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Widerstand gegen neue Zulassungsregeln

Wenn es nach der EU-Kommission geht, dann soll in Zukunft jeder EU-Staat selbst entscheiden dürfen, ob er Gentechnik-Pflanzen anbauen will oder nicht. Bisher wird das in Brüssel für ganz Europa einheitlich beschlossen. Doch der neue Ansatz stößt auf massive Kritik.

Von Mirjam Stöckel | 23.12.2010
    Frédéric Vincent, Sprecher des EU-Gesundheitskommissars, macht schon von Berufs wegen viele Worte. Zur Position der 27 EU-Staaten beim Anbau von Genpflanzen aber – da fällt ihm nur eins ein:

    "Kakophonie"

    Es stimmt: Immer wenn die Frage ansteht, ob neben der Kartoffel Amflora und dem Mais Mon810 noch eine neue Genpflanze europaweit angebaut werden darf oder nicht, können sich die zuständigen Fachminister der EU-Mitgliedsstaaten nicht einigen: Einige sind immer dafür, andere immer dagegen, und der Rest entscheidet mal so, mal so – eine klare Mehrheit findet sich also nie. Diese Blockade führt dazu, dass statt der 27 Staaten die EU-Kommission über die Anbauerlaubnis entscheiden muss, so schreiben es die Regeln vor. Regelmäßig macht sich die Brüsseler Behörde damit zum Buhmann für die Öffentlichkeit – eine unangenehme Rolle, die sie gern schnellstens los wäre.

    Im Juli hat die EU-Kommission daher vorgeschlagen, den Anbau von Genpflanzen in Europa in Zukunft so zu regeln: Auf EU-Ebene soll geprüft werden, ob eine bestimmte Genpflanze nach wissenschaftlichen Kriterien sicher ist und damit grundsätzlich zum Anbau zugelassen wird. Gibt Brüssel im Prinzip grünes Licht, soll danach jedes Land selbst entscheiden, ob die Pflanze tatsächlich auf die Felder darf. Die Buhmann-Rolle hätte die EU-Kommission damit an die Mitgliedsstaaten abgegeben.

    "Man versucht jetzt, die Länder einfach auseinander zu dividieren. Das heißt, gentechnikfreundliche Länder wie zum Beispiel Spanien oder Holland können in Zukunft ungehemmt anbauen. Und das wird dazu führen, dass wir in Europa mehr Gentechnik bekommen statt weniger. Und das ist mit Sicherheit nicht im Sinne der Verbraucher in Europa."

    Martin Häusling ist nicht der einzige, der diese Pläne kritisiert. Heftige Kritik kommt auch aus den Mitgliedsstaaten. Sie verlangen: Die EU-Kommission muss endlich einen Bericht vorlegen, der klärt, welche sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Anbau von Genpflanzen überhaupt hat. Das will die Kommission nun – Monate verspätet – im Januar nachholen.

    Die EU-Mitgliedsstaaten bezweifeln außerdem, dass die geplante Neuregelung mit geltendem EU-Recht und internationalen Handelsregeln vereinbar ist. Bundesumweltminister Norbert Röttgen:

    "Wenn in jedem Mitgliedstaat über die Zulassung aus eigenen Gründen entschieden werden kann – also in dem einen ist die Zulassung erfolgt, in dem anderen nicht –bezüglich des gleichen Produktes, dann haben wir keinen Binnenmarkt. Und auch die Vereinbarkeit mit WTO-Regelungen ist ganz offensichtlich jedenfalls noch nicht positiv beantwortet. Also wir haben damit keine rechtlich solide Grundlage."

    Die Kritiker fürchten: Wenn ein Staat eine Genpflanze nach den neuen Regeln verbietet, riskiert er, vom Europäischen Gerichtshof oder der Welthandelsorganisation WTO bestraft zu werden. Denn die WTO erlaubt nur dann den Handel mit gentechnisch veränderten Organismen einzuschränken oder zu verbieten, wenn aus ihrer Sicht wissenschaftlich nachgewiesen ein Risiko für die menschliche Gesundheit besteht. Nach dem Willen der EU-Kommission aber sollen die Mitgliedsstaaten den Anbau von Genpflanzen auch aus anderen Gründen verbieten dürfen – schon dann beispielsweise, wenn ihre Bevölkerung grüne Gentechnik grundsätzlich ablehnt.

    Dagegen hält Frédéric Vincent, der Kommissionssprecher, die neuen Zulassungsregeln für juristisch wasserdicht und verteidigt sie: Der EU-Binnenmarkt sei von den Plänen doch gar nicht betroffen – schließlich gehe es nicht um den Handel von gentechnisch verändertem Saatgut, sondern nur um dessen Anbau.

    Und auch bei der Welthandelsorganisation sieht er keine Probleme für das geplante System, wonach jeder Mitgliedsstaaten nach eigenem Geschmack entscheidet, welche Genpflanzen wachsen dürfen:

    "Wir haben darüber mit unseren Partnern in Nord- und Südamerika schon diskutiert. Wir werden in den nächsten Monaten sehen, wie sich die Debatte bei uns entwickelt. Aber wir vertrauen darauf, dass unser System den Prüfungen standhält."

    Ob diese Zuversicht begründet ist – das könnte sich erst zeigen, wenn die EU-Staaten eines Tages tatsächlich selbst entscheiden, welche Genpflanzen sie auf ihre Felder lassen.