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"Widerstand im Parlament und in der Bankenlobby ist riesig"

Ein Jahr nach der Insolvenz von Lehman Brothers sieht Matthias Eberle, Korrespondent des "Handelsblattes" in New York, erheblichen Widerstand gegen Präsident Barack Obamas Absichten, schärfere Regeln auf den Finanzmärkten zu etablieren.

Matthias Eberle im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.09.2009
    Friedbert Meurer: Das Bankhaus Lehman war bis vor einem Jahr eines der größten Investmenthäuser in den USA. In ihrem Büroturm agierten die Broker, so wie man sich das wohl vorstellen muss, wenn man den Roman von Tom Wolfe gelesen hat, "Fegefeuer der Eitelkeiten", der die Broker als selbsterklärte "Master of Universe" darstellt. Aber der 15. September 2008 markiert das damals für viele unfassbare Ende einer mächtigen Bank. Die US-Regierung – dies zur Erinnerung – verweigerte Staatshilfen für Lehman und dann musste die Bank Pleite anmelden, Insolvenz anmelden und das Unheil nahm von da ab seinen Lauf. – In New York bin ich verbunden mit dem Korrespondenten des "Handelsblatts", Matthias Eberle. Guten Morgen beziehungsweise guten Abend nach New York, Herr Eberle.

    Matthias Eberle: Schönen guten Abend!

    Meurer: Blicken wir zurück vor einem Jahr. Können Sie sich noch erinnern, wie Sie damals den Tag erlebt haben?

    Eberle: Ja. Es war natürlich sehr hektisch, sehr stressig. Keiner wusste natürlich lange was Genaues. Ein sichtbares Zeichen von außen, dass es irgendwie ein bemerkenswertes Wochenende wird, ist meistens, wenn man in die Stadt schaut. Normalerweise gehört Manhattan Samstags und Sonntags ja ausschließlich oder fast ausschließlich den Touristen, aber wenn dann übers ganze Wochenende schwarze Limousinen in der Zentralbank ein- und ausfahren und überall Absperrgitter stehen und Fernsehteams, dann kann man doch gut erkennen, dass an der Wall Street dann Außergewöhnliches passiert.

    Meurer: War Ihnen damals vor einem Jahr klar, was das bedeutet, was jetzt passiert, nachdem Lehman Insolvenz anmelden musste?

    Eberle: Ich meine, man war im Grunde vorgewarnt. Wir hatten ja im März den Fast-Abgang von Bear Stearns und im Grunde hatte man einen ähnlichen Ausnahmezustand auch an diesem Wochenende im März schon. Man hat Angst gehabt, sobald die Börsen in Asien eröffnen, dass es da zu gravierenden Folgeschäden kommt, mit dem einen Unterschied im März, dass Washington da noch mal den Deckel draufgemacht hat. Bei Lehman Brothers war eben lange im Grunde die ähnliche Frage: Wird man erneut versuchen, eine Investmentbank zu retten, die sich einfach im Kasino völlig verspielt hat? Ich glaube, man hat sehr wohl gewusst: Wenn es denn passiert, wenn man Lehman Brothers Pleite gehen lässt, dann wussten im Grunde alle, wenn so ein großer Handelspartner über Nacht ausfällt, dann platzen Tausende von Wetten an den Finanzmärkten und irgendwie wird es jeden treffen. Es weiß nur im Vorfeld keiner, wie genau und wie stark.

    Meurer: Man wollte ja damals sozusagen ein Exempel an der Kasinospielerei bei Lehman statuieren. War das ein Fehler gewesen im Nachhinein betrachtet?

