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Widerstandskämpfer neben Stauffenberg

Viele am Hitler-Attentat des 20. Juli 1944 Beteiligte haben im Vergleich zu Graf von Stauffenberg nicht die ihnen gebührende Würdigung erfahren, findet Antje Vollmer. Die Grünen-Politikerin hat ein Buch über "Das Schicksal der unbekannten Verschwörer" geschrieben und sagt, die Deutschen hätten sich "für die Widerstandskämpfer sehr wenig interessiert."

Antje Vollmer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.07.2013
    Christoph Heinemann: Die Namen von Stauffenberg, von Tresckow, Goerdeler oder Beck werden die meisten Menschen hierzulande mühelos mit dem 20. Juli 1944 in Verbindung bringen, dem Versuch einiger Offiziere und Zivilisten, Adolf Hitler zu töten und Waffenstillstandsverhandlungen einzuleiten. Anders verhält es sich, wenn man Bürgerinnen und Bürger nach Friedrich Karl Klausing, Erich Fellgiebel oder Georg Schulze-Büttger fragt. Das hat Marlene Petermann für uns auf einer Kölner Straße festgestellt.

    "Die Namen sind mir nicht geläufig." – "Noch nie gehört!" – "Kenne ich leider alle drei nicht." – "Kenne ich alle nicht." – "Man kennt nur Stauffenberg." – "General von Stauffenberg." – "Also Stauffenberg fällt mir halt ein. Das ist ja jetzt in letzter Zeit auch durch den Film jetzt noch mal aufgewärmt worden. Aber ansonsten, nee."

    Heinemann: Klausing, Fellgiebel, zu Dohna-Tolksdorf, von Bernstorff, von Oven, von Plettenberg, Schulze-Büttger, von Breidbach-Bürresheim – diesen Beteiligten am Widerstand haben die Politikerin der Grünen Antje Vollmer und der Journalist Lars-Broder Keil ein Denkmal gesetzt. "Stauffenbergs Gefährten – das Schicksal der unbekannten Verschwörer" heißt das Buch, insgesamt zehn Porträts. - Vor der Sendung habe ich die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, gefragt, wieso diese Verschwörer weitgehend unbekannt geblieben sind.

    Antje Vollmer: Weil sich die Deutschen für die Widerstandskämpfer sehr wenig interessiert haben. In der ersten Nachkriegszeit hielten sie die für Verräter. Es fühlten sich, glaube ich, auch viele moralisch zu stark unter Druck. Und hinterher war dieses ganze Milieu, aus dem sie kamen – es waren ja Militärs -, auch suspekt: Konservative Militärs, viele Adelige darunter, damit mochte man sich nicht identifizieren und dafür interessierte man sich eigentlich auch nicht.

    Heinemann: Bereits 1938 gab es einen Widerstand gegen Hitler, auch Widerstand vonseiten von Offizieren. Dem wurde mit dem Münchener Abkommen der Einigung, also mit Briten und Franzosen, auch bekannt geworden als Appeasement-Politik, der Wind aus den Segeln genommen. Wieso hat es dann sechs Jahre bis zum nächsten ganz konkreten Versuch hoher Offiziere gedauert?

    Vollmer: Einmal wollten die damals einen Hochverratsprozess gegen Hitler, und zwar darauf gestützt, dass die Deutschen kriegsmüde werden nach dem Ersten Weltkrieg, und wollten dann sagen, Hitler treibt wahnsinnigerweise Deutschland in einen neuen Krieg, und so wollten sie ihn dann absetzen. Dann war aber dieser Tag gekommen und die Engländer hatten Hitler als Friedensfürsten dekoriert, und das muss einen ziemlichen Schock bei den Verschwörern ausgelöst haben. Führende Generäle haben sich dann nicht mehr getraut. Der wichtigste, Beck vom Generalstab, ist zurückgetreten aus Anstand. Heute würde man sagen: Wäre er geblieben, dann hätte er bald eine zentrale Machtposition gehabt. Und dann gab es den Krieg und Hitler siegte und siegte und siegte, und selbst ein so starker Hitler-Gegner wie Hammerstein hat gesagt, macht es nicht zu früh, dann habt ihr die Bevölkerung nicht hinter euch.

