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Westerwelle "ist ein Minister auf Abruf"

Während das Parteipräsidium der Liberalen Außenminister Westerwelle noch den Rücken stärkt, wird der frühere Innenminister Baum deutlicher: Westerwelles Ära sei schon nach der Enthaltung beim Libyen-Einsatz im Januar "zu Ende" gewesen - der Außenminister habe "Realitätsverluste".

29.08.2011
    Peter Kapern: Wenn der so eloquente Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, seine Pressekonferenz abbläst, dann weiß man, wie prekär die Lage seiner Partei ist. Lindner wollte, so die Interpretationen in Berlin, unangenehmen Fragen nach der Zukunft von Bundesaußenminister Guido Westerwelle aus dem Weg gehen. Der hatte bis zum Wochenende unverdrossen an seiner These festgehalten, nicht die NATO, sondern seine Sanktionen hätten Gaddafi gestürzt. So zum Beispiel auch vor knapp einer Woche hier im Deutschlandfunk:

    O-Ton Guido Westerwelle: "Wir haben uns mit eigenen Kampftruppen als Deutsche nicht an dem Krieg in Libyen beteiligt - diese Entscheidung war auch richtig -, sondern wir haben auf die internationale Isolierung gesetzt, auf vor allen Dingen die politischen und wirtschaftlichen Sanktionen, und diese Sanktionspolitik war augenscheinlich erfolgreich, denn sie hat das Regime Gaddafi nicht nur isoliert, sondern ihm auch die Nachschubmöglichkeiten abgeschnitten."

    Kapern: Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor einer knappen Woche hier im Deutschlandfunk. In der Welt am Sonntag rang er sich dann gestern immerhin das Eingeständnis ab, auch der internationale Militäreinsatz habe zum Sturz Gaddafis beigetragen. Ohne diesen Satz wäre er jetzt vielleicht nicht mehr Minister. Heute legte Westerwelle zur Sicherheit noch einmal nach.
    Bei uns am Telefon nun der frühere Innenminister Gerhart Rudolf Baum von der FDP. Guten Tag!

    Gerhart Rudolf Baum: Guten Tag!

    Kapern: Herr Baum, wenn der Generalsekretär der FDP eine Pressekonferenz absagt, um Fragen über Guido Westerwelle und dessen Zukunft aus dem Weg zu gehen, was besagt das über die Situation, in der sich Partei und Minister befinden?

    Baum: Die Position ist ungeklärt. Westerwelle ist geschwächt, er ist ein Minister auf Bewährung, wird gesagt. Ich bin der Meinung, er ist ein Minister auf Abruf. Es ist ja nicht diese Erklärung jetzt am Wochenende, die ihn wieder herausgeholt hat aus dem Tief; die ist ja auch immerhin sehr schwach. Es ist einfach so, dass der Westerwelle zu einer Belastung der FDP geworden ist, und zwar nicht erst seit heute. Schon Anfang des Jahres, als die neue Führungsspitze sichtbar wurde, habe ich gesagt, die Ära Westerwelle ist zu Ende und sie kann glaubwürdig nur zu Ende gehen, wenn er auch nicht mehr Außenminister ist. Er hat keinen Amtsbonus, er ist mitverantwortlich für den Vertrauensverlust der FDP, einer Partei in einer tiefen Existenzkrise. Also das alles verdichtet sich jetzt. Die jungen Leute an der Spitze der FDP haben damals nicht den Mut gehabt, das zu tun, aber ich bin überzeugt, sie kommen daran nicht vorbei. Denn diese Fehlentscheidung der Enthaltung – übrigens haben auch Oppositionspolitiker sich da wankelmütig verhalten, wenn ich jetzt Frau Nahles höre -, diese Fehlentscheidung ist eine wirklich gravierende Fehlentscheidung deutscher Außenpolitik, gegen die Bündnistreue, gegen die Freiheitskämpfer in Nordafrika, gegen die UNO mit ihrem Prinzip, neuen Prinzip der Übernahme von Verantwortung gegen Menschenrechtsverletzungen. Also das hätte eigentlich schon gereicht, aber seine Rolle jetzt, wie er sich die Wirklichkeit zurecht biegt, kommt noch hinzu. Keine Bodentruppen, keine Truppen nach Libyen schicken, sagt er, ich habe es abgelehnt; ja wer hat denn Bodentruppen nach Libyen geschickt? – Niemand! Das war ja überhaupt nicht das Thema. Also er hat hier vollkommen versagt und im Grunde gibt es nur einen Neuanfang mit einer werteorientierten liberalen Außenpolitik, mit einem neuen Außenminister.

    Kapern: Herr Baum, lassen Sie uns doch mal versuchen, das zu erklären, was so schwer verständlich ist. Wie kann es sein, dass der Außenminister etwas, das so augenscheinlich ist, nämlich dass die NATO das Ende Gaddafis herbeigeführt hat durch ihre Luftangriffe, dass er dies eine Woche lang nicht zur Kenntnis nehmen will?

    Baum: Ja, er wollte recht behalten. Er wollte nicht sagen, die Befürchtungen, die ich hatte, sind nicht eingetreten. Er wollte recht behalten und hat sich die Realität zurechtgebogen, und das ist ein ganz gefährlicher Vorgang. Er hat Realitätsverluste. Ich meine, wie kann man so was sagen? – Im Grunde geht es ja darum, jetzt das Vertrauen unserer Bündnispartner wiederzugewinnen. Natürlich gibt es neue Kraftfelder in der Außenpolitik: China, Indien, Brasilien. Aber das heißt doch nicht, dass wir die bewährte Bündnispolitik, die auf Werten beruht, auf dem Freiheitswert, dass wir die schwächen und aufgeben. Es ist im Grunde so, dass ein Neuanfang nur mit einem neuen Minister möglich ist, und das habe ich schon im Februar und im März gesagt. Also für mich ist das nichts Neues.

    Kapern: Herr Baum, wenn Sie sagen, Guido Westerwelle habe Realitätsverluste, muss man dann nicht unterstellen, dass er tagtäglich eigentlich den deutschen Interessen in der Welt schadet?

    Baum: Na, na, gut, das wird man - - Jedenfalls wird er kein großes Gewicht haben, die deutschen Interessen wahrzunehmen. Herr Rösler, der neue Parteivorsitzende, hat jetzt wirklich Führungsstärke bewiesen. Er hat ihn ja beschworen, von diesem Kurs Abstand zu nehmen, und es ist zunächst überhaupt nicht gelungen, und dann musste der Parteivorsitzende selber etwas sagen. Das ist doch im Grunde eine Situation, die unerträglich ist. Der Parteivorsitzende musste den zuständigen Ressortminister öffentlich korrigieren, weil er das selber nicht tut. Alles dies zeigt mir, dass auch das Vertrauensverhältnis zwischen der neuen Führungsspitze und Westerwelle nicht mehr besteht.

    Kapern: Könnte es nicht auch umgekehrt sein, Herr Baum, dass Westerwelle völlig zu Unrecht geprügelt wird, oder zumindest zum Teil zu Unrecht geprügelt wird, weil es war ja die gesamte Regierung, die die Nichtbeteiligung am Libyen-Einsatz beschlossen hat?

    Baum: Ja. Die Regierung muss man mitprügeln, das ist schon richtig, aber die Interpretation, die Westerwelle jetzt gegeben hat mit dem Festhalten an der falschen Entscheidung, das ist allein seine Verantwortung. Also es gibt zwei Verantwortungsbereiche, die Enthaltung selbst und dann die Interpretation der Lage heute mit diesem lächerlichen Argument, die Sanktionen hätten das bewirkt. Das bevorstehende Massaker in Bengasi ist doch nicht durch Sanktionen verhindert worden, sondern dadurch, dass man die syrische Luftwaffe beispielsweise ausgeschaltet hat. Das ist allein seine Interpretation. Das hat sonst niemand gemacht, niemand aus der Regierung.

    Kapern: Könnten nicht die Recht behalten, die sagen, wir sollten ihm noch eine Chance geben? Könnte er sich da aus diesem Tief wieder herausarbeiten?

    Baum: Ich meine nein. Unabhängig von dieser Libyen-Entscheidung habe ich ja schon im Februar/März gesagt, glaubwürdiger Neuanfang einer in ihrer Existenz bedrohten Partei ist nur möglich, bei allen Verdiensten, die Westerwelle hat, indem die Ära Westerwelle sichtbar zu Ende geht, auch dadurch, dass er nicht mehr Außenminister ist. Eine Firma, die Gefahr läuft, insolvent zu gehen, muss eben zu harten Maßnahmen greifen, und das ist jetzt hier auch überfällig. Über kurz oder lang wird das geschehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die FDP mit Westerwelle in den Bundestagswahlkampf 2013 geht.

    Kapern: Gerhart Rudolf Baum, der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Baum, danke für das Interview. Auf Wiederhören!

    Baum: Auf Wiederhören.

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