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Wie ein schwüler Traum

In ihrem Roman "Heim schwimmen" erzählt Deborah Levy gleichzeitig eine Geschichte vom Erwachsenwerden und die Geschichte einer Ehe. In einem Ton, der zwischen Beschwingtheit und schwarzem Humor balanciert, treibt sie ihre Protagonisten an den Abgrund.

Von Shirin Sojitrawalla | 21.08.2013
    Diesen Roman durchlebt man wie einen schwülen Traum: Seine Bilder flirren, die Sätze rotieren und die Handlung grollt wie ein Gewitter in Episoden heran. Auf bloß 160 Seiten rückt die 1959 in Südafrika geborene britische Schriftstellerin Deborah Levy ihr Personal an den Abgrund.

    Dabei gibt es kaum einen schöneren Ort auf der Welt, um ein Leben aus dem Ruder laufen zu lassen als die Côte d’Azur. Strahlend blauer Himmel, Zikadenzirpen, Lavendelduft. In einem Haus bei Nizza verbringt ein kleiner Trupp aus Großbritannien sein Sommerleben: der berühmte Schriftsteller Joe Jacobs und seine Frau, die ebenso berühmte Kriegsberichterstatterin Isabel sowie ihre gemeinsame Tochter Nina. Mit dabei ist auch noch ein befreundetes Ehepaar. Ihr aller Urlaubsalltag plätschert so dahin, bis Kitty Finch aus dem Swimmingpool auftaucht wie eine Meerjungfrau. Ein verrücktes Huhn, das unter Panikattacken, Depressionen und sonstigen seelischen Verstimmungen leidet und dem Dichter Joe verfallen ist wie einer Droge. Sie scheucht sie alle auf: den in Polen geborenen Schriftsteller, dem seine Kriegskindheit aufstößt wie Saures, seine Frau Isabel, die auf die 50 zugeht und unter ihrer zunehmenden Unsichtbarkeit ächzt und auch Nina, die Tochter, die viel mehr mitbekommt als ihre um sich selbst kreisenden Eltern.

    Der schmale Roman ist auch die Geschichte ihres Erwachsenwerdens in der betörend sonnigen Fremde. Es ist aber auch die Geschichte einer Ehe, die nicht unvermutet an ihr natürliches Ende gelangt. Beinahe mutwillig forciert Isabel den Abschied, indem sie der rot gelockten Kitty anbietet zu bleiben, ein Zimmer zu beziehen und ihren Mann gleich mit. Der ist ein notorischer Fremdgeher, einer, der den weiblichen Reizen erliegt wie bereitgestellten Knabbereien. Davon erzählt der Roman schlaglichtartig, indem er sein Personal in unterschiedlichen Situationen beäugt, mal in den Kopf von Joe blickt, dann wieder an der Seite von Isabel durch Nizza schlendert, um gleich darauf mit Nina pubertäre Gedanken zu wälzen.

    Die Handlung vollzieht sich im Jahr 1994 und umfasst gerade einmal eine Woche, alles wird im Rückblick erzählt. Dabei scheinen die Figuren wie in einer Blase zu schwimmen, neben den Genannten treten auch noch der deutsche Hausmeister Jürgen auf, der Strandbarbesitzer Claude und die extravagante Vermieterin des Anwesens. Ein buntes Völkchen, das sich seinem Leben hingibt wie einem giftigen Cocktail. Dabei versteht es die Autorin, ihren Ton auszubalancieren, manchmal tönt er beschwingt im Stile einer leicht bekleideten französischen Sommerkomödie, dann wieder inszeniert sie mit gnadenlosem Esprit ein Anti-Arkadien in den französischen Seealpen und grundiert alles mit schwarzem Humor. Ein rührender Epilog, den die Tochter im Jahr 2011 verfasst, bildet dann den treffsicheren Schlussakkord des Buches, das im vergangenen Jahr zu den Finalisten des Man Booker Prize gehörte.

    Seinen schönen Titel "Heim schwimmen" verdankt sich einem Gedicht, das Kitty Finch geschrieben hat und nun dem verehrten Dichter Joe zur Begutachtung überlässt. Der Titel verweist auch auf die Heimatlosigkeit, welche die Figuren des Romans so sehr bestimmt, dass sie zu gerne ausscheren, um endlich irgendwo anzukommen. "Das Leben ist nur lebenswert, weil wir hoffen, dass es irgendwann besser wird und dass wir alle wohlbehalten heimkehren", beschreibt Kitty Finch dieses Lebensmodell einmal. Sie selbst bekämpft das Leben mit Tabletten, Isabel versenkt ihren Alltag stattdessen in die Kriegsgräuel fremder Länder und Joe versucht, sich mit Frauen und Schreiben zu trösten. Kitty ist dabei das schillernde Zentrum dieses abgründigen Romans, eine verkorkste Schönheit, die den anderen zum Verhängnis wird. Unberechenbar ist sie allemal und darin eine schöne wie leichte Variante von Stephen Kings Krankenschwester Annie aus dem Roman "Misery". Kittys Stalking-Qualitäten sind aber vergleichsweise sanftmütig und unbrutal, wenn auch nicht weniger tödlich.

    In jedem Fall bereitet Deborah Levy in ihrem Roman das Leben als Kriegsschauplatz, umkreist ihre Figuren und die menschliche Natur in halluzinatorischer Vagheit und verhilft dabei dem kühlen Begehren ebenso zu seinem Recht wie der Unwägbarkeit des Daseins.


    Deborah Levy: Heim schwimmen. Roman.
    Aus dem Englischen von Richard Barth.
    Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013, 162 Seiten, 17,90 Euro