Freitag, 29. März 2024

Archiv


Wie Fukushima Gesellschaft und Kunst verändert hat

Wie verändern historische, politische, ökologische Ereignisse die Gesellschaft und ihre Kunst? Der japanische Autor Toshiki Okada hat diese Fragen für eine Performance im Theater Hebbel am Ufer in Berlin reflektiert, die den Atom-GAU von Fukushima zum Anlass hat.

Von Eberhard Spreng | 24.10.2013
    "Die Bühne ist der Ort, an dem Geister in Erscheinung treten". Dieser Text wird auf eine breites Kreuz projiziert. Es dient als Fläche für englische und deutsche Übertitelungen. Dieser Satz, der während des ersten Auftritts fällt, verweist auf das Vorbild des Nō-Theaters, dem sich der junge japanische Autor und Regisseur verpflichtet fühlt, eine Theaterform, in der immer wieder Geister von Verstorbenen auftreten. Der Satz ist aber auch Leitmetapher für den eineinhalbstündigen Abend: Was wir sehen, sind Sendbotschaften aus einem Japan, von dem man nicht sicher sein kann, ob es überhaupt noch existiert. Zunächst ist in den locker aneinandergereihten, solistischen Auftritten von einem japanisch-chinesischen Krieg die Rede und kurz möchte man meinen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts dämmere hier wieder auf, die des zweiten japanisch-chinesischen Krieges etwa. Dann aber wird deutlich, dass Toshiki Okada in seiner theatralen Performance eine in die Zukunft projizierte Angstvision inszeniert, eine Elegie über den Verlust eines Landes.

    Den Abend begleiten die Soundscapes der Gruppe Sangatsu. Gelegentlich auch durchs Schlagzeug vorangetrieben, treten die verschiedenen Figuren als Chiffren gesellschaftlichen Verhaltens auf. Arbeit und Wiederaufbau predigt einer vor ihnen, eine andere beklagt in überpurzelnden Wortkaskaden in atemberaubendem Tempo den Untergang der japanischen Sprache. Im Zentrum aber steht eine schwangere Frau, die sich fragt, in welchem Land sie ihr Kind zur Welt bringen soll. Ein Theater der Entfremdung hat man die Arbeit des 40-jährigen Autors genannt. Tatsächlich stecken seine Figuren in unterschiedlichen, gehemmten Bewegungsticks, laufen wie gelähmt und gebeugt über den schmalen Laufsteg auf der Vorderbühne. Sie sind der Normalität entrückt, ohne aber in eine Traumwelt zu entführen; zu provisorisch, zu skizzenhaft ist das Gestische in dieser Arbeit.

    Ein depressives, orientierungsloses Japan porträtiert Toshiki Okada, und unschwer lässt sich der Hintergrund für diese Geisteshaltung ausmachen, die dann auch am Folgetag im HAU Thema einer Diskussion mit anderen japanischen Künstlern war: Fukushima und seine Folgen für Kunst und Gesellschaft in Japan. Zu groß war die Erschütterung, zu umfassend die Katastrophe, als dass sich die Krise mit üblichen politischen Verfahren bewältigen ließe. Mehr noch, der Musiker Otomo Yoshihide, der Video und Installations-Künstler Tadasu Takamine und Toshiki Okada beklagen einen Realitätsverlust und den Verlust der Grundvoraussetzungen für die Dialektik von Wirklichkeit und künstlerischer Reflexion.

    Da Japans Version der Moderne ohne Atmokraft nicht zu denken ist, das Gesellschaftsmodell Kernenergie geradezu voraussetzt, waren die Spätfolgen von 3/11, dem Tsunami vom 11. März 2011, die Spaltung der Gesellschaft, totale Desorientierung und Apathie, ein Zustand - das wurde in der etwas ermüdenden Diskussion deutlich - dem künstlerisch schwer beizukommen ist, wie Moderator Christoph Gurk konstatieren musste.

    "Es gibt eine Unschärfe der Wahrnehmung, was eigentlich real ist. Radioaktivität und die Bedrohungslage beruhen irgendwie auf Gerüchten, und irgendwie verschmelzen Fiktion und Wirklichkeit miteinander auf unterschiedliche Weise und ein Problem ist die Unwägbarkeit und Unfassbarkeit der Situation, in der man sich da befindet, und deshalb gibt es eben sehr viel unterschiedliche Auslegungen darüber."

    Nichts Genaues weiß man nicht. Bei Phänomen wie radioaktiver Verstrahlung versagen künstlerische, politische, gesellschaftliche Strategien und die Jahrtausende alten Routinen menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnisfähigkeit. Kernenergie ist eben, wie die japanische Ratlosigkeit zeigt, nicht nur technisch nicht zu beherrschen, sie ist auf elementare Art und Weise inkompatibel mit dem Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen auf diesem Planeten. In diesem Sinne ist bei allem Lobenswerten in ihren diversen Ansätzen die Ratlosigkeit der japanischen Künstler keine schlechte Nachricht, sondern Ausdruck für den erlittenen Verlust von Zukunft.