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Geschlechteridentität
Der schwierige Weg zu einem neuen Transsexuellenrecht

Seit Jahren wird über eine Reform des Transsexuellengesetzes gestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat Teile davon als verfassungswidrig eingestuft, eine Neuregelung muss her. Doch Union und SPD können sich wohl auch in dieser Legislaturperiode nicht auf einen Gesetzentwurf einigen.

Von Katharina Hamberger | 26.05.2021
Symbolbild Transgender: Mann mit weiblichem Spiegelbild
Geschlechtliche Identitätsfindung ist oft ein langer und schwieriger Prozess. Durch das geltende Transsexuellengesetz kommen noch bürokratische Hürden hinzu. (picture alliance / chromorange / Matthias Stolt)
"Dann habe ich gesagt, okay, ich fühle mich immer noch gut, ich habe immer noch genug Selbstvertrauen, diesen Schritt jetzt zu gehen, um zu sagen, ich will die komplette Personenstandsänderung und die komplette Namensänderung."
Charlotte Jerke ist Mitte 30, als sie sich dafür entscheidet, dass nun in Zukunft auch in ihrem Ausweis ihr Name und als Geschlecht "weiblich" stehen soll – bis dahin war sie zumindest noch auf dem Papier ein Mann. Welchen Weg eine Person nehmen muss, um Vornamen und Geschlechtseintrag offiziell ändern zu lassen, gibt das Transsexuellengesetz vor. Betroffene wie Charlotte Jerke müssen, Stand heute, dafür zwei Gutachten vorlegen, die bestätigen, dass sie dauerhaft Geschlecht und Vornamen ändern wollen. Für das Verfahren zuständig sind Amtsgerichte. Zumindest noch. Denn seit Jahren wird über eine Reform beziehungsweise Abschaffung des Gesetzes gestritten. Aber auch in dieser Legislaturperiode deutet sich keine Einigung an.

Lässt sich Identität begutachten?

Gestritten wir vor allem darum, inwieweit die Betroffenen selbst über ihre geschlechtliche Identität bestimmen können oder ob sie für die sogenannte Namens- und Personenstandsänderung einen Nachweis brauchen – der bislang aus den beiden Gutachten besteht, die von vielen Betroffenen als entwürdigend empfunden werden. Dr. Gisela Wolf ist Teil einer verhaltenstherapeuthischen Gemeinschaftspraxis in Berlin, erstellt selbst solche Gutachten und spricht von einer peinlichen Rolle, die die begutachtende Person habe.
"Man muss dann drei Fragen, die vom Gericht gestellt werden, beantworten. Die erste ist: Ist die Person wirklich trans? Die zweite, ob das seit drei Jahren so ist, und die dritte ist, ob das in die Zukunft stabil bleiben wird."
In der Regel sei es so, dass die Person diese Fragen seit Jahren mit sich herum trage und mit "Ja" beantworten könne, sagt Gisela Wolf.
"Die Problematik ist aber, dass man dann noch irgendwelche psychologischen Verrenkungen vollziehen muss, um nach außen zu demonstrieren, dass die Selbsteinschätzung der Person auch eine Fachperson überzeugt. Und je nachdem wie transfreundlich oder transfeindlich die Fachperson ist, lässt sie halt die begutachtete Person mehr oder weniger zappeln."
Die Gutachter und Gutachterinnen würden außerdem in Situationen gebracht, erklärt Wolf, in denen sie so tun müssen, als könnten sie etwas beurteilen, nämlich die Identität eines Menschen, was nach fachlichem Ermessen aber von außen nicht beurteilbar sei.
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"Mehrwert dieser Gutachten geht gegen Null"

