Freitag, 29. März 2024

Archiv


Widerstandskämpfer und Scherge der SS

Der algerische Autor Boualem Sansal ist bekannt für seine unerbittliche Sicht auf den Albtraum der Geschichte, der Algerien bis heute beherrscht. Nun liegt ein neuer Roman vor und darin wagt Sansal eine Parallele zu ziehen zwischen der Shoah und den Methoden der Islamisten, die in den tristen Pariser Vorstadtsiedlungen ihr Unwesen treiben.

Von Claudia Kramatschek | 06.07.2009
    Befragt nach den politischen Verbindungen zwischen Deutschland und Algerien, dürfte man bis dato vor allem an das wirtschaftliche Interesse denken, das Deutschland an den algerischen Bodenschätzen hegt. Boualem Sansal aber enthüllt in seinem neuem Roman "Das Dorf des Deutschen" eine ganz andere - und historisch für beide Länder erschreckende Verwicklung: Die Tatsache nämlich, dass in den einstigen Reihen der algerischen Widerstandskämpfer beim Ringen um die Unabhängigkeit des Landes auch alt gediente Nazis zu finden waren.
    Mit dieser so überraschenden wie niederschmetternden Erkenntnis sehen sich auch die beiden algerischen Brüder Rachel und Malrich Schiller konfrontiert, die seit ihrer Kindheit in einer jener tristen Vorstadtsiedlungen von Paris aufgewachsen sind, in denen die muslimische Mehrheit eine bedrohliche Parallelgesellschaft darstellt. Beider Eltern - der Vater ist ein Deutscher, die Mutter eine Algerierin - leben noch immer in Algerien, wo mittlerweile - wir sind im Jahre 1994 - der algerische Bürgerkrieg tobt. Tatsächlich fallen die Eltern eines Tages bei einem Überfall auf das Dorf, in dem sie leben, den Islamisten zum Opfer. Rachel, der Ältere, reist nach Algerien - und stößt dort auf einen alten Koffer, der ihm eröffnet, dass der Vater nicht nur der im Dorf verehrte Widerstandskämpfer war, sondern auch ein Scherge der SS, der sich der Vernichtung der Juden schuldig gemacht hat.

    Papiere, Fotos, Briefe, Zeitungsausschnitte, eine Illustrierte. Vergilbt, eingerissen, stockfleckig. Eine alte, aus dem vorigen Jahrhundert stammende Uhr aus gehärtetem Stahl, stehen geblieben um 6 Uhr 22. Drei Medaillen. Rachel hatte sich informiert, die eine ist das Abzeichen der Hitlerjugend, die zweite ist eine Medaille der Wehrmacht, erworben im Kampf. Die dritte ist das Abzeichen der Waffen-SS.

    Für Rachel und Malrich bricht eine Welt zusammen - und sie stehen vor der schmerzlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, mit der Frage der Schuld. Die Antwort der beiden Brüder - festgehalten in ihrem Tagebuch, das zugleich stellvertretend zu lesen ist für die Spiegelung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, die Sansal in diesem Roman vollzieht - könnte nicht unterschiedlicher sein: Rachel bereist all jene Stätten der Vernichtung, an denen der Vater dem Töten gedient hat. Am Ende zerbricht er an seinem Wissen und wählt den Sühnetod, den der Vater in seinen Augen durch die Flucht nach Algerien vereitelt hat.

    Malrich dagegen führt die Auseinandersetzung mit dem Schrecken der Vergangenheit in die Abgründe seiner eigenen Gegenwart: Ihm scheinen die Methoden der Islamisten in den Vorstädten von Paris - Stichwort Indoktrination, Gleichschaltung, Antisemitismus, Hass auf alles, was anders ist - wie eine beängstigende Wiederholung dessen, was die Nazis den Juden angetan haben.

    Können sich solche Dinge wiederholen? Ich sage mir, das es unmöglich ist, aber wenn ich sehe, was die Islamisten bei uns und anderswo veranstalten, sage ich mir, dass sie die Nazis übertreffen werden, wenn sie eines Tages an der Macht sind. Sie sind zu erfüllt von Hass und Anmaßung, um sich damit zu vergnügen, uns zu vergasen. Ich frage mich, was wir tun können, um sie daran zu hindern, die Leute sagen nichts und die Polizei hält sich fern.

    Sansal zieht somit einen so brisanten wie gewagten Bogen von der jüngeren Geschichte bis in die unmittelbare Gegenwart hinein, und das anhand von beunruhigenden Fakten, mit denen er zugleich keine Seite verschont. Denn der grüne Faschismus etwa - wie Sansal den aktuellen Islamismus nennt - ist für ihn nicht denkbar ohne die Laxheit europäischer Regierungen, die schweigend tolerieren, was sie lauthals verdammen. Die Geschichtsverfälschung der Nazis verurteilt er ebenso wie das politisch gewollte Unwissen der muslimischen Länder in Bezug auf die Shoah. Doch der eigentliche Feind von Wahrheit und Freiheit, das macht Sansal in diesem sprachlich so eleganten wie inhaltlich so unerbittlichen Roman klar, sind nicht die Ideologien und die in ihrem Namen begangenen Verbrechen. Der eigentliche Feind sind wir, wenn wir schweigen, trotz allem.

    Das Schweigen ist die Verewigung des Verbrechens, es relativiert es, es verschließt ihm die Tür von Urteil und Wahrheit und reißt die des Vergessens, des Wiederbeginns weit auf.

    Nicht umsonst kreist der Roman daher auch um Primo Levis Buch "Ist dies ein Mensch" - denn auch Boualem Sansal legt mit Hilfe seiner beiden Wortführer Zeugnis ab, und das auf so mahnende wie unbequeme Weise. Manches in diesem Roman mutet einen an wie pure Provokation. Doch Boualem Sansal geht es um nichts weniger als die Wahrheit - und er weiß, dass die allein in eben jenen Grauzonen zu finden ist, wo Schwarz und Weiß sich nicht mehr trennen lassen.

    Boualem Sansal: Das Dorf des Deutschen oder Das Tagebuch der Brüder Schiller. Roman. Aus dem Französischen von Ulrich Zieger. Merlin Verlag 2009. 278 S., Euro 22,90