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Westsahara-Konflikt
Neuer Anlauf unter schwierigen Voraussetzungen

Nach sechs Jahren war es dem UN-Sondergesandten in der Westsahara-Krise, Horst Köhler, gelungen, die Konfliktparteien in Genf an einen Tisch zu bringen. Die Forderung der Polisario-Front, einen Volksentscheid über Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zu erlauben, lehnte Marokko ab.

Von Marc Engelhard | 08.12.2018
    Altbundespräsident Köhler steht an einem Rednerpult und spricht.
    Altbundespräsident Köhler vermittelt im Westsahara-Konflikt. (FABRICE COFFRINI / AFP)
    Rufer in der Wüste: Als der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Frühjahr 2016 Tindouf besucht, empfangen ihn die Sahrauis mit Wutgeschrei. Mehr als 200.000 Bewohner der Westsahara harren seit Jahrzehnten in dem Lager im Süden Algeriens aus. Mehr als 40 Jahre, nachdem die Frente Polisario den bewaffneten Kampf für eine freie Westsahara aufgenommen hat, ist kein Ende der marokkanischen Besatzung ihrer Heimat in Sicht. Und damit auch keine Perspektive für die in Tindouf Gestrandeten. Das räumt auch Ban Ki-moon ein.
    "Die Sahrauis haben schreckliches Leid unter schweren Bedingungen ertragen. Ich möchte die Aufmerksamkeit der Welt auf diese Bevölkerung lenken, deren Schicksal zu oft übersehen wird."
    Das zeigt sich auch an den Hilfen aus dem Ausland. Zahlten internationale Geber 2015 noch 37,9 Millionen Dollar für humanitäre Hilfe, war es in diesem Jahr weniger als die Hälfte.
    Europa, das gerade ein neues Fischereiabkommen mit der Besatzungsmacht Marokko verhandelt, hätte den Dauerkonflikt in der Wüste gerne vom Tisch. Das gleiche gilt für die USA, die über den Sicherheitsrat Druck machen.
    Letztes Treffen fand vor sechs Jahren statt
    Es soll endlich eine Lösung gefunden werden. Und so saßen diese Woche Vertreter von Polisario und Marokko im Genfer Völkerbundpalast zusammen. Mit dabei: die Nachbarstaaten Algerien und Mauretanien. Auf Einladung von Horst Köhler, dem UN-Sondergesandten für die Westsahara.
    "Es ist sechs Jahre her, dass die Konfliktparteien sich zum letzten Mal getroffen haben. Dieses Treffen ist ein erster, aber wichtiger Schritt für einen neuen politischen Prozess für die Zukunft der Westsahara. Ziel ist, so hat der Sicherheitsrat in Resolution 2440 beschlossen, eine gerechte, dauerhafte und beiderseits akzeptable Lösung, die die Selbstbestimmung der Bevölkerung der Westsahara garantiert."
    Wie schwierig eine solche Lösung sein wird, zeigt der Blick in die Geschichte. 1974 forderte Marokkos damaliger König Hassan II. den Anschluss der Westsahara, die noch unter spanischer Kolonialherrschaft stand. Das Franco-Regime hatte davor ein versprochenes Referendum über die Zukunft des Wüstenstreifens immer wieder vertagt. 1973 nahm deshalb die Frente Polisario ihren bewaffneten Kampf für die Selbstbestimmung auf.


    Unterstützt wurde sie 1975 vom Internationalen Gerichtshof, der ein Referendum unterstützte. Doch Marokkos König ließ mehr als 350.000 Marokkaner in die Westsahara einmarschieren. Die Spanier zogen ab, die Marokkaner blieben. Und als Mauretanien seinen Anspruch auf den Süden aufgab, besetzten sie auch diesen. Die Polisario, unterstützt von Algerien, kämpfte für ihre Republik. Doch nach und nach mussten sich die Partisanen der militärisch weit überlegenen Armee Marokkos geschlagen geben. Der größte Teil der Westsahara wird heute von Marokko beherrscht - von der Polisario geschützt durch einen über 2500 Kilometer langen, teils verminten Schutzwall.
    Ein Mann aus dem Volk der Sahrauis hält eine Flagge der Widerstandsorganisation Polisario hoch, im Hintergrund sichern marokkanische Soldaten die Grenzmauer zum von Marokko kontrollierten Teil der Westsahara
    Ein Mann aus dem Volk der Sahrauis hält eine Flagge der Widerstandsorganisation Polisario hoch, im Hintergrund sichern marokkanische Soldaten die Grenzmauer zum von Marokko kontrollierten Teil der Westsahara (AFP)
    Marokko agiert aus einer Position der Stärke
    Vor diesem Hintergrund galt schon als Erfolg, dass beide Seiten sich in Genf überhaupt an einen Tisch gesetzt haben. Im Frühjahr soll es ein zweites Treffen geben. Doch Marokkos Außenminister Nasser Bourita gab sich nach der Auftaktrunde kompromisslos.
    "Selbstbestimmung wird es für Marokko nur mit einer Verhandlungslösung geben. 19 von 24 vergleichbaren Fällen haben die UN durch Verhandlungen gelöst, nur fünf durch ein Referendum."
    Bourita argumentiert aus einer Position der Stärke. Marokko ist im Kampf gegen den Terror und auch die Migration ein wichtiger Partner für den Westen. Die Polisario dagegen hat immer weniger Unterstützer. Algerien, das nach wie vor dazu gehört, hat genügend eigene Probleme. Sidi Omar, Verhandlungsführer der Polisario, bleibt nur die Hoffnung, dass die Weltgemeinschaft ihrem Versprechen treu bleibt, die Sahrauis selbst über ihre Zukunft entscheiden zu lassen.
    "Warum fürchten wir uns davor, die Bevölkerung entscheiden zu lassen? Warum haben wir Angst vor der Demokratie? Die Sahrauis sollten frei entscheiden dürfen, in welchem Land sie leben wollen."
    Kaum vorstellbar, wie Köhler da eine Einigung finden soll. Zumal selbst bei einer Volksabstimmung unklar wäre, wer eigentlich mit abstimmen darf. Die Marokkaner in der Westsahara und die Geflüchteten von Tindouf schloss die jeweils andere Seite bisher stets aus.