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Whistleblower im Sport
Wichtige Informanten werden leicht zu Opfern

Ohne Menschen mit einem Sinn für sauberen Sport und der Bereitschaft, die Betrugsmanöver hinter den Kulissen offenzulegen, versinkt der Spitzensport in einem Sumpf aus Korruption und Doping. Wer als Whistleblower an die Öffentlichkeit geht, erfährt jedoch nicht nur persönliche Nachteile. Einige fürchten um ihr Leben.

Von Jürgen Kalwa | 21.11.2015
    Sein Spitzname sagt – fast – alles. Man nennt ihn "Dirt" Novitzky, eine Anspielung an den Basketballprofi aus Würzburg, Vorname Dirk. Den dieser Novitzky wühlte einst nachts die Müllcontainer einer Firma durch, um dort genügend Material für einen Hausdurchsuchungsbefehl zu finden.
    Es war ein schmuddeliger, aber legitimer Job für den Steuerfahnder beim Finanzamt in Kalifornien. Und ein erfolgreicher. Im Abfall verbargen sich die Spuren des größten Dopingrings Amerikas. Eine Hausdurchsuchung ergab ein komplettes Bild. "Balco war zunächst ein strafrechtlicher Ermittlungsfall," sagte Jeff Novitzky vor ein paar Wochen in einem Podcast-Interview. "Es ging um Geldwäsche. Aber wir haben Designer-Doping-Substanzen gefunden, für die es noch gar keine Tests gab. Die konnten dadurch entwickelt werden."
    Dass Behörden auf diese Weise dem Sport helfen, kommt eher selten vor. Was lange mit der Verdachtslage zu tun hatte. Sportler und Funktionäre galten als Ehrenmänner, nicht als Mitwirkende in einem Schmierentheater, das eine andere amerikanische Ermittlungsbehörde – die Bundesstaatsanwaltschaft in Brooklyn – unlängst in einer seitenlangen Anklageschrift gegen Fußballfunktionäre aus ganz Amerika belegte.
    Floyd Landis enthüllte Armstrong-Doping
    Vielleicht bräuchte es gar nicht immer gleich die Strafverfolgungsbehörden, wenn es mehr Menschen gäbe, die ihr Insider-Wissen über Betrug, Korruption, Untreue und Vertuschung enthüllten. Und ein System im Sport, das sie schützt.
    Denn Mitwisser gibt es viele. Darunter solche die reinen Tisch machen wollen. Es gibt Beispiele: Wie kam der massive Dopingbetrug von Lance Armstrong irgendwann doch noch ans Licht? Durch einen Whistleblower, den Radrennfahrer Floyd Landis, der 2010 im amerikanischen Fernsehsender ABC verriet, dass er Lance Armstrong immer wieder bei der Einnahme von Dopingmittlern gesehen hatte.
    Wie kam die Aufklärung der korrupten Machenschaften in der FIFA ins Rollen? Unter anderem durch Whistleblower – die Katarerin Phaedra Al-Majid und die Australierin Bonita Mersiades, die in den Bewerbungskomitees ihrer Länder tätig waren.
    Flucht nach der Anklage
    Wer dürfte einen erheblichen Teil beigetragen haben, um die schmuddeligen Transaktionen im DFB um die WM-Vergabe aufzudecken. Theo Zwanziger. Hier bei Spiegel-TV Ende Oktober. "Ich habe versucht, mit meinem Beitrag auch ein Stück Wahrheit, aber auch eigene Verantwortung zu signalisieren. Aber ich kann nicht die Verantwortung für Dinge übernehmen, mit denen ich nichts zu tun habe. Und ich kann nicht die Verantwortung übernehmen, wenn andere sich wegschleichen."
    Das Problem ist vielschichtig. Whistleblower belasten nicht nur sich selbst. Sie müssen mit Repressalien rechnen. Teilweise fürchten sie anschließend um ihr Leben. Wie der jener Trainer in Kenia, den vor ein paar Tagen ausgerechnet ein Polizist warnte, dass er aufgrund seiner Aussagen über die Korruption in der Leichtathletik seines Heimatlandes um sein Leben fürchten muss.
    Die beiden russischen Whistleblower aus der Dokumentation von ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt – Julija Stepanowa, eine erfolgreiche Läuferin, und Witali Stepanow, ehemals Mitarbeiter der Anti-Dopingagentur verließen sicherheitshalber ihre Heimat.
    Vom Whistleblower zum Opfer
    Die Angst reist mit, wie Phaedra Al-Majid dem BBC schilderte. Sie Katarerin lebt inzwischen in den USA, wo sie sich irgendwann auch dem FBI anvertraut hatte, und schilderte, dass sie dabei war, als drei hochrangige FIFA-Funktionäre geschmiert wurden. Darunter: der amtierende Präsident Issa Hayatou aus Kamerun. Sie sagt: "Ich habe eine völlig neue Kultur der Paranoia, der Angst und der Drohungen kennengelernt", sagte sie vor einer Weile der BBC. "Ich werde mich den Rest meines Lebens ständig umdrehen und mich fürchten."
    Sie fühlt sich mittlerweile in mehrerer Hinsicht als Opfer. So hatte sie dem einstigen FIFA-Chefermittler in Ethikfragen, dem Amerikaner Michael Garcia, Rede und Antwort gestanden. Ihre Bedingung: dass ihre Identität nicht preisgegeben wird.
    Was geschah? Der deutsche Chef der rechtsprechender Kammer produzierte eine Zusammenfassung und Bewertung der Ermittlungsergebnisse, in der sie zwar nicht namentlich erwähnt wird, aber sehr einfach zu identifizieren ist: "Herr Eckert hat die Vertraulichkeit gebrochen, ich nicht", klagte sie. Und er tat noch mehr: Er schmetterte ihre Einlassungen als "unzuverlässig" ab. Was bedeutet, dass es in sieben Jahren eine WM in Katar geben darf. Ganz egal ob sie mit Schmiergeldern gekauft wurde oder nicht.