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Wider die weltweite Schmelze

Gletscher schmelzen als Folge der globalen Klimaerwärmung in vielen Gegenden der Welt: Die Alpen sind betroffen, der Kilimandscharo in Afrika, die Rocky Mountains in Nordamerika. In Neuseeland ist das anders. In den Southern Alps des pazifischen Inselstaates wächst ein Gletscher.

Von Michael Frantzen | 11.12.2006
    20 Zentimeter, so viel wächst der Franz-Josef-Gletscher auf der Südinsel Neuseelands, täglich. Ende der 90er war das noch anders. Das erzählt Gletscher-Führer Russel Fairbrass in eisiger Höhe. Damals schmolz Neuseelands bekanntester Gletscher, als Folge des La Nina Wetterphänomens, also milde Winter und heiße Sommer. Doch die Zeiten sind vorbei.

    "Manchmal kannst du innerhalb einer Woche Veränderungen feststellen. Du kannst fast dabei zu sehen, wie der Gletscher sich ausbreitet und Felsen mitreißt runter zur Mündung. In den letzten 100 Jahren gab es fünf Wachstumsphasen. Es passiert so alle 20 Jahre - normalerweise während des El Nino Wetterphänomens. Wir haben dann kühle Frühlinge und starken Schneefall im Winter. So wie dieses und letztes Jahr. Allein im letzten Jahr ist Franz Josef 500 Meter gewachsen."

    Franz Josef ist damit die große Ausnahme. Denn weltweit sind immer mehr Gletscher von der globalen Klimaerwärmung betroffen. Ein paar Jahre noch, prognostizieren Experten, und Gletscher wie der am Kilimandscharo werden verschwunden sein. Franz Josef ist da robuster, meint halb ironisch Ranger Nick Edwards vom Franz-Josef-Nationalpark. Das liegt auch daran, dass es hier so viel schneit wie auf kaum einem anderen Gletscher weltweit, im Winter bis zu zweieinhalb Meter am Tag.

    "Franz Josef ist schon etwas besonders. Nicht nur wegen des hohen Schneefalls. Es gibt auf der Welt nur vier Gletscher, die von einem alpinen Klimagebiet in einen gemäßigten Regenwald münden. Die Gletscher in Europa oder Nordamerika liegen ja viel höher und reagieren viel langsamer auf Klimaveränderungen. Es dauert dort auch länger, bis sich ein Gletscher bildet. Bei Franz Josef geht alles viel schneller. Wenn oben auf dem Gletscher zum Beispiel Schnee fällt, dann ist der schon nach acht Jahren unten an der Mündung."

    Hubschrauber-Flüge zum Gletscher; ganz- oder halbtägige Wanderungen durch die bizarre Eislandschaft: Franz Josef ist längst auch zu einer der Touristenattraktionen Neuseelands geworden, längst breitet sich am Fuße des Gletschers ein gesichtsloser Touristenort aus, der vor 15, 20 Jahren noch ein verschlafenes Nest war.

    "Wir versuchen schon ein Gleichgewicht zu finden zwischen Tourismus und Umweltschutz. Die Generationen nach uns sollen ja auch noch etwas vom Gletscher haben. Aber ich denke, der Tourismus hat nur minimale Auswirkungen, sie kommen in viele unzugängliche Bereiche des Gletschers ja auch gar nicht herein. Die Leute sollen ruhig weiter hierher kommen. Der Gletscher-Nationalpark gehört schließlich allen Neuseeländern","

    meint Ranger Nick Edwards und kramt ein altes Foto von 1894 aus der Schublade hervor: Franz Josef ist darauf kaum wieder zu erkennen. Der Gletscher war damals nämlich knapp zweieinhalb Kilometer kürzer.

    ""Franz Josef ist sein eigener Herr. Er tut, was er will. Wir können auch keine genauen Prognosen abgeben. Wir können nur grob vorhersagen: Bei so und so viel Schneefall oben auf dem Gletscher wächst er so und so viel. Aber: Wenn es diesen Sommer auf der Südhalbkugel - also bei Ihnen jetzt im Winter -, wenn es da sehr heiß wird, kann er auch relativ schnell wieder anfangen zu schmelzen. Wir wissen es einfach nicht."