Auch Charlotte Jerke hat diesen Prozess durchlaufen. Viele Transpersonen beschreiben diesen als belastend. Das tut Transfau Jerke nicht, es sei aber ein organisatorischer Aufwand gewesen.
"Was ich eher diskriminierend fand, waren diese pathologisierenden Fragen dazu. Also du musstest tatsächlich drei verschiedene Fragebögen vorher ausfüllen zum Thema psychische Erkrankungen, zum Thema Lebenszufriedenheit, körperliche Zufriedenheit, Hobbys, Familien…"
Ein Gutachten erstellte die Therapeutin von Charlotte Jerke, die sie seit Jahren kennt. Als unangenehm empfand sie allerdings das Gespräch mit dem zweiten, ihr unbekannten Gutachter.
"Und der zweite Gutachter, der war megasensibel und meganett, aber trotzdem ist es ein bisschen komisch, sich eine Stunde lang über intime Sachen mit einer wildfremden Person zu unterhalten, und wo ich mir immer gedacht habe, der schreibt mir ja letztendlich das Gutachten, und wenn er was 'Falsches' schreibt, kriege ich diese Namensänderung nicht. Das heißt, ich habe mich schon sehr angebiedert, weil ich will dieses Gutachten ja unbedingt haben."
Kalle Huempfner vom Bundesverband trans*, der für geschlechtliche Vielfalt und Selbstbestimmung eintritt, bezeichnet diese Gutachten als Gängelung, weil diese zu 99 Prozent dem entsprächen, was die Transperson vorher schon über sich gesagt habe.
"Das heißt der Nutzen, der Mehrwert von diesen Gutachten geht gegen Null. Und gleichzeitig verzögert das den Prozess, bis Transpersonen den Namen und Personenstand ihrem eigenen Empfinden angleichen können."
Zudem sei der Prozess teuer, sagt Huempfner. Im Schnitt gehe es um 2.000 Euro pro Person. Charlotte Jerke erzählt, sie habe vom Amtsgericht einen Brief bekommen, dass sie 1.600 Euro innerhalb einer Woche überweisen müsse, weil sonst der Antrag verfalle. Da die Prozesskostenhilfe abgelehnt worden war, hat sie am Ende Crowdfunding gemacht, also das Geld online gesammelt.

Entdeckung der eigenen Identität

Als trans gilt eine Person, die im Laufe ihres Lebens feststellt, dass sie sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlt, als demjenigen, das in ihrer Geburtsurkunde steht. Jerke: "Ich glaube, es gibt diesen Punkt, wo Transpersonen aufwachen und sagen, das ist es, so bin ich, ab heute habe ich die Kraft dafür und hab auch die Worte dafür. Bei mir war es absolut nicht so. Bei mir war es schleichend."
So hat Charlotte Jerke Kindheit und Jugend als Junge verbracht: "Ich bin zu Fasching als Mädchen gegangen und fand das wunderbar, in der Grundschule damals, das war total genial. Ich war in der Tanz-AG, war dort die einzige männlich gelesene Person. Ich hab mich so wohl gefühlt. Aber das war für mich nie ein Indiz dafür, dass ich auch eine Frau bin. Und das lag definitiv auch an meiner Erziehung und auch an meinem Bildungsstand. Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt. Wenn ich das wissen würde, also ich hab diesen Gedanken gar nicht zugelassen, dass ich tatsächlich auch eine Frau oder ein Mädchen bin."
Erst im Studium habe sich das geändert, sie habe zum ersten Mal von Transfrauen und Transmännern gehört, habe auch zum ersten Mal Kontakt zu Transpersonen gehabt: "Und ich dachte mir so, wow, ja, endlich gibt mir jemand eine Sprache, damit ich das artikulieren kann, was ich tatsächlich fühle."
Danach folgten kleine optische Veränderungen. Jerke arbeitete nach dem Studium an einer kleinen, privaten Schule, fing dort an, Röcke zu tragen, Nagellack und Make-up zu verwenden und ihren Vornamen und auch ihr Pronomen, mit dem sie angesprochen werden will, zu verändern. Es gab auch den Wunsch nach körperlichen Anpassungen, zunächst trug sie Brustprotesen: "Irgendwann habe ich aber gesagt, ich will keine Brustprotesen, ich will eine Brust, ich will meine Brust."
Jerke entschied sich Hormone zu nehmen, später folgen Entfernung der Barthaare und eine Stimmtherapie – wofür sie bereits mehrere ärztliche Gutachten brauchte. Zwei, drei Jahre sagt Jerke, habe dieser Prozess gedauert, danach erst entschied sie sich auch ganz offiziell den Vornamen und den Geschlechtseintrag zu ändern.
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Ein Gesetz wie ein Schweizer Käse

