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Westafrika
Politische Krise in Mali spitzt sich weiter zu

Seit Wochen gehen tausende Menschen in Malis Hauptstadt Bamako auf die Straße. Sie werfen Präsident Boubacar Keita Korruption vor und fordern seinen Rücktritt. Ein Vermittlungsversuch scheiterte – dabei kann sich der krisengeschüttelte Staat eine politische Krise nicht leisten.

Von Dunja Sadaqi | 01.08.2020
Malis Präsident Keita am 7. November 2019 mit Soldaten des Landes
Malis Präsident Keita mit Soldaten - einen Rücktritt, wie von den Demonstranten gefordert, sieht er als nicht als verhandelbar an. (AFP)
Die Fronten in Mali sind verhärtet. Der außerordentliche Krisengipfel der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, der am Montag per Videokonferenz stattgefunden hat, sollte eigentlich eine Lösung für die anhaltende politische Krise im Land finden. Stattdessen servierten die 15 westafrikanischen Staatschefs bereits vorgestellte Kompromisse - und entsandten eine Warnung an die Gegner ihrer Pläne.
Nigerias Präsident Muhammadu Buhari: "Ich fordere die Interessengruppen dazu auf, unsere Vorschläge zu berücksichtigen. Um all die Probleme zu lösen, ist es wichtig, dass alle Malier den Ruf nach einer nationalen Einheitsregierung unterstützen. Das Land zu führen wird eine Verantwortung von jedem einzelnen in Mali sein."
Seit Juni bereits demonstrieren zehntausende Malier
Die ECOWAS drohte Gegnern ihrer Pläne mit Sanktionen - wie genau die aussehen sollen, ist noch unklar. Sie forderte unter anderem den Rücktritt von 31 gewählten Abgeordneten, deren Wahl bei den Parlamentswahlen im Frühjahr für Kritik gesorgt hatte.
Der von der internationalen Gemeinschaft unterstützte ECOWAS-Plan sieht die rasche Ernennung eines neuen Verfassungsgerichts zur Beilegung des Streits über die Parlamentswahlen vor. Außerdem sollte eine Einheitsregierung unter Einbindung der Opposition und Vertretern der Protestbewegung geformt werden. Die Antwort der Vertreter der Protestbewegung kam schnell. Seit Juni bereits demonstrieren zehntausende Malier - ein Bündnis aus Zivilgesellschaft, Opposition und religiösen Führern.
Mali - Strategiewechsel im Anti-Terror-Kampf
Der Kampf gegen die Dschihadisten in Mali wird auch mit Unterstützung ausländischer Soldaten geführt. Frankreich hat gerade erst seine Truppen in der Region aufgestockt.
Chef der Jugendvertretung Ibrahim Boiny Adjawiakoye: "Für uns sind die Forderungen der ECOWAS ein Witz. Für uns war das ein Nicht-Ereignis. Wir warten darauf, dass die ECOWAS den Mut dazu hat, auf der Seite des Volkes zu stehen und nicht auf der Seite der Unterdrücker."
Die Pläne der 15 westafrikanischen Staatschefs sind nicht neu - viele davon hatte Malis Präsident Boubacar Keita bereits vor Wochen als Schlichtungsangebot der Protestbewegung vorgeschlagen. Die Regierungskritiker hatten sie bisher abgelehnt. Sie wollen, dass Keita geht, dem sie Korruption und Versagen in Sicherheitsfragen vorwerfen. Doch weder Keita noch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft sehen das als verhandelbar an.
Neben der politischen Krise auch eine Sicherheitskrise
Mali befindet sich politisch in der Sackgasse - spätestens als es bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu hunderten Verletzten und laut den Vereinten Nationen zu 14 Toten kam. Auch eine von der EU ausgebildete Spezialeinheit, die eigentlich gegen Terroristen kämpfen soll, soll scharf geschossen haben.
