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Westbalkan-Gipfel
Annäherung an die EU stockt

Wie realistisch ist ein baldiger EU-Beitritt der Balkanländer? Darum geht es auf dem Westbalkan-Gipfel in Triest. Das Problem: Viele der betroffenen Länder glauben dem Beitrittsversprechen nicht mehr. Doch der EU fehlt ein Konzept für die Region – das hat gravierende Folgen.

Von Ralf Borchard | 12.07.2017
    Mitarbeiter des Auswärtigen Amts mühen sich am 28.08.2014 bei der Westbalkan-Konferenz in Berlin vor dem Gruppenbild der Außenminister mit den wehenden Fahnen, die umzukippen drohen.
    Instabile Kandidaten? Die Fahnen der Westbalkan-Länder schwanken in Berlin, wo die Bundesregierung 2014 die Serie der Balkan-Konferenzen angestoßen hatte. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Immerhin: Dass auch Angela Merkel nach Triest kommt, ist für die Westbalkanländer ein Hoffnungszeichen. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste EU-Land und überall auf dem Balkan gilt: Ohne die Kanzlerin geht nichts. Merkel hatte 2014 den ersten Westbalkangipfel initiiert und schon damals versprochen:
    "Alle Staaten haben eine europäische Beitrittsperspektive. Das heißt, eines Tages wird der Prozess enden in einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union."
    Balkanländer wenden sich Russland zu
    Das Problem ist: Viele in den betroffenen Ländern glauben dem Beitrittsversprechen nicht mehr. Sie sehen, dass die EU beitrittsmüde ist, mit dem Brexit und der Uneinigkeit in der Flüchtlingspolitik kämpft. Selbst die Länder, die bereits Beitrittsverhandlungen führen, wie Serbien und Montenegro, haben den Eindruck: Die EU bleibt fern. So droht etwa der starke Mann Serbiens, Aleksandar Vučić gern damit: wenn es mit der EU nicht weitergeht, wenden wir uns eben wieder Russland zu.
    "Ja, wir wollen in die EU, das ist unser strategisches Ziel", so Vučić. "Aber wir hintergehen auch nicht unsere traditionellen russischen Freunde und sind das einzige Land in Europa, das keine Sanktionen gegen Russland eingeführt hat und sie auch nicht einführen wird."
    Vučić, lange Regierungschef, inzwischen Präsident, kommt selbst nicht nach Triest. Er schickt die neue, serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabić. Dabei gilt Serbien als Schlüsselland für die ganze Region. Wenn die Integration des Westbalkans in die EU gelingen soll, muss auch Serbien eines Tags Mitglied werden. Gleichzeitig ist Serbien Problemfaktor, etwa weil das Verhältnis zum Kosovo nach wie vor ungeklärt ist. Florian Bieber, Südosteuropa-Experte an der Universität Graz, betont: Ja, der Einfluss Russlands, auch der Türkei und Chinas auf dem Balkan wächst, doch das mit Abstand meiste Geld für die Region kommt aus der EU, Europa bleibt für die meisten Menschen der Hoffnungsanker:
    "Niemand will China oder Russland. Das sind keine Alternativen. Das sind Ergänzungen oder auch Ersatzstücke, die irgendwie hereingebracht werden, weil sie jetzt im Moment vorhanden sind und die EU so schwach ist. Ich glaube, die Vorstellung geht immer noch in die Richtung, wir wollen so leben wie in Österreich, oder in Italien, oder in Deutschland. Das ist das Modell. Das ist auch der persönliche Bezugspunkt der Menschen."
    EU-"Marshallplan" für den Balkan: eine Mogelpackung?
    Allerdings fehlt der EU nach Biebers Worten ein wirkliches Konzept. An eine Vollmitgliedschaft Serbiens oder Montenegros, Mazedoniens oder Albaniens, geschweige denn Bosniens oder des Kosovo in den nächsten Jahren glaubt auch er nicht. Zu autoritär der Regierungsstil, zu verbreitet die Korruption, zu schwach demokratische Mindeststandards wie die Medienfreiheit. Und vieles, was in Triest im Mittelpunkt stehen soll - verstärkter Jugendaustausch, mehr Wirtschaftskooperation der Westbalkanländer untereinander - ist nicht wirklich neu. Dass längst zugesagte Hilfsgelder nun erneut als "Marshallplan" für den Balkan tituliert werden, ist für Bieber eine Täuschung:
    "Also dieses Gespräch von dem Marshallplan habe ich eigentlich schon ziemlich leid. Weil das ist schon – also der wievielte Marshallplan für den Balkan? Das wiederholt sich immer wieder und im Endeffekt schafft es mehr Enttäuschung, als es eigentlich hilft. Denn das ist so ein bisschen eine Mogelpackung, dass man also immer versucht, wenn man ein bisschen Geld zusammenschnürt, das als Marshallplan zu verkaufen."
    Beitrittsprozess: EU muss kreativer werden
    Der Politikwissenschaftler rät der EU zu einem Stufenplan. Um der Gefahr einer neuen Abwärtsspirale, sogar neuer Konflikte auf dem Balkan entgegenzuwirken, müsse man über Vorstufen einer EU-Vollmitgliedschaft nachdenken. Motto: erst die wirtschaftliche, dann die politische Integration, mit greifbaren Zwischenschritten, die die Hoffnung der Menschen in den Ländern aufrechterhalten:
    "Also da gibt es, glaube ich, viele Möglichkeiten, die man sich überlegen könnte, wo glaube ich auch die EU ein bisschen wieder kreativer sein könnte und sagen könnte, es gibt verschiedene Stufen der Mitgliedschaft. Jetzt gibt es mal eine, die absehbar möglich ist und dann die nächste kommt dann später erst."