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Widerstand und Revolution

Vier Festivals finden in diesem Monat in New York statt – zu den etabliertesten gehört wohl das "Under The Radar"-Festival des Public Theatres. Viele Stücke beschäftigen sich mit dem Thema der politischen Veränderung und suchen neue Ansätze, dem Einzelnen Gehör zu verschaffen.

Von Andreas Robertz | 10.01.2012
    Das "Under The Radar" Festival ist in diesem Jahr deutlich kleiner ausgefallen. Statt 23 im Vorjahr sind diesmal 15 Produktionen eingeladen, unter anderem aus Polen, Japan, Italien, Deutschland und zum ersten Mal der Türkei. Mark Russell, der künstlerische Leiter des Festivals, hat dieses Jahr vor allem nach der Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Ereignissen und einer künstlerischen Verhältnisbestimmung zwischen Widerstand und Revolution gesucht. Und er hat ästhetisch wie inhaltlich sehr unterschiedliche Ansätze gefunden.

    Sei es nun das wütende Punkrock Theater des polnischen Regisseurs Radoslaw Rychcik oder das Puppen-Theater des britischen Blind Summit Theatre, die improvisierte Videokunst des Berliner Gob Squad Ensembles oder der Video-Perfektionismus der New Yorker The Builders Association, in allen Produktionen versuchen die Beteiligten eine neue Standortbestimmung zwischen einem Gefühl der Ohnmacht des Individuums und der Allmacht des sie umgebenden politischen Systems zu finden.

    In dieser Tradition des politischen Theaters sind auch neue Kooperationen für das Festival entstanden. So konnte das berühmte La Mama Theater im East Village, der Geburtsort des Off-Off-Broadways, und das japanische Kulturinstitut als zusätzliche Spielstätte und feste Partner dazugewonnen werden. Das ist besonders im letzten Fall sinnvoll, da mit der Arbeit von Toshiki Okada und Hideki Noda, zwei der wichtigsten Stimmen der experimentellen japanischen Theaterszene zum Festival eingeladen wurden.

    "Hot Pepper, Air Conditioner, and the Farewell Speech" von Toshiki Okada lautet der Titel für drei Szenen aus dem Alltag von jungen Büroangestellten. Sie handeln von der Vorbereitung einer Abschiedsparty für eine plötzlich entlassene Kollegin, ihre Abschiedsrede und eine Unterhaltung über Arbeitsbedingungen. In allen Szenen kombinieren die Spieler repetitive fragmentarische Bewegungen, sinnentleerte Gesten und hilflose Gebärden, mit ihren Monologen, die nicht wirklich in Zusammenhang mit dem zuvor Gesagten stehen. Dadurch entstehen manchmal komische, streckenweise faszinierende, zuweilen völlig autistische Situationen, die wie ein absurd-abstrakter Kommentar auf die ritualisierte japanische Alltagswelt wirken.

    Hideki Nodas Stück "The Bee" dagegen arbeitet mit viel Slapstick und einem Humor, der aus den Manga-Comics entnommen ist. Ein aus dem Gefängnis entlaufender Mörder versucht mit der Geiselnahme der Familie eines Geschäftsmannes das Wiedersehen mit seiner eigenen Familie zu erzwingen. Als der Geschäftsmann erkennt, dass die Polizei nicht wirklich eingreifen wird und die Ehefrau des Mörders sich weigert ihren Mann zu sehen, entführt er seinerseits die Familie des Mörders. Aus dem völlig neuen Gefühl der Macht heraus, vergewaltigt er dessen Frau und schickt dem Mörder jeden Tag, den die Entführung andauert, einen abgeschnittenen Finger seines Sohnes. Es entwickelt sich ein makabres Spiel zwischen beiden Entführern: Nachdem beide Kinder und Frauen verblutet sind, beginnen die Männer ihre eigenen Finger zu verschicken - ein zynisch-makabrer Kommentar auf die Unfähigkeit es Individuums, immer das Gesamtwohl einer Situation im Auge zu haben. Ein Stück, das übrigens durch eine wahre Geschichte inspiriert ist.

    Ganz anders der Abend "Alexis - a Greek Tragedy" der italienischen Theatergruppe Motus. 2008 wird in Athen der Jugendliche Alexis Grigoropoulos brutal von einem Polizisten ermordet. Die darauf folgenden Unruhen und Demonstrationen waren der Anfang einer Protestwelle gegen die Willkür des politischen Systems, die bis heute nicht abgebrochen ist, sondern durch die Eurokrise an Stärke eher noch dazugewonnen hat. In Alexis entdecken die vier Schauspieler von "Motus" eine Antigone-Figur und machen sich mit einer Videokamera auf die Suche nach den Spuren der damaligen Tragödie. Sie interviewen lokale Künstler und Aktivisten und zeichnen damit ein Bild des heutigen Griechenlands.

    Auf leerer Bühne schiebt die Antigone-Darstellerin einen Videoprojektor umher und projiziert ihren Film in verschiedenen Größen auf eine große Leinwand, auf die Seitenwände und schließlich aufs Publikum. Immer wieder laufen die Darsteller zwischen brennenden Tischen und gelbem Gegenlicht umher und kreieren die Atmosphäre von Straßenblockade. Dann spielen sie wieder eine leidenschaftliche Szene zwischen Creon und Antigone. Viele der Szenen werden mit einem Laptop aufgenommen und zeitversetzt wieder abgespielt und oft ist einfach nur das Atmen der Spieler durch die Verstärkung der Mikroports zu hören. Es entsteht ein ungeheuer physischer Abend auf der Suche nach der Kraft der einzelnen Stimme gegen ein System der Unterdrückung. Zuweilen schaffen die Schauspieler es sogar, Teile des Publikums auf die Bühne zu holen, um mit ihnen einen Gestus des Widerstandes zu finden.

    Dadurch erzeugt dieser Abend eine Unmittelbarkeit und Energie, die man selten am Theater findet. Es tut gut, ein Theater zu sehen, dass sich ernsthaft mit dem Thema der politischen Veränderung beschäftigt und neue Ansätze sucht, dem Einzelnen Gehör zu verschaffen. In einem Interview mit einem der griechischen Aktivisten aus "Alexis" antwortet dieser auf die Frage, was die Schauspieler denn tun können: "Da braucht es schon mehr als Kunst, um etwas auszurichten". Und obwohl dies vielleicht politisch stimmen mag, auf dem Festival stellt sich ein hellwaches Theater vor, das sich mit diesen Umständen nicht abfinden will. Man sollte diesen Verbündeten nicht unterschätzen.