Die Zahl der Personen, die das tun, steigt in Deutschland. Das geht aus der Geschäftsübersicht der Amtsgerichte in Deutschland vom Oktober 2020 hervor. Diese gibt unter anderem Auskunft über die Verfahren nach dem Transsexuellengesetz von 1995 bis 2019. So waren es 1995 noch 400 Verfahren, 2019 schon 2.582.
In dieser und auch der vergangenen Legislaturperiode gab es schon mehrere Anläufe das Gesetz neu zu regeln. Zuletzt konnten sich das SPD-geführte Justizministerium und das CSU-geführte Innenministerium allerdings nicht einmal auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen. Auch die Koalitionsfraktionen von Union und SPD finden keinen Kompromiss.
DASS das Transsexuellengesetz aber reformbedürftig ist, darüber besteht kaum Zweifel, allein deshalb, weil dieses Gesetz, dass vor 40 Jahren in Kraft getreten ist, schon lange nicht mehr so aussieht wie 1981:
"Jedenfalls kann man festhalten, dass in der Zwischenzeit in einer Vielzahl von Entscheidungen das Verfassungsgericht einzelne Regelungen für verfassungswidrig erklärt hat aus diesem Transsexuellengesetz und das ist jetzt kein besonders langes Gesetz, deswegen sind die gerissenen Lücken schmerzlich und man kann dieses Gesetz heute eigentlich nur noch als Schweizer Käse bezeichnen", sagt die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Anna Katharina Mangold von der Europa-Universität Flensburg.
Als die wahrscheinlich weitreichendste Änderung bezeichnet sie eine Entscheidung der Karlsruher Richter und Richterinnen aus dem Jahr 2011: "Unter anderem ist die Voraussetzung entfallen, die dem Gesetz zu Grunde liegt, dass nämlich eine angleichende Operation stattfinden muss."
Das Gesetz unterscheidet zwischen einer sogenannten kleinen Lösung, mit der der Vorname geändert werden kann, und einer sogenannten großen Lösung für den Personenstand. Bis vor zehn Jahren mussten sich transgeschlechtliche Menschen für letzteres unter anderem einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen und sich sterilisieren lassen. Diese Regelung kippte das Bundesverfassungsgericht. Seitdem gelten sowohl für die Änderung des Vornamens als auch des Geschlechtseintrages dieselben Voraussetzungen – zumindest bis zu der nach wie vor umkämpften Neuregelung.
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Die Streitpunkte in der Koalition

Der Großteil der Union besteht weiterhin auf einen Nachweis, den die Betroffenen erbringen müssen. Es gehe darum, die Ernsthaftigkeit abzuklopfen, sagt der CDU-Abgeordnete Marc Henrichmann, der in seiner Fraktion für dieses Thema zuständig ist: "Es geht ja nicht darum, transsexuellen Menschen Steine in den Weg zu legen oder Träume zu zerstören, es geht auch darum, es wirklich nur für die zu machen, für die es auch bestimmt ist, und nicht für Menschen, die vielleicht aus irgendwelchen Gründen mit ihrer Identität hadern."
Es gehe um den Schutz der Betroffenen selbst, sagt Christdemokrat Henrichmann. Ähnlich argumentiert er auch bei der Frage, ob Gerichte weiterhin entscheiden sollen oder ein Gang zum Standesamt ausreicht. Eine gerichtliche Entscheidung wirke für und gegen jedermann: "Wenn ich eine reine Entscheidung des Standesamtes mache, dann habe ich eine Entscheidung, die kann gegebenenfalls auch in Frage gestellt werden."
Das sieht der Koalitionspartner anders. Zwar will auch die SPD einen Nachweis – in Form einer verpflichtenden Beratung über die rechtlichen Folgen – aber es sollen nicht mehr die Amtsgerichte zuständig sein. "Es war bei uns immer die ganz klare Aussage: Wir wollen nicht mehr haben, als beispielsweise bei der Schwangerschaftsberatung. Dass eben über die Folgen beraten wird und dann ein Beratungsschein ausgestellt wird und dann ordnungsgemäß im Standsamt im Personenstandsregister die Änderungen erfolgen", sagt Karl-Heinz Brunner, queerpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
Die Befürchtungen der Union sind aus seiner Sicht überzogen, da der Weg der Geschlechtsanpassung ein langer und schwerer sei, den die Personen über viele Jahre gingen. Man könne aber entsprechende Fristen einbauen: "Indem man sagt, man kann jetzt nicht sagen, in der einen Woche trag ich mich ein als männlich, in der zweiten Woche trag ich mich ein als weiblich, in der dritten als divers – das ist jetzt überspitzt gesagt."

