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Wider die Schulweisheit

Genetik. - Allen Kriminalserien zum Trotz ist mit der automatischen DNA-Auswertung eine Verbrechensermittlung nicht beendet. Das machte jüngst ein Fall der Münchner Rechtsmedizin deutlich, die bei einem männlichen Selbstmörder auf eindeutig weibliches Erbgut stieß. Des Rätsels Lösung bestand in einer Knochenmarktransplantation. Für Forschung aktuell ein Grund nachzufragen, wie sicher DNA Tests heute eigentlich sind.

Von Volkart Wildermuth | 16.12.2008
    Die Antwort lautet: DNA Tests sind heute sehr sicher, aber die Biologie spielt ihnen manchmal einen Streich. Es gibt sehr seltene Konstellationen bei dem ein Körper aus Zellen von zwei verschiedenen Personen zusammengesetzt ist. Bei der Knochenmarktransplantation werden zuerst die blutbildenden Zellen des Empfängers vollständig zerstört und dann durch die des Spenders ersetzt.

    "Dies bedeutet, dass im Nachhinein die blutbildenden Stammzellen vom Spender anwachsen und im Normalfall das Blutbild anders aussieht, ein anderes DNA Muster enthält, als das des ursprünglichen Empfängers."

    Dr. Gunnar Bläß, Gruppenleiter DNA-Analyse beim Berliner Landeskriminalamt. Knochenmarkspenden sind inzwischen ein Routineeingriff und so ist es kein Wunder, dass sie in seltenen Fällen für Verwirrung im Polizeilabor sorgen. In Niedersachsen gab es 2005 einen Mord, bei dem die Beamten zunächst nach zwei Tätern suchten. Dann stellte sich heraus, dass die beiden DNA-Spuren von ein und derselben Person stammten, dem Empfänger einer Knochenmarkspende. Theoretisch kann sogar eine große Bluttransfusion dazu führen, dass ein Mensch für einige Zeit eine doppelte DNA-Spur hinterlässt. Trotzdem hält Gunnar Bläß die Gefahr für gering, dass Unschuldige verurteilt werden, weil ihre DNA sich nach einer Blutspende auch im Körper eines anderen findet.

    "Das DNA-Muster alleine reicht nicht aus, es führt ja höchstens dazu, dass er in den Status eines Beschuldigten käme und könnte dann durchaus über die Knochenmarkspende selber seine Unschuld beweisen. Im Einzelfall will ich nicht ausschließen, dass das eine oder andere Verbrechen dadurch auch ungesühnt bleibt."

    Die Empfänger von Knochenmarkspenden sind aber nicht die einzigen Personen, die den genetischen Fingerabdruck in die Irre führen können. In ganz seltenen Fällen verschmelzen Zwillingsembryonen noch im Mutterleib miteinander und entwickeln sich zu einem einzigen Menschen. Solche genetischen Mosaike mit zwei Zelltypen spielen in der Kriminalgeschichte bislang keine Rolle. Anders der umgekehrte Fall. Wenn nicht in einem Körper zwei DNA Versionen vorliegen, sondern zwei Personen dieselbe DNA besitzen. Gunnar Bläß untersucht beim Berliner LKA im Jahr rund 24.000 DNA-Spuren, die über 5000 Fällen zugeordnet sind. Ein einziges Mal hatte er es mit eineiigen Zwillingen zu tun.

    "Das wurde dann ermittlungstaktisch aufgeklärt, der eine Bruder konnte ein Alibi vorweisen, so dass er nicht in Betracht kam. Ich weiß von einem anderen Fall, ich glaube das war beim BKA, wo es dann sogar um Drillinge ging. Dort wurde dann versucht, doch noch DNA-mäßig Unterschiede herauszuarbeiten. Aber da reichen die normalen Standardsysteme natürlich nicht aus."

    Eineiige Zwillinge haben eigentlich ein identisches Erbgut. Ganz wenige Gene werden später aber noch verändert, zum Beispiel die Antikörpergene. Das können dann aufwändige Spezialtests nachweisen. Die Standardsysteme, das sind die einzelnen Komponenten eines genetischen Fingerabdrucks, weisen dagegen nur nach, wie viele Kopien einer bestimmten DNA-Sequenz bei einem Menschen vorliegen, Zwillinge liefern hier ein identisches Muster. In Deutschland werden 12 Standardsysteme getestet. Statistisch betrachtet lässt sich damit jeder Mensch in Europa eindeutig identifizieren. Probleme gibt es immer, wenn es um Verwandte geht, denn die teilen ja notwendigerweise viele DNA-Abschnitte. Bläß:

    "Wir haben solche Fälle zum Beispiel bei Sexualdelikten, Inzuchtdelikten, wenn angenommen wird, dass es ein Bruder oder ein naher Verwandter ist, dann kommt man im Probleme hinein, wo man natürlich wieder sehr vorsichtig sein muss mit einer definitiven Aussage."

    Der genetische Fingerabdruck kann mit extrem hoher Verlässlichkeit DNA-Muster identifizieren. Er hilft der Polizei täglich Täter dingfest zu machen und noch häufiger Unschuldige zu entlasten. Seine große Sicherheit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Person mehr ist als ihr Erbgut, dass auch ein DNA-Vergleich in seltenen Fällen einmal in die Irre führen kann.