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Wettlauf gegen die Seuche

Medizin. - Jedes Jahr im Herbst laufen Impfkampagnen zum Schutz vor der nächsten Grippewelle. Dazu müssen Pharmaunternehmen in Rekordzeit aus den wahrscheinlichsten Erregern entsprechende Vakzine herstellen. Neue Methoden sollen die Impfstoffherstellung beschleunigen.

Von Kristin Raabe | 31.10.2006
    Die Methode ist schon mehr als 50 Jahre alt. Ein so genanntes Saatvirus wird in ein Hühnerei injiziert. Dort drin vermehrt sich das Impfvirus. Nach einigen Wochen dann erfolgt die Ernte. Das Grippevirus wird aufgereinigt, in seine Bestandteile zerlegt und zu dem eigentlichen Impfstoff weiterverarbeitet, der schließlich in Spritzen verpackt, bei Ärzten und Kliniken landet. Leider geht dabei immer mal wieder einiges schief. Meistens ist die Vermehrung des Saatvirus das Problem. Was genau im Hühnerei passiert, wo das Problem liegt - das lässt sich leider von außen nur schlecht einschätzen. Klaus Stöhr, der Leiter des weltweiten Grippeprogramms der Weltgesundheitsorganisation WHO fordert deswegen schon länger Alternativen zur Impfstoffproduktion im Hühnerei.

    "Es gibt Überlegungen, andere Produktionssysteme zu verwenden. Bis jetzt wird der Impfstoff ja in Eiern hauptsächlich hergestellt. Nun kann man den auch in großen Töpfen, in Zellkulturen anzüchten, das geht schneller. Man ist unabhängiger von den Eiern und man kann auch die Produktion noch höher fahren, ganz schnell, als es bei den Eiern möglich wäre, wenn es zur Pandemie kommt. Die Produktionssteigerung ist schneller möglich mit den Zellkulturimpfstoffen."

    In den Töpfen der Zellkulturproduktionsanlagen produzieren Säugetierzellen das Virusmaterial, das für den Grippeimpfstoffe notwendig ist. Die Firma Baxter hat in Tschechien bereits eine erste solche Produktionsanlage in Betrieb genommen. In Deutschland will Novartis schon in Kürze in der Nähe von Marburg ein solches Werk eröffnen. Die Zellkulturproduktionsanlagen sind vor allem wichtig, wenn es zu einer weltweiten Grippeepidemie kommt. In kürzester Zeit könnten dann große Mengen an Impfstoff produziert werden. Ein Hühnerei reicht dagegen nur für eine Dosis Impfstoff. Und sollten auch die Hühner von der Grippeepidemie betroffen sein, könnte es einen Engpass bei den Eiern geben. Klaus Stöhr kennt aber noch andere Neuentwicklungen bei der Impfstoffproduktion.

    "Dann gibt es eine ganz clevere Entwicklung, die sind auch ganz aufregend eigentlich für jeden, der da so ein bisschen drinsteckt. Was man macht ist, man nimmt, und das ist ganz toll, ein Insektenvirus und lässt das in Insektenzellen wachsen. Und diese Insektenviren sind manipuliert und die stellen nebenbei, während sie so wachsen, auch Influenzaimpfstoff her. Und dann wird man von der Flüssigkeit oben einfach Impfstoff abschöpfen, lässt die Viren und die Zellen einfach drin und hat einen ganz neuen humanen Impfstoff, den man auch ganz einfach billig herstellen kann."

    Insektenzellen, die Grippeimpfstoff produzieren – das erscheint auf den ersten Blick ziemlich skurril. Tatsächlich bedienen sich die Forscher aber einer in der Gentechnik relativ verbreiteten Technik. In ein Insektenvirus integrieren die Wissenschaftler Gene des Influenzavirus. Das Insektenvirus dringt in die Insektenzellen ein und nimmt die Gene des Grippevirus gleich mit. Dadurch produzieren die Insektenzellen dann die Eiweiße des Grippevirus, die für den Impfstoff so wichtig sind. Mit einem ähnlichen Prinzip sind Genforscher auch bei pflanzlichen Impfstoffproduktionsanlagen vorgegangen.

    "Und die ganz neuesten Entwicklungen gehen in die Pflanzenrichtung, man kann also Pflanzen mit Bakterien überzeugen, dass sie neben den schönen grünen Blättern und in ihren Blättern auch Teile des Influenzavirus herstellen. Gerade das Teil, das so schön eine Immunantwort hervorruft. Danach werden die Pflanzen zermust. Die Flüssigkeit, wird präpariert und da kann man aus einem Kilogramm Pflanzen bis zu 300 Milligramm dieses Impfstoffs herstellen, das reicht für zehn bis 15 Leute, das ist natürlich eine ganz tolle Entwicklung, die man genau verfolgen muss."

    Die "grüne" Variante bei der Herstellung von Grippeimpfstoffen ist besonders schnell. Nur zwölf Tage dauert es, bis aus dem Samenkorn eine erntereife Impfpflanze geworden ist. Im Moment vergehen drei Monate bis die Hersteller die ersten Chargen Grippeimpfstoff liefern können.