, 55.000 Euro habe oder 110.000 Euro, macht für denjenigen, der für sein eigenes Alter gespart hat, einen riesigen Unterschied aus."

    Selbst wenn die Aktienkurse deutlich runtergehen, hat man immer noch ein Polster gegenüber den festverzinslichen Anlagen. Aber viele fürchten im Falle von Aktien den Totalverlust, also einen Crash, und halten sich deshalb zurück. Doch nur selten droht ein Totalausfall, es sei denn, ein Unternehmen wird insolvent. Ein besonders spektakuläres Beispiel war der Fall des früher renommierten amerikanischen Energiekonzerns Enron. Dieser ging vor zehn Jahren nach einer Reihe von Bilanzfälschungen mit Pauken und Trompeten pleite. Die 22.000 Mitarbeiter verloren nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihre betriebliche Altersvorsorge, die auf Enron-Aktien basierte.
    Aktien kommen allerdings nicht für jeden infrage: Menschen mit einem kleinen Vermögen sollten kein Risiko eingehen, das sie nicht tragen können. Der potenziell größte Profiteur sind Menschen mit mittlerem Einkommen, die sich damit weniger abhängig von der staatlichen Altersversorgung machen. Das Gleiche gilt für junge Berufstätige, die sich auch schon mit kleinen Beiträgen an einem Fonds beteiligen können, aber sich nach einer Studie der Postbank immer seltener für Aktienanlagen entscheiden. Eine Zurückhaltung, die vielleicht auch Folge mangelnder Wirtschaftsbildung ist, auch in den Schulen, klagt Franz-Josef Leven vom Aktieninstitut:

    "Die Wirtschaft ist unser Schicksal, hat Walter Rathenau schon gesagt. Er hatte nicht unrecht damit. Das Scheitern der Wirtschaft in der Weimarer Republik, das internationale Scheitern, hat mit zum Aufstieg des Nationalsozialismus und der Katastrophe beigetragen. Wirtschaftlich stabile Verhältnisse sind auch die Voraussetzung für politisch stabile und friedliche Verhältnisse. Deshalb sollte jeder interessiert sein, dass es der Wirtschaft gut geht. Und auch an der Wirtschaft überhaupt interessiert sein."
    Interesse und auch Kenntnis über Wirtschaft und Geldanlage sind wichtig – das haben die Erfahrungen mit dem Neuen Markt und auch die Spekulationsblasen, die schließlich zur Finanzkrise geführt haben, deutlich und auch schmerzhaft vor Augen geführt. Das bedeutet aber nicht, riskantere Anlagen wie Aktien links liegen zu lassen, gerade nicht in Zeiten, wo es der deutschen Wirtschaft gut geht. Das haben die Manager amerikanischer Pensionsfonds längst erkannt. Dem sollte der deutsche Anleger nicht nachstehen, rät Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer:

    "Er sollte seinen deutschen Unternehmen zumindest nicht weniger Beachtung schenken, als es die Ausländer tun."