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Westbalkan
"Hier herrscht Elend"

Im laufenden Jahr stammten rund 45 Prozent der Asylanträge aus Albanien, Kosovo und Montenegro. Deutschland will diese Staaten nun zu "sicheren Herkunftsländern" erklären, damit Asylbewerber aus diesen Ländern einfacher zurückgeschickt werden können. Doch was erwartet sie?

Von Karla Engelhard | 27.08.2015
    Ältere Menschen sitzen in einem Armenhaus in Tirana.
    Ein Armenhaus in Albaniens Hauptstadt Tirana. Eine knappe Mehrheit der 2,8 Millionen Albanerinnen und Albaner lebt in der Stadt. (picture alliance / dpa / Armando Babani)
    Autos sind auf dem Balkan Statussymbol. Vor allem deutsche Wagen stehen hoch im Kurs. Auf den Straßen von Tirana scheint die Mercedes-Dichte besonders hoch, alte, aber auch teure S-Klasse-Modelle. Vor allem Auslandsalbaner demonstrieren so: Wir haben es geschafft. Rund eine Million Albaner leben im Ausland, vor allem in Griechenland, Italien und Deutschland. In den stets gut besuchten Cafés der albanischen Hauptstadt sitzen junge Männer und halten sich an einem Espresso für umgerechnet einen Euro fest und rauchen billige Zigaretten. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 50 Prozent, auch unter den gut Ausgebildeten.
    Leijla Lili hatte Glück, über Beziehungen bekam die studierte Politikwissenschaftlerin einen Job im Rathaus, doch viele ihrer Freunde sind weggegangen: "Alles geht um Geld und Arbeit, deswegen möchten die Leute von Albanien weggehen. Deutschland ist das Traumland. Albanische Menschen arbeiten sehr, in verschiedenen Berufen und ich denke, dass sie in Deutschland eine sichere Arbeit finden und einen guten Platz, Kinder zu erziehen."
    Durchschnittsalter: 30 Jahre
    Eine knappe Mehrheit der 2,8 Millionen Albanerinnen und Albaner lebt in der Stadt. Das Durchschnittsalter liegt bei nur 30 Jahren, in Deutschland bei 45. In den albanischen Bergdörfern ist die Situation fast aussichtslos, viele Kinder, keine Arbeit, keine Perspektive. Da locken schon die 130 Euro im Asylheim in Deutschland, auch wenn danach die Abschiebung droht. Auch im Nachbarland Montenegro sieht es nicht anders aus. Admir Bektasevic aus Bijelo Polje im Norden Montenegros erzählt: "Wenn man aus der Hauptstadt Podgorica in den Norden kommt, ist es, als würde man in ein Loch fallen. Nichts tut sich, keine Arbeit. Die jungen Menschen, aber auch Familienväter sind arbeitslos. Das ist wirklich eine Katastrophe. Hier herrscht Elend."
    Er selbst ist mit seiner Frau und zwei Kindern nach Deutschland gegangen, drei Monate haben sie in Braunschweig gelebt, bis sie schließlich abgeschoben wurden, denn Armut ist kein Asylgrund: "Nur Menschen aus einem Staat, in dem Krieg geführt wird, können Asyl bekommen, niemand sonst, das verstehe ich. Die Deutschen können uns nur wenig helfen, aber das, was sie gemacht haben, ist für uns gut. Ich, meine Ehefrau und zwei Kinder, haben 992 Euro monatlich bekommen. An jedem 29. erhielten wir dieses Einkommen."
    Kosovo am Tropf internationaler Organisationen
    Davon leben sie in Montenegro noch heute. Die ehemalige serbische Provinz Kosovo ist die am dichtesten besiedelte Region auf dem Balkan und war noch nie in der Lage, sich selbst zu tragen. Heute hängt der selbsternannte unabhängige Staat Kosovo am Tropf internationaler Organisationen, als Währung gilt der Euro und es gibt keine nennenswerte eigene Wirtschaft. Dafür viele gut ausgebildete junge Leute. Jährlich drängen 50.000 Schul- und Hochschulabsolventen auf einen kaum vorhandenen Arbeitsmarkt. Praktisch jeder Taxifahrer spricht Deutsch oder gepflegtes Englisch. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 70 Prozent. Allein für die Kosovaren herrscht Visumspflicht in der EU. Kosovaren zahlen bis zu 100 Euro, um ein Visum zu bekommen, oder reisen illegal. Ein junger Kosovare aus Pristina meint: "Illegale Immigration ist sinnlos. Ich glaube aber, dass unsere Regierung gemeinsam mit den EU-Mitgliedsländern Möglichkeiten für legale Migration ermöglichen sollte, zum Studieren oder Arbeiten. Es ist Unrecht, wir jungen Kosovaren sind als einzige isoliert. Wir können uns nicht frei bewegen, wenn wir es könnten, würde alle profitieren."
    Immigration hat gerade unter jungen Männern im Kosovo, in Albanien und auch in Montenegro eine lange Tradition hat. Es war schon immer so, dass viele weggegangen sind und dass die Familien dann von dem lebten, was sie nach Hause geschickt haben. Davon könnte auch Deutschland profitieren.