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Wettlauf gegen den Brexit
Krisenmanagement im Rotterdamer Hafen

Im Rotterdamer Hafen bereiten sich Hafenbetrieb, Zollbehörde und Terminals auf einen ungeregelten Brexit vor. Die Sorge vor chaotischen Zuständen im größten Hafen Europas ist groß. Es wird aufs Tempo gedrückt, sich aber auch darüber gewundert, dass viele deutsche Unternehmen nicht mitziehen.

Von Kerstin Schweighöfer | 15.01.2019
    Rotterdamer Hafen mit Wolken am Horizont.
    Der Rotterdamer Hafen ist Drehkreuz für den Warenverkehr zwischen Großbritannien und dem Rest Europas. (picture alliance / dpa - Victoria Bonn-Meuser)
    40 Kilometer lang erstreckt sich der größte Hafen Europas. Von Rotterdam bis raus nach Hoek van Holland, der Ecke von Holland. Da, wo die Fähren nach England an- und ablegen.
    Am Fracht-Terminal der Reederei Stena Line rollen unentwegt neue Lastwagen auf oder von den Schiffen – mit Waren aus Großbritannien, die von hier aus in ganz Europa verteilt werden. Oder andersherum: Waren aus Europa, die für den britischen Markt bestimmt sind. Blumen, Gemüse und Käse aus Holland zum Beispiel. Oder Fleisch aus Deutschland.
    "Wir besorgen den Briten ihre Spiegeleier mit Speck", witzelt LKW-Fahrer Henk aus Gouda, der gerade mit einem Auflieger voller Schweinefleisch aus Deutschland eingetroffen ist.
    Allerhöchstens 30 Minuten dauert es, bis sich sein LKW-Anhänger an Bord der Fähre befindet und Henk mit einem neuen Trailer voller britischer Waren wieder landeinwärts fahren kann. Im Gegensatz zu vielen Kollegen fährt er selbst nicht rüber nach England. Roll on, roll off.
    Die Abfertigung der Waren selbst ist Minutensache. Ein rascher unbürokratischer Transport über Landesgrenzen hinweg – möglich dank EU-Binnenmarkt und Zollunion.
    Brexit macht Küste von Hoek van Holland zur EU-Außengrenze
    Aber: Das dürfte die längste Zeit so gewesen sein. Denn bei einem harten Brexit würde die Küste bei Hoek van Holland wieder zu einer europäischen Außengrenze mit Zollvorschriften und Kontrollen werden. Dann könnten aus Henks 30 Minuten Stunden werden. Und Kilometer lange LKW-Kolonnen entstehen, bis hin zur Autobahn. Unzumutbar für die Einwohner von Hoek van Holland, findet Ton van Anraad von der Gemeindeverwaltung:
    "Wir machen uns große Sorgen, wir haben Angst vor einem Verkehrsinfarkt, es geht um Tausende von LKW. Dann kommt keiner hier mehr rein oder raus – auch in Notfällen nicht. Dann ist Hoek van Holland von der Außenwelt abgeriegelt."
    Rund um den Frachthafen sucht die Rotterdamer Hafengesellschaft zusammen mit der Gemeinde deshalb nach zusätzlichen Parkflächen. Und die Zollbehörden nach 900 neuen Mitarbeitern. Denn bei einem harten Brexit müssten pro Jahr zehntausend Schiffe mehr als bisher kontrolliert werden, so Roel van ’t Veld, Brexit-Koordinator der Zollbehörde:
    "Bislang verläuft der Handel mit den Briten so, wie mit jedem x-beliebigen niederländischen Dorf. Das wird sich ändern – und zwar grundlegend. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ich kann nur alle dazu aufrufen: Sorgt dafür, dass ihr vorbereitet seid!"
    Niederländische Unternehmen warten auf deutsche Unternehmen
    Alle – das sind auch die Produzenten und die Spediteure. Um beim Beispiel Fleisch zu bleiben: Bislang reichen für den Export ins Vereinigte Königreich zwei Formulare, nach dem Brexit werden es bis zu neun sein. Und die müssen stimmen, sonst kommt es an der Grenze zu Verzögerungen. Von den 35.000 betroffenen niederländischen Unternehmen hat sich Schätzungen zufolge inzwischen gut die Hälfte auf den Brexit vorbereitet. Aber was ist mit den deutschen?
    "Die scheinen gerade erst aufzuwachen", so der Eindruck von Mark Dijk, Manager für internationale Beziehungen beim Rotterdamer Hafen. "Obwohl Deutschland unser wichtigster Handelspartner ist! Obwohl es auf jeden Tag ankommt!
    Auf einer speziellen Brexit-Website des Hafens finden alle Unternehmen, die Handel mit Großbritannien treiben, Hilfe und Unterstützung, auch auf Deutsch. Getreadyforbrexit.eu, heißt die Seite, erzählt Hafenpressesprecher Leo Willems:
    "Wenn sich alle gut vorbereiten, auch unsere deutschen Freunde, können wir den Schaden zumindest in Grenzen halten."
    Besser jedenfalls werde es mit Sicherheit nicht.