Parag Khanna: "Move: Das Zeitalter der Migration"

Müssen die Menschen wieder zu Nomaden werden?

14:05 Minuten
Parag Khanna hält eine Rede.
Der Politikwissenschaftler Parag Khanna lebt heute in Singapur. Der Stadtstaat ist für ihn aus mehreren Gründen ein Vorbild für die Zukunft. © Picture Alliance / TASS / dpa / Donat Sorokin
Moderation: Christian Rabhansl · 27.03.2021
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Der Klimawandel verursacht eine verstärkte Migration. In Europa könnte das eine Politik der Abschottung wie im Mittelalter zur Folge haben, schreibt der Politologe Parag Khanna in "Move: Das Zeitalter der Migration".
Der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler Parag Khanna hat schon in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Deutschland gelebt. Aktuell wohnt er in Singapur. Sein neues Buch heißt "Move: Das Zeitalter der Migration". Darin entwirft er mehrere Zukunftsszenarien des Umziehens und des Zusammenlebens in unterschiedlichen Teilen der Welt.
Die Mobilität der Gesellschaft ist durch die Pandemie natürlich eingeschränkt, sagt Parag Khanna, wir seien aber "digital mobil und weltweit vernetzt" – und wie nie zuvor auch darauf angewiesen. Grundsätzlich ist der aktuelle Stillstand für den Politikwissenschaftler aber nur kurzfristig. 2019 hätten 1,5 Milliarden Menschen Grenzen überschritten – ein Höchststand in der Geschichte – und 270 Millionen Menschen galten als im Ausland lebend. Nach der Pandemie würden wir zu diesen Migrationszahlen zurückkehren, ist der Politikwissenschaftler überzeugt.

Flucht vor der Klimakrise

Die Menschheitsgeschichte ist von jeher durch Freiheitsmigration, also Flucht vor Verfolgung und Unterdrückung, und durch Arbeitsmigration geprägt. Parag Khanna konzentriert sich in seinem Buch aber auch auf durch die Klimakrise verursachte Migration.
So würden immer mehr Menschen durch den "beschleunigten Prozess des Klimawandels" – also Trockenheit, Verwüstungen, Waldbrände, steigenden Meeresspiegel und Grundwassermangel – aus ihrer ursprünglichen Lebensumwelt vertrieben werden, so der Politologe. "Das sind alles mit Ursachen für die Vertreibung von Menschen und das Wegziehen von Menschen aus ihrer Heimat."


Um den Klimawandel einzudämmen, sei es wohl zu spät, sagt Parag Khanna, deshalb müssten sich die Menschen den Gegebenheiten anpassen. Für die meisten würde das bedeuten, wegzuziehen und sich neu irgendwo anzusiedeln. Diesbezüglich ist wohl eine der mit kontroversesten Thesen in seinem Buch, dass in wenigen Jahrzehnten weite Teile der USA nicht mehr bewohnbar sein werden.
Buchcover: "Move: Das Zeitalter der Migration" von Parag Khanna
Für Europa entwirft Parag Khanna ein Negativszenario.© Deutschlandradio / Rowohlt Berlin
So würden schon jetzt im Südwesten der USA jährlich Trockenheiten herrschen, sagt Parag Khanna. In diesen Regionen gebe es bereits Grundwassermangel und es drohe eine "Megatrockenheit" beziehungsweise eine zehn- bis zwanzigjährige Verwüstung. "Die Menschen, die jetzt dorthin ziehen, werden mittelfristig dort wieder wegziehen."
Parag Khanna vermutet, die Menschen werden dann dorthin zurückgehen, wo sie einst herkamen: in den sogenannten "Rust Belt", Richtung Michigan. Diese Region sei "eine Klimaoase". Mit der Migration zurück Richtung Norden könne dann auch wieder eine Belebung dieses deindustrialisierten und verlassenen Landesteils erfolgen, ist sich Khanna sicher.

Abschottung in Europa, Schmelztiegel Singapur

Für Europa entwirft Parag Khanna hingegen ein Negativszenario. So bestehe die Gefahr, dass Europa wieder zu einer Abschottungspolitik wie "im Mittelalter" zurückkehren könnte. Demnach könnten sich vom "Klima gesegnete Hafenstädte" oder skandinavische Staaten wieder abschotten, die Grenzen hochziehen und weniger Einwanderer aufnehmen.
Ein Positivbeispiel könne Singapur sein. Durch eine "kluge und weitsichtige Politik" schaffe es der Stadtstaat, verschiedene ethnische Gruppen zusammenzubringen und ein "wahrhafter, friedlicher Schmelztiegel" zu werden.


Um auf die Herausforderungen des Klimawandels zusätzlich zu reagieren, kann sich Parag Khanna auch "temporäre Pop-up-Städte" vorstellen. Je nach Jahreszeit würden sie an verschiedenen Orten auf- und abgebaut werden. "Aus technischer Sicht verfügen wir jetzt schon über die Fähigkeit, Pop-up-Citys zu bauen. Wo das Wasser entsalzt wird, und wo über Solarenergie der Stromversorgung erzeugt wird."
Je nach Krise, mit der die Gesellschaft konfrontiert werde, könnten diese "Pop-up-Städte" an die entsprechenden Orte beispielsweise in Kanada oder Sibirien bewegt werden. Es könnte also durchaus sein, dass aufgrund der drohenden "Unvorhersehbarkeit" in der Welt, manche Menschen in Zukunft wieder zu Nomaden werden.
(jde)

Parag Khanna: "Move: Das Zeitalter der Migration"
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz und Karsten Petersen
Rowohlt, Berlin 2021
411 Seiten, 24 Euro

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