    Heinemann: Frau Vollmer, wir wollen uns einige der unbekannten Verschwörer anschauen. Dass der Hauptmann Friedrich Karl Klausing vor dem Volksgerichtshof stehen würde, das war ihm 24 Jahre zuvor an der Wiege nicht gesungen worden, denn Klausing entstammte einem stramm nationalsozialistischen Elternhaus. Wie wurde er trotz dieser Prägung zum Gegner Hitlers?

    Vollmer: Er kam aus so einer richtigen Nazi-Professoren-Karrierefamilie. Sein Vater war dann Rektor der Karls-Universität in Prag unter der Besetzung. Er kam als Offizier in die Nähe von Leuten wie Schulenburg, Axel von dem Bussche, und da er ein sehr grüblerischer, aber auch redlicher Mensch war und dann in Russland vieles gesehen hat, hat er sich dann auf die Anfrage von Stauffenberg, ob er sein Ordonnanzoffizier ist, nicht verweigert. Der war an dem 20. Juli krank, sonst hätte er den Sprengstoff in der Tasche gehabt, mit dem er Stauffenberg begleitet hätte.

    Heinemann: Sie haben ihn als "Parzival" beschrieben.

    Vollmer: Ewald Heinrich von Kleist, der ihn gut kannte, der sein Fähnrich war und ihn, glaube ich, bis zum Ende seines Lebens sehr geliebt hat, der hat ihn so genannt, und er meinte damit, dass das ein Mensch mit einer eigentlich reinen Seele in sehr komplizierten Machtverhältnissen war und dass der sich durch eine besondere Anständigkeit auszeichnete. Er hat noch im Bendlerblock - obwohl er krank war, ist er in den Bendlerblock gegangen am 20. Juli, galt als einer der tapfersten und hat sich dann auch intensiv um die Jüngsten gekümmert in dem Raum, dass sie doch möglichst noch fliehen sollten, und hat auch selbst versucht, Stauffenberg noch mit der Pistole zu verteidigen.

    Heinemann: Klausings Vater, der Nazi-Direktor der Universität Prag, beging Selbstmord, getrieben von einem SA-Kumpanen, um, wie das damals hieß, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Wie hat sich der Sohn nach dem Todesurteil von dieser schwierigen Familie verabschiedet?

    Vollmer: Das ist einer der gruseligsten Briefwechsel - die haben sich ja gegenseitig nicht erreicht - die man kennt. Der Vater verabschiedet sich mit einer Eloge auf den Führer und das Deutsche Reich und diesem Wunsch, mit seinem Selbstmord den Ehrenschild der Familie reinzuwaschen, und der Sohn sagt seinen Eltern, streicht mich aus den Annalen der Familie. Er ahnt, welcher Geist in seinem Elternhaus ist, und er versucht dann offensichtlich noch, seine Mutter und seine Schwester zu schützen.

    Heinemann: Frau Vollmer, General Erich Fellgiebel war einer der höchsten Nachrichtenfachleute der Wehrmacht. Noch im Film "Operation Walküre" mit Tom Cruise wird Fellgiebel als betrunkener Zauderer dargestellt. Wie ist dieses Bild entstanden?

    Vollmer: Das ist so merkwürdig. Wir haben so wenige Attentäter und sind so besonders interessiert daran, dass sie Versager waren. So ist ja auch dieses Bild, dass man sagt, der Fellgiebel hätte es in der Hand gehabt, doch das Unternehmen dadurch zu retten, dass er die ganze Leitung abgesperrt hätte.

    Heinemann: Die Leitung des Führerhauptquartiers in der Wolfsschanze.

