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Wie gerecht ist die Wehrpflicht?

Mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes und der deutschen Wiedervereinigung hat sich die Situation der Bundeswehr grundlegend verändert. Inzwischen wird Deutschland "am Hindukusch verteidigt", wie es der ehemalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck formulierte. Grund genug, um in Deutschland über die Wehrpflicht zu diskutieren - und ihre Gerechtigkeit.

Von Paul Elmar Jöris und Christoph Gehring | 05.08.2009
    "Hier wird die gesamte Fracht für den Lufttransport vorbereitet, bzw. die Fracht, die mit Luftfahrzeugen angeflogen wird zum Straßentransport vorbereitet und die gesamte Fracht - rein wie raus - wird natürlich auch zolltechnisch gestellt. All das findet hier statt", "

    sagt Hauptmann Burghard Bethke, der Kommandeur des Luftumschlagzuges am Köln-Bonner Flughafen.

    "Weltweit geht die Fracht. Also im Schwerpunkt derzeit in Richtung Afghanistan."

    Der Obergefreite Tarek Grimm fährt den Gabelstapler:

    " "Ich bin ein Luftwaffentransportsoldat. Das heißt, dass ich die Flugzeuge belade und entlade. Die Soldaten, die fliegen ja auch nach Afghanistan, die haben auch Gepäck dabei und das tue ich halt packen, also palettieren und dann ins Flugzeug rein, damit es nach Afghanistan kommt."

    Ohne die Versorgungsflüge von Köln/Bonn aus ist der Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan nicht denkbar. Tarek Grimm leistet beim Luftumschlagszug in Köln seinen Grundwehrdienst ab - so wie viele seiner Kameraden, sagt Hauptmann Burghard Bethke.

    "Circa 50 Prozent meiner Einheit sind Grundwehrdienstleistende. Und daraus rekrutieren sich früher oder später unsere Zeitsoldaten."

    Tag für Tag belädt Tarek Grimm die Maschinen, für seine Kameraden in Afghanistan und im Kosovo. Wehrpflichtige sind auch für eine Einsatzarmee wie die Bundeswehr wichtig. Deshalb betont Verteidigungsminister Franz Josef Jung:

    "Dass gerade auch durch die Unterstützung für den Einsatz sie eine wichtige Aufgabe erfüllen." (Interview der Woche, DLF)

    Mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes und der deutschen Wiedervereinigung hat sich die Situation der Bundeswehr grundlegend verändert. Inzwischen wird Deutschland "am Hindukusch verteidigt", wie es der ehemalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck formulierte. Grund genug, um in Deutschland über die Wehrpflicht zu diskutieren - und ihre Gerechtigkeit. FDP-Chef Guido Westerwelle will mit dem Thema gar in den Wahlkampf ziehen.

    Durch die Wehrpflicht rekrutiert die Bundeswehr vor allem die unteren Dienstgrade. Von den insgesamt rund 250.000 Soldaten leisten rund 25.000 freiwillig einen längeren Grundwehrdienst und bleiben bis zu 23 Monate. Sie stellen einen großen Teil der Mannschaften in den Auslandskontingenten. Auch eine Freiwilligenarmee könnte nicht darauf verzichten, immer wieder neue Soldaten für die unteren Dienstränge anzuwerben, damit die Mannschaften nicht zu alt werden. Die Mehrzahl der wehrpflichtigen Soldaten, rund 35.000, verlassen die Truppe nach neun Monaten.

    "Von den neun Monaten Grundwehrdienstzeit muss man drei abrechnen für die Ausbildung im Ausbildungsregiment und dementsprechend bleiben sie noch sechs Monate bei uns in der Einheit und von den sechs Monaten wiederum müssen wir noch sechs Wochen Ausbildung abrechnen."

    Doch für Hauptmann Bethke, wie für die meisten Offiziere der Bundeswehr, lohnt sich dieser Aufwand.

    "Es kommt ja dadurch frisches Blut in die Truppe. Aus denen rekrutieren wir letzten Endes ja auch unsere Soldaten auf Zeit. Also das ist schon zwingend notwendig auch die Wehrdienstleistenden hier zu haben, die Grundwehrdienstleistenden. Wo sollten wir sonst den Nachwuchs herholen."

    Schließlich greift die Bundeswehr auch für den Einsatz bei zivilen Katastrophen auf ihre grundwehrdienstleistenden Soldaten zurück. In kürzester Zeit können sie an jeden Ort in Deutschland gebracht werden. So beispielsweise auch beim Hochwasser an der Elbe 2002, als Fallschirmjäger ausrückten. Nicht zum kämpfen, sondern zum

    "Dämme bauen. Nur Dämme bauen. Wir haben halt Sandsäcke und sämtliche LKW und Zivilkraftfahrer und Feuerwehr. Alle, die halt mithelfen können. Und dann haben wir halt die Sandsäcke gestapelt."

    Eine Bundeswehr, die sich ausschließlich auf Auslandseinsätze konzentrierte, käme mit weniger Soldaten aus und könnte auf die Wehrpflicht verzichten. Doch sie hätte dann Probleme, flexibel auf die Anforderungen der zivilen Katastrophenschutzbehörden zu reagieren. Für Verteidigungsminister Jung ein weiterer Grund, an der Wehrpflicht festzuhalten:

    "Wenn beispielsweise bei Katastrophen, ich denke nur mal an das Hochwasser der Elbe und andere Dinge, wo die Wehrpflichtigen natürlich unmittelbar auch mitgeholfen haben, sodass von daher, denke ich, wir auch weiterhin gut beraten sind, wenn wir an der Wehrpflicht festhalten." (Interview der Woche, DLF)

    Seit ihrer Einführung 1956 war die allgemeine Wehrpflicht umstritten. Allerdings damals aus ganz anderen Gründen als heute: Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, wollte den jungen Männern als Parole mitgeben:

    "Schutz unserer Freiheit, Schutz unserer Heimat und Schutz Europas vor dem vordrängenden Sowjetrussland, das Europa haben will. (Beifall und Zurufe). Wir wollen keinen Kreuzzug gegen Sowjetrussland führen. Aber was wir wollen, das ist für unser Land die Freiheit bewahren."

    Der CDU Abgeordnete Berendsen eröffnete 1956 die Debatte im Bundestag mit dem Hinweis:

    "Die Sicherheit der Bundesrepublik erfordert in jedem Fall die Aufstellung herkömmlicher Streitkräfte in einer Stärke von rund 500.000 Mann. Der Schwerpunkt muss beim Heere liegen. Die Aufstellung einer Wehrmacht dieses Umfangs ist auf freiwilliger Basis nicht möglich. Sie kann nur durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht durchgeführt werden."

    Die Sozialdemokraten befürchteten einen Gewissenskonflikt, wenn in einem Krieg Wehrpflichtige aus Westdeutschland auf ostdeutsche Soldaten schießen müssten. So war das dann auch bei Reinhold Robbe, heute Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:

    "Ich stand mit jungen Jahren vor der Frage, ob ich im Verteidigungsfall auf meine Verwandten in der damaligen DDR hätte schießen müssen."

    Nach der Wiedervereinigung wurden die Streitkräfte erst einmal verkleinert und nicht mehr so viele Wehrpflichtige eingezogen: Zum einen wurde die Dauer des Dienstes von 18 schrittