Donnerstag, 28. März 2024

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Widerstand aus Mecklenburg-Vorpommern
Berlins Antidiskriminierungsgesetz sorgt für Streit

Bei Diskriminierungsvorwürfen gegen Polizeibeamte kann die Beweislast künftig per Gerichtsbeschluss umgekehrt werden - so sieht es das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz vor. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister hat nun angekündigt, keine Polizei mehr zu Einsätzen nach Berlin zu schicken.

Von Silke Hasselmann | 18.06.2020
Polizeibeamte auf dem Alexanderplatz in Berlin bei der "Silent-Demo" anlässlich des Todes von George Floyd
In Berlin könnte die Beweislast bei Diskriminierungsvorwürfen gegen Polizeibeamte künftig umgekehrt werden (dpa / Eventpress Porikys)
Kürzlich in Rostock auf einer Demonstration gegen Rassismus - eine Zwischenmeldung der Veranstalter:
"Ihr habt mitbekommen: In den letzten Schätzungen der Polizei von heute sind wir gerade 600 Leute. Das ist echt krass. Also vielen Dank dafür!"
Gekommen sind vor allem Leute im Schüler- und Studentenalter. Und - wie üblich - Landespolizisten. Diese hier tragen auf dem Rücken ihrer dunkelblauen Uniform den gut lesbaren Code "Polizei M-V 3211". Beschallt mit polizeikritischen Rapsongs wie Ice Cubes Klassiker "F*ck the Police" blicken sie auf zahlreiche Banner und Schilder mit Aufschriften wie: "Kampf den Bullen!", "Polizei abschaffen", "Ich hasse die Polizei", "Für Toleranz und Offenheit, Gegen Rassismus und Polizei".
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
Die Polizisten bleiben ruhig. Sie wissen, dass es einige Demonstranten darauf anlegen sie zu provozieren und anzuzeigen - wegen Gewaltanwendung, wegen sexistischen Verhaltens oder - zuletzt immer häufiger gewählt - wegen rassistischer Diskriminierung. Das sei jedermanns Recht und gelegentlich gerechtfertigt, sagt Innenminister Lorenz Caffier. Er ist der oberste Dienstherr der knapp 5.000 Landespolizisten in Mecklenburg-Vorpommern. Jede Anzeige werde ernstgenommen und der Sachverhalt von der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft ermittelt. Ist einem Beamten Fehlverhalten nachzuweisen, dann werde das geahndet.
Innenminister Caffier: "Ein Stück aus dem Tollhaus"
"Das ist ein großer Personalkörper. Da kann man nie zu 100 Prozent alles garantieren. Deswegen haben wir die sehr umstrittene, von mir nicht unbedingt geliebte, aber akzeptierte Beschriftung der Einsatzeinheiten eingeführt. Insofern kann ich die Entscheidung, die jetzt in Berlin getroffen worden ist, nicht ansatzweise, auch politisch nicht verstehen."
Tatsächlich gilt neuerdings in Berlin ein Polizist unter Umständen nicht mehr solange als unschuldig, bis gegen ihn erhobene Vorwürfe bewiesen sind. Vielmehr werde es häufig so sein:
"Dass die Behörde, sprich: der Polizist und seine vorgesetzte Dienststelle, nachweisen muss, dass es eben nicht so ist. Das ist genau die Beweisumkehr. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus."
Berlins Innensenator: "Keine pauschale Beweislastumkehr"
Zwar stellte der Berliner Innensenator Geisel am Rande der Innenministerkonferenz in Erfurt klar, dass eine einfache Behauptung, diskriminiert worden zu sein, nicht ausreiche. Die Beweislast kehre sich zudem nur in solchen Fällen um, in denen zuvor ein Richter feststellt, dass an den Vorwürfen etwas dran ist. Dennoch ist der Schweriner CDU-Innenminister unglücklich über das Gesetz, weil es über Berlins Landesgrenzen hinaus wirken soll.
"Denn im Rahmen von Unterstützungsaufträgen sind auch Polizisten aus Mecklenburg-Vorpommern tätig, von Staatsgästen bis 1. Mai. 1. Mai heißt, regelmäßig Unterstützungskräfte aus allen Bundesländern. Das gilt aber auch für Fußballspiele - nicht nur für die Bundesligaspiele, Weltmeisterschaftsspiele, für große Sportereignisse, große Events. Also, sie sind immer angewiesen auf die Unterstützung aus anderen Bundesländern."
Unverständnis und nicht selten die Ankündigung, beim nächsten Berlin-Einsatz womöglich krank zu sein - so lauten die Reaktionen in den Polizeieinheiten auf das Berliner Antidiskriminierungsgesetz, hat Christian Schumacher beobachtet. Der Chef der MV-Landesgewerkschaft der Polizei hat dabei auch das Klima im Blick, in dem pauschale Polizeibeschimpfungen auf Demonstrationen zunehmen, aber auch im politischen Raum. Schumacher verweist auf SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die der Polizei in Deutschland unlängst "latenten Rassismus" unterstellte:
"Wer solche Äußerungen tätigt und eine Verurteilung der Polizei versucht, der muss sich fragen, wie er eigentlich zum Rechtsstaat steht. Denn nach meiner Auffassung handeln die Polizisten nach Recht und Gesetz, und wer rassistisch handelt, der hat in der Polizei nichts zu suchen. Der hat die Polizei zu verlassen, und wer nicht freiwillig geht, dann wird er über Gesetz oder dementsprechende Instrumentarien aus dem Dienst entfernt."
Vorerst keine Polizisten aus Schwerin nach Berlin
Weder die Polizeigewerkschaften noch die Landesinnenminister wie Lorenz Caffier aus Mecklenburg-Vorpommern bestreiten, dass es auch innerhalb der Polizei Fehlverhalten gibt und gelegentlich extremistische, auch rassistische Tendenzen. Das werde verfolgt, so Caffier, aber immer nach dem Prinzip der Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld und nicht umgekehrt. Das letzte Mal haben sich Mecklenburg-Vorpommern und Berlin übrigens im März kurz vor der Corona-Pandemie gegenseitig bei der Absicherung von Fußballspielen geholfen. Seitdem sei noch keine erneute Bitte aus Berlin eingegangen, sagt Innenminister Caffier. Doch was wird er seinen Polizisten sagen, wenn Berlin demnächst wieder fragen sollte?
"Die Frage ist wirklich nur rein theoretisch, weil ich keine Mitarbeiter entsenden werde. Und deswegen kann ich momentan nur erkennen, dass man eine Lösung in der Richtung findet, dass alle Einheiten, die aus anderen Bundesländern zur Verfügung gestellt werden, von dieser Berliner Gesetzgebung für ihre Einsätze freigestellt werden. Anders sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt keine praktikable Lösung."