Begutachtung oder Beratung

Dass es gewisse Hürden für die Änderung des Geschlechtseintrages gibt, hält auch der Rechtswissenschaftler Professor Florian Becker von der Uni Kiel für richtig und verweist auf die Rechtsfolgen der Entscheidung. Er sagt, der Gesetzgeber dürfe die rechtliche Zuordnung zum "nachhaltig empfundenen Geschlecht" nicht von unzumutbaren Voraussetzungen abhängig machen. Er dürfe allerdings auch keine völlige Beliebigkeit erlauben, solange die Rechtsordnung an anderer Stelle - etwa bei dem verfassungsrechtlichen Förderungsgebot für Frauen in Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes - noch erhebliche Rechtsfolgen an die Zuordnung einer Person zu einem Geschlecht anknüpfe
Aus Beckers Sicht, tue der Gesetzgeber daher gut daran, die Plausibilität des Wunschs nach einer rechtlichen Veränderung des Geschlechts zu verlangen, ohne dabei unzumutbare, unüberwindbare oder die Würde verletzende Hürden aufzustellen. Um sich abzusichern muss der Gesetzgeber, meint Rechtswissenschaftler Becker, aber nicht unbedingt ein Gutachten verlangen, stattdessen kann auch der Nachweis einer Pflichtberatung ausreichend sein, Wartefristen, oder dass eine Gebühr erhoben wird, wenn jemand wiederholt seinen Geschlechtseintrag ändern möchte.
Rechtswissenschaftlerin Anna Katharina Mangold sieht dies ganz anders und verweist auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zum Transsexuellengesetz und auch zur sogenannten dritten Option, die es intergeschlechtlichen Menschen ermöglicht, als Geschlechtseintrag divers zu wählen. Schaue man sich diese an, "so kann man aus meiner Sicht ganz deutlich herauslesen, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, die geschlechtliche Identität ist etwas, über das nur die betroffene Person Auskunft geben kann; infolge dessen ist eine externe Begutachtung überhaupt nicht erforderlich."
Das Recht auf ein Geschlecht
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Rechtlich gebe es keine Notwendigkeit für einen Zertifizierungsprozess, sagt Mangold: "Ich möchte, dass die Grundrechte mich als Bürgerin davor schützen, dass der Staat mich paternalistisch bevormundet und genau sowas sind jede Form von Beratungspflichten. Alles was Beratungspflichten statuiert und intimste Entscheidungen davon abhängig macht, dass der Staat mich zwingt zuerst eine Beratung in Anspruch zu nehmen, mir also gewissermaßen eine vermeintliche Beratung aufdrängt, halte ich für einen Eingriff in Grundrechte."

Oder einfach per Selbstauskunft beim Standesamt?

