Donnerstag, 25. April 2024

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Westdeutsche Militärspionage in der DDR

Nach der Wende war das Erschrecken groß: Die Akten der Stasi offenbarten nach und nach, wie stark der Ost-Geheimdienst die westdeutsche Gesellschaft ausspioniert hatte. Bis heute erscheint die Agentenarbeit der DDR als besonders erfolgreich - und die Arbeit der West-Geheimdienste als besonders schlecht. Nun ist ein Buch erschienen, das ein ganz anderes Licht auf die bundesrepublikanischen Nachrichtendienste wirft. Es heißt: "BND contra Sowjetarmee" und zeigt, dass auch der Westen erfolgreich spionierte - vor allem im Militäralltag der DDR. Jens Rosbach ist unser Kritiker.

Moderation: Jasper Barenberg | 05.11.2007
    Es ging um Krieg und Frieden. Genauer: um die Bedrohung durch die sowjetischen Streitkräfte, um Militärobjekte der Roten Armee in der DDR. Der Bundesnachrichtendienst wollte das Gefahrenpotential abschätzen und ließ - während der deutschen Teilung - mehr als 10.000 Ost-Bürger für sich spionieren. Mit Erfolg.

    Armin Wagner: "Nach unseren Forschungen, die sich beziehen auf die Ausspähung vor allem der sowjetischen Truppen in der DDR - am Rande auch die Ausspionierung der Nationalen Volksarmee - kann man sagen, dass dem Bundesnachrichtendienst hier ein komplexes Lagebild gelungen ist über Truppenbewegungen, über die Art der Truppen, die in der DDR stationiert waren, und über deren Möglichkeiten."
    Der Hamburger Militärhistoriker Armin Wagner hat - zusammen mit dem Zeithistoriker Matthias Uhl - eine erste Studie über das brisante Thema veröffentlicht. Sie fußt sowohl auf Stasi-Akten als auch auf bislang geheimen West-Karteien.

    "Das Besondere an dem Buch ist sicherlich, dass wir zum ersten Mal in der Lage waren, mit freigegebenen Akten des Bundesnachrichtendienstes, die inzwischen im Bundesarchiv in Koblenz liegen, zu arbeiten."

    Militärischer Lagebericht Ost, 1975. Die sowjetischen Kampfdivisionen sind unvermindert zu zirka zwei Drittel auf das Gebiet des KRIEGSSCHAUPLATZES EUROPA und dort zu zirka 55 Prozent auf MITTEL-EUROPA als SCHAUPLATZ VON KRIEGSHANDLUNGEN eingesetzt.
    Das Buch beschreibt detailliert und anhand zahlreicher Originaldokumente, mit welchen Methoden die Sowjets ausgekundschaftet wurden. Wissenschaftler Uhl, der am Deutschen Historischen Institut in Moskau arbeitet, beschreibt den typischen BND-Spion:

    "Es gibt also den klassischen Standortbeobachter. Das ist also eine Person, die in der Nähe einer sowjetischen Garnison wohnt, dort guckt, wie viel Lichter gehen in der Kaserne an, was ist für ein Ausbildungsbetrieb. Und dann gibt es die so genannten Innenquellen, das sind halt Personen, die zum Großteil als Zivilbeschäftigte, also als Elektriker, Wäscherinnen, Köche Zugang zu solchen sowjetischen Einrichtungen hatten und dann bestimmte Besonderheiten an ihre jeweiligen Führungsoffiziere meldeten."
    Warum ließen sich die Ostdeutschen darauf ein, erst für die Organisation Gehlen - den Vorläufer des BND - und dann für den Bundesnachrichtendienst sowjetische Militärgeheimnisse auszuspionieren?

    Wagner: "Das beginnt, das muss man ganz klar sagen, Ende der 40er Jahre sicherlich mit einem gehörigen Schuss Antikommunismus, wie auch immer der motiviert war. Aus einem antitotalitären Grundkonsens oder aus einer noch vorhandenen nationalsozialistischen Überzeugung - da ist alles denkbar. Das geht weiter über ein bisschen Abenteuerlust, das geht sicherlich auch hin zu finanziellen Aspekten, die ich aber nicht im Vordergrund sehen würde, denn reich werden konnte man damit nicht."
    Vor dem Mauerbau konnte der BND seine Quellen einfach in Westberlin treffen, nach dem Mauerbau wurden die Spionagenachrichten über die Grenze gefunkt oder mit Geheimtinte aufgeschrieben und verschickt.

    Uhl: "Also hier gab es einen vorgefertigten Brieftext, und dazwischen wurde dann mit einer unsichtbaren Tinte die entsprechende nachrichtendienstliche Meldung geschickt. Zum Beispiel: Viele Grüße sendet Dir Oma Erna, alles Gute zum Geburtstag! Und dazwischen wurde dann halt geschrieben, das 23. Panzer-Bataillon hat von A nach B verlegt."

    Autor Armin Wagner vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik berichtet, dass mit den Reiseerleichterungen in den 70er Jahren auch verstärkt westdeutsche Transit-Spione eingesetzt wurden. Die Spionageabwehr der Stasi war jedoch alarmiert. Immer wieder gelang es ihr, West- und Ostdeutsche BND-Agenten zu fassen. Durch Observation, Rasterfahndung, Abhörmaßnahmen und eigene Spitzel im Westen.

    Wagner: "Die Gefahr war erheblich. Es wurden viele Hundert verhaftet und mit hohen Gefängnisstrafen und Anfang der 50er Jahre auch mit Todesstrafe belegt. Das Risiko war auf jeden Fall hoch."

    Laut dem Buch gelang es dem BND nur in Ausnahmefällen, in die sowjetische Militärführung einzudringen oder Atomwaffen-Standorte in der DDR zu erkunden. Dennoch habe der West-Geheimdienst durch aufwändige Puzzlearbeit ein genaues militärisches Lagebild erstellen können. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass dieses Bild letztlich zur Friedenssicherung beigetragen hat. So habe etwa verhindert werden können, dass einfache Manöver der Roten Armee als Kriegsvorbereitung fehlinterpretiert wurden. Der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck, der das Spionagebuch kürzlich in Berlin vorstellte, bestätigt die Bedeutung des Agenten-Materials.

    Hans-Georg Wieck: "Die Hauptaufgabe der NATO bestand darin, eine Früherkennung eines militärischen Angriffs zu erreichen, nämlich acht Tage vor Beginn des Angriffs. Und für diese Früherkennung war dieses Material unverzichtbar."
    Eine ganz andere Bilanz ziehen die ehemaligen Gegenspieler. Etwa Wolfgang Ebert, der einst für die Militärspionage der DDR gearbeitet hat. Der Veteran schimpfte nach der Buchvorstellung, die Experten hätten die Arbeit des BND im Osten schöngeredet.

    Wolfgang Ebert: "Was hier heute abgegangen ist, das war Märchenerzählerei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die so erfolgreich waren, wie das hier dargestellt, das glaube ich einfach nicht."
    Tatsächlich weist die Studie einen entscheidenden Schwachpunkt auf: Sie zieht keine Schlussfolgerungen aus der Tatsache, dass die meisten BND-Spione Doppelagenten waren - und auch vom Ministerium für Staatssicherheit geführt wurden.

    Heute kann davon ausgegangen werden, dass über 90 Prozent der BND-Innenquellen in der DDR in den 70er und 80er Jahren auch dem MfS dienten.
    Die Autoren des Buches greifen diese offiziell vom BND bestätigte Bilanz zwar auf, beleuchten aber nicht die Konsequenzen. So bleiben viele Fragen offen: Inwieweit hat die Stasi dem Westen die angeblichen Militärgeheimnisse nur untergeschoben? Saß der Ost-Geheimdienst vielleicht doch am längeren Hebel? Wie aussagekräftig sind also die Unterlagen über die "Erfolge" des BND? In Rechnung gestellt werden muss allerdings, dass den Wissenschaftlern bislang nur ein kleiner Aktenausschnitt aus den Beständen des Bundesnachrichtendienstes zur Verfügung stand. Wissenschaftler Armin Wagner hofft aber auf weitere Geheimpapiere.

    "Also der Appell kann nur sein, die Akten möglichst schnell zu öffnen - unter Berücksichtigung des Quellenschutzes und des Methodenschutzes."
    "BND contra Sowjetarmee" ist kein Spionageroman, sondern ein wissenschaftliches Werk mit zahlreichen Fußnoten, Statistiken und Abkürzungen. Ein Lesegenuss ist es nur für Fachleute: für Ost-West-Forscher, Militärhistoriker und natürlich Insider - sprich: Spione.

    Nachtlektüre für Agenten: Jens Rosbach über die Studie von Matthias Uhl und Armin Wagner mit dem Titel "BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR", erschienen im Christoph Links Verlag, 260 Seiten kosten Euro 24,90.