    Eberle: Ich glaube, natürlich hat das Finanzministerium wie vermutlich ja die große Mehrheit unterschätzt, dass Bankpleiten in der globalisierten Finanzwelt unglaublich schwer zu kontrollieren sind. Man hat es wohl gehofft, dass man das unter Kontrolle behalten kann, aber die Realität hat eben anderes gezeigt. Dabei ist Lehman ja im Grunde keine überragend große Bank, aber bei solch außergewöhnlichen Ereignissen kommen dann eben Sachen hinzu wie menschliche Panik, die im Grunde kein Risikomanager in seinen Modellen hat, auch nicht, wenn er wie Ex-Finanzminister Paulson von Goldman Sachs kommt. Man hat dann eben diesen Sturm auf die Banken, etwa bei Northern Rock in Großbritannien – alle wollten plötzlich Geld abheben, nichts scheint mehr sicher, keine Bank traut mehr der anderen und der Kreditmarkt friert völlig ein -, und so entstehen dann eben diese großen Finanzkrisen, wie sie zum Glück nur alle paar Jahrzehnte vorkommen.

    Meurer: Um zu verhindern, dass so etwas schon bald wieder vorkommt, Herr Eberle, hat ja US-Präsident Barack Obama gestern schärfere Regeln gefordert, die für die Wall Street gelten sollen. Er hat eine Rede vor dem Kongress gehalten; im Kongress gibt es aber erheblichen Widerstand gegen seine Absichten. Wird Obama den Kampf gegen die Wall Street verlieren?

    Eberle: Ich würde sagen, nach allem, was man aus der Vergangenheit weiß, wenn man ein bisschen in die Geschichtsbücher schaut, dann droht er, den Kampf zu verlieren wie viele vor ihm. Das Muster, das sich da aus der Vergangenheit zeigt, ist im Grunde immer das gleiche. Auf dem Höhepunkt der Krise wird laut nach der größtmöglichen Regulierung geschrien und sobald die Wirtschaft wieder anläuft, dann erlahmt der Reformeifer. Es war gerade auch gestern zum Jahrestag wieder auf allen Fernsehkanälen in Amerika zu hören, warum soll man es jetzt, da die Wirtschaft im nächsten Jahr ja wieder mit zwei, drei Prozent wachsen soll, nicht einfach laufen lassen. Meiner Meinung nach: Die Grundzüge der Finanzmarktreform, die Obama gestern noch mal erörtert hat, sind im Grunde seit Monaten bekannt, sprich höhere Kapitalanforderungen für Banken, neue Gesetze zum Verbraucherschutz, und auch der Kampf dafür, dass die Regeln international angeglichen werden. Das ist im Grunde auch alles richtig und Konsens, aber aus meiner Sicht treibt er das Thema längst nicht so voran wie etwa die Gesundheitsreform, die zuletzt deutlich in den Vordergrund gerückt ist in den USA.

    Meurer: Wieso nicht Ihrer Meinung nach?

    Eberle: Ich habe einfach den Eindruck, dass der Widerstand im Parlament und natürlich auch in der Bankenlobby riesig ist. Der US-Präsident hat bei der Bankenreform natürlich das große Problem, dass er die Wall Street ja zwingend braucht, wenn das Land wieder nachhaltig auf die Beine kommen soll. Ohne die Kredite der Banken kommen die Unternehmen nicht auf die Füße und wenn die Firmen nicht bald wieder Jobs schaffen, dann wird das Disaster am Arbeitsmarkt jede Erholung sofort wieder zunichte machen. Insofern ist er sicher hin- und hergerissen. Auf der einen Seite muss er natürlich auf die Straße, auf die Main Street, wie man in Amerika gerne sagt, schauen. Da will man natürlich schärfere Kontrollen für eben diese Exzesse am Finanzmarkt sehen. Aber er muss natürlich auch einfach aufpassen, dass ihm die Wirtschaft nicht völlig wegbricht.

    Meurer: Matthias Eberle, der Korrespondent des "Handelsblattes" in New York, ein Jahr nachdem die Lehman Brothers Bank Insolvenz anmelden musste. Herr Eberle, schönen Dank und auf Wiederhören nach New York.

    Eberle: Vielen Dank!