Die politische Krise lenke von der Sicherheitskrise ab, sagt Thomas Schiller von der Konrad Adenauer Stiftung in Malis Hauptstadt Bamako:
"Die politische Krise in Bamako lenkt eigentlich davon ab, dass die Sicherheitskrise im gesamten Sahel ja permanent weitergeht. Und diese Krise ist etwas, wo man der malischen politischen Klasse und zwar Regierung und Opposition leider sagen muss, dass sie sich etwas beeilen müssen. Es kann nicht sein, dass sich Mali jetzt permanent in dieser Sicherheitskrise auch noch eine politische Krise leistet und damit die Regierung komplett paralysiert."
Deutsche Soldaten der EUTM Mali am 07.05.2013 bei der Ausbildung der malischen Pioniere in Koulikoro (Mali).
Ausbildungsmission EUTM - auch Deutschland ist daran beteiligt (picture alliance / dpa / HF Falk Bärwald)
Seit einem Militärputsch in Mali 2012 und der kurzzeitigen Übernahme des Nordens durch Dschihadisten kommt der westafrikanische Staat nicht zur Ruhe. Die Sicherheitslage spitzt sich weiter zu, obwohl über Zehntausende internationale Soldaten vor Ort - darunter auch die Bundeswehr - für Stabilität sorgen sollen. Es kommt zu zahlreichen Toten, Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Ethnische Konflikte - Die Unsicherheit in Mali wächst
In Mali sind inzwischen 13.000 UN-Soldaten eingesetzt, doch Sicherheit scheinen sie nicht schaffen zu können: Die Angriffe der Volksgruppen aufeinander nehmen zu.
Malis Sicherheitslage ist wichtig für die Stabilität in der Region - schon längst haben sich Terror und Gewalt über Landesgrenzen hinweg ausgebreitet. Das liege zum einen an der enormen Fläche des Landes, sagt Thomas Schiller von der Konrad Adenauer Stiftung. Andererseits sei auch die Ausbildung malischer Soldaten mangelhaft - zum Beispiel durch die Europäische Ausbildungsmission EUTM, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist.
"Hier muss man ganz klar feststellen, dass Fortschritte schlicht und einfach nicht erkennbar sind. Es kann ihnen keiner verlässlich sagen, wie viele malische Soldaten es überhaupt gibt, wo die überall sind, welchen Ausbildungsstand die haben. Und auf der europäischen Seite - da hat man auch geglaubt, mit Grundkursen in infanteristischer Grundausbildung hier etwas zu machen. Nur leider - die allermeisten Trainer vor Ort sprechen kein Französisch, das muss alles übersetzt werden. Es gibt die Bundeswehr, die an der EUTM beteiligt ist. Es gibt die Rotation von vier Monaten. Also, es gibt auf europäischer Ausbildungsseite keinerlei Kontinuität."
Im Norden ist der Staat kaum sichtbar
Das andere Problem sei das Ausmaß der Gewalt in Mali - und nicht nur durch Terroristen. Bewaffnete sorgten durch blutige Überfälle auf Dörfer und Vieh für Angst und Schrecken. Gerade im Norden Malis ist der Staat so gut wie kaum sichtbar. Experten sagen schon lange, dass staatliche Strukturen gerade dort von Grund auf aufgebaut werden müsste. Und das sei der Knackpunkt, sagt Thomas Schiller.
"Die größte Gefahr für Mali wäre, wenn der Kochtopf sozusagen immer weiter auf dem Feuer stünde. Mali braucht eine Regierung, die die essenziellen Probleme dieses Landes angeht. Wir haben aktuell keinen Minister für Erziehung, wir haben aktuell keinen Minister für Landwirtschaft und für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenhalt und so weiter. Das heißt, beide Seiten, die Regierung, die Opposition, die internationale Gemeinschaft, ECOWAS an der Spitze bis hin zum malischen Bürger auf der Straße - alle haben ein Interesse daran, dass es möglichst schnell zu einem Kompromiss kommt."
Bis zum Ende des muslimischen Opferfest am 03. August haben die Vertreter der malischen Protestbewegung erst einmal zu einer Ruhepause auf den Straßen aufgerufen. Dann wollen sie eigentlich wieder demonstrieren.