So sieht es auch der Großteil der Oppositionsparteien. Grüne und FDP haben entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Über beide wurde vergangene Woche in zweiter und dritter Lesung abgestimmt. Für die SPD ein Problem. Denn eigentlich könnte man sich, so Brunner, mit Grünen und FDP wohl relativ schnell auf ein Gesetz einigen – jedoch stimmten die Sozialdemokraten, bis auf eine Ausnahme, mit dem Koalitionspartner gegen die Entwürfe der Opposition. Grüne, FDP und auch die Linke wollen das Transsexuellengesetz in seiner jetzigen Form abschaffen.
In Nuancen gibt es Unterschiede in den Details – weitgehend einig sind sich alle drei Parteien, dass die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrages wesentlich einfacher gestalten werden soll als bisher, die Selbstbestimmung soll stärker im Mittelpunkt stehen: "Die geschlechtliche Identität ist ja etwas sehr Subjektives, das sagt auch das Bundesverfassungsgericht, auch die Wissenschaft, deshalb gibt es keinen besseren Experten als den Menschen selbst und deshalb sagen wir Freie Demokraten, soll die Korrektur des Geschlechtseintrages ganz einfach beim Standesamt per Selbstauskunft möglich sein", sagt FDP-Politiker Jens Brandenburg.
Sprich, Gutachten oder eine verpflichtende Beratung soll es dann für die Änderung von Personenstand und Vornamen nicht geben. Dass Menschen dies ausnutzen könnten und heute so, morgen so entschieden, hält er für "völligen Unsinn": "Und das sieht man in den Ländern, Malta, Irland, Argentinien beispielsweise, die eine Selbstauskunft bereits eingeführt haben. Da, genau wie bei uns, ist der Anteil der Menschen, die überhaupt ihren Geschlechtseintrag nach einer ersten Korrektur später noch einmal in eine andere Richtung korrigieren lassen wollen, verschwindend gering, weit unter einem Prozent."
Tatsächlich gibt es dazu kaum valide Zahlen und auch keine Studien in Deutschland, die Aufschluss darüber geben könnten, wie viele Personen den Wechsel des Geschlechts bereuen. Allerdings deutet auch eine Studie aus den USA, die "US Transgender Survey" aus dem Jahr 2015, auf eine sehr geringe Quote von weit unter einem Prozent hin.
Dass Menschen durch geringere Hürden sich leichtfertig für Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens entscheiden würden, glaubt auch Transfrau Charlotte Jerke nicht: "Das passiert nicht, weil mit so einer Namens- und Personenstandsänderung, da gehen Diskriminierungen mit einher und keiner wählt freiwillig Diskriminierungen", sagt Jerke.
"Die Menschen, die einen Geschlechtseintrag ändern wollen, oder ihren Vornamen ändern wollen, die machen das nicht zum Spaß", sagt auch Linkenpolitikerin Doris Achelwilm. Vornamens- und Personenstandsänderung müssten über einen einfachen Amtsgang möglich sein, fordert Achelwilm. Allerdings: "Also man kann da jetzt noch sagen, muss dann, wenns erfolgt ist, vielleicht noch mit ner bestimmten Frist versehen werden, damit es dann erstmal eine gewisse Stabilität hat, ansonsten ist das überhaupt nicht restriktiv zu halten."

Ab welchem Alter ist man sich sicher?

Auch die Zahl der transidenten Kinder und Jugendlichen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Einfluss dürfte dabei auch die stärkere gesellschaftliche Anerkennung von Transpersonen haben.
"Es gibt mehr Sichtbarkeit von Transpersonen, es gibt immer mehr bekannte, berühmte Transpersonen, beispielsweise hat sich Ende vergangenen Jahres Elliot Page geoutet, das war ein total wichtiges Signal", sagt Kalle Huempfner vom Bundesverband trans*. Jedoch: Trotz vieler Verbesserungen, gäbe es weiter viel zu tun.
In Bezug auf Jugendliche und Kinder geht es in der Debatte um das Transsexuellengesetz auch um die Frage, inwieweit diese über ihre geschlechtliche Identität selbst entscheiden können. Dazu schrieb der Ethikrat Anfang 2020, es entstehe dadurch eine Spannung, dass sich einerseits Reflexions- und Entscheidungsfähigkeit im Heranwachsenden erst entwickelten und andererseits die in der Pubertät stattfindende körperliche Entwicklung Zeitdruck schaffe. In dieser Situation können sowohl die in Betracht gezogenen Behandlungsmöglichkeiten als auch deren Unterlassung schwerwiegende und teils irreversible Folgen haben.
Erschwerend komme hinzu, dass einige Entscheidungen getroffen werden müssten, wenn das Kind noch nicht vollumfänglich einsichts- und urteilsfähig sei. Grüne, Linke und FDP sprechen sich auch hier für eine weitgehende Selbstbestimmung aus – zumindest bei Jugendlichen ab 14 Jahren. Brandenburg: "Das ist ein Alter, das wird auch regelmäßig aus der Wissenschaft zurückgespielt, in dem man tatsächlich schon von einer stärkeren Identitätsbildung ausgehen kann. Insbesondere bei medizinischen und operativen Fragen ist es natürlich wichtig, dass ärztliche Beratung und die Eltern sehr, sehr eng mit eingebunden sind."
Ähnlich sieht es der Bundesverband trans*. Jugendliche könnten schon eine Entscheidung treffen, wenn es um den Geschlechtseintrag geht, sagt Huempfner: "Wenn es jetzt um medizinische Maßnahmen geht, würde ich sagen, das ist ja keine rechtliche Frage, das wird aktuell auch verhandelt in den medizinischen Fachgesellschaften. Da werden voraussichtlich Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres auch neue Leitlinien kommen, wo dann auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Evidenzlage entschieden wird, was eine gute Behandlung und Begleitung von trans-Jugendlichen ist."
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Über Transidentität bei Kindern
Beratungsstellen registrieren immer mehr und immer jüngere Kinder, die sich nicht ihrem natürlichen Geschlecht zugehörig fühlen. Wie schnell sollen Eltern reagieren, vor allem mit irreversiblen Eingriffen?

Nach wie vor zu wenig Beratungsstellen

Die Koalitionsfraktionen sind hingegen zurückhaltend. Heranwachende und Jugendliche seien anders zu behandeln als Erwachsene, sagt Sozialdemokrat Karl-Heinz Brunner: "Für diesen Personenkreis zwischen 14 und 18 Jahren, die ja auch in einem gewissen Familienverband, in Gesellschaftsverbänden in einem Umfeld lebt, dass sie sozial sehr stark beeinflusst werden, würde ich persönlich sagen, halte ich die Zuständigkeit der Familiengerichte für den besseren Weg."
Dort würden den jungen Menschen Beistände oder ähnlich fachkundige Personen zur Seite gestellt, die helfen, die Identität richtig zu bestimmen, sagt Brunner. Ähnlich sieht es auch sein Kollege Henrichmann von der CDU, der aber auch auf den letzten Entwurf aus dem Innenministerium verweist. Der sieht für Jugendliche weiterhin eine Gutachtenpflicht vor.
Spricht man mit Betroffenen, Experten und Expertinnen, kommt immer wieder der Hinweis, dass es in Deutschland nach wie vor zu wenig Beratungsstellen für Transpersonen gibt. Dabei wäre ein Ausbau der Beratungsmöglichkeiten wichtig, gerade auch wenn es um Kinder und Jugendliche gehe, sagt Gisela Wolf: "Wenn ein Kind den Namen ändert und den Personenstand, müssen andere ja auch mitgenommen werden. Der Jugendliche kann das oft für sich ganz gut entscheiden, aber das Umfeld braucht eine gute Beratung. Die müssen sich auseinandersetzen mit Ängsten, Eltern müssen sich auseinandersetzen mit Bildern, die sie hatten, als das Kind zur Welt kam."
Zwei Sitzungswochen dauert die aktuelle Legislaturperiode noch – dass die Koalition bei diesem Thema bis dahin einen Kompromiss findet, scheint nahezu ausgeschlossen. Damit wird es Aufgabe der kommenden Regierung eine Neuregelung für das Transsexuellengesetz zu finden.