    Vollmer: … Führerhauptquartier zum Bendlerblock. – Wir haben recherchieren können, Herr Keil, der sich gerade mit dieser Person sehr beschäftigt hat, mein Co-Autor, dass das eine reine Denunziation ist, dass Fellgiebel eine sehr aufrechte Geschichte hatte, dass der um sich herum ein richtiges Verschwörernetz organisiert hat und dass dann die Absperrung deswegen gar nicht klappen konnte, weil das System so perfekt war. Das war auf dezentrale Nachrichtensendung ausgerichtet.

    Heinemann: Das System, also die Kommunikation des Führerhauptquartiers.

    Vollmer: … die Kommunikation des Führerhauptquartiers mit den verschiedenen Stationen. Das hätte niemand. Die Perfektion von Fellgiebel hatte das vorher so organisiert, dass niemand das hätte generell stoppen können. Aber es wäre auch ganz unsinnig gewesen. Er hat am 20. Juli das gemacht, was er tun konnte: Er hat die Nachrichten unterbrochen und er hat den Verschwörern in Berlin gesagt, Hitler ist nicht tot, ihr müsst jetzt handeln.

    Heinemann: Und wie konnte dieses Bild über Fellgiebel so lange Bestand haben?

    Vollmer: Weil es einen aus dem Kreis der Verschwörer gab, der dieses Stichwort als Erster gesagt hat, nämlich das ist Hans Bernd Gisevius. Das ist eine der merkwürdigsten und für mich auch unheimlichsten Figuren in dem Zusammenhang, selber ein Gestapo-Mann. Dieser hatte sehr enge Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst USS, dem späteren CIA-Chef Allen Dulles, und der ist zehn Tage vor dem 20. Juli nach Berlin gekommen, um offensichtlich die Verschwörer vom Attentat abzuhalten. Die haben alles vorbereitet für das Attentat und da kommt einer und sagt, ihr müsst das ganz anders machen, und er wollte, dass sie die Westfront aufmachen und die Amerikaner ganz schnell Deutschland einnehmen lassen, damit die Russen es nicht bekommen. Er war also ein massiver Antikommunist und hat dann unterstellt, die Verschwörer in Berlin wollten mit den Russen verhandeln. Also eine Denunziation ganz im Stile des Kalten Krieges, und da sieht man: Die Ideologie des Kalten Krieges, der große Interessenkonflikt zwischen Ost und West, der hat schon im Verhalten gegenüber den Verschwörern eine wichtige Rolle gespielt und dazu geführt, dass auch der Westen die nicht unterstützt hat.

    Heinemann: Gisevius als Vertreter der Westlösung – Sie haben sie beschrieben: Verzicht auf das Attentat, dafür eben die Westfront öffnen, damit die Amerikaner und Briten möglichst vor den Russen Berlin erreichen könnten. Wie haben die Hauptakteure diese Möglichkeit diskutiert?

    Vollmer: Erstens haben sie auch darüber nachgedacht. Es stimmt eben nicht, sie waren ja eigentlich westlich denkende Menschen. Aber sie wollten ein Moment von Selbstbefreiung. Und sie haben gesagt, dieses Minimum an Ehre müssen wir beweisen, dass wir alles versuchen, um aus eigener Kraft wenigstens den Anfang zu machen. Dann haben auch sie daran gedacht, den Krieg sofort zu beenden und die Westgrenze aufzumachen. Aber diese Alternative war eben falsch und diese Denunziation ist schon schändlich, denn ausgerechnet dieser Gisevius hat überlebt mit dem Schutz der Verschwörergemeinde und hat dann hinterher das erste Buch geschrieben, was schon alle Stichworte enthält, mit denen man hinterher in Deutschland nicht so besonders ehrenvoll an die gedacht hat. Der Versager Fellgiebel, der für die Ostideologie anfällige Stauffenberg, der außerdem als Militär versagt hat, all dieses taucht in dem Bericht von Gisevius auf, und das war nun ein Zeitzeuge. Er war im Bendlerblock an diesem Tag. Er hat übrigens nicht viel zur Hilfe und zum Gelingen des Attentats beigetragen.

    Heinemann: Antje Vollmer, die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Co-Autorin des Buchs "Stauffenbergs Gefährten – das Schicksal der unbekannten Verschwörer". Das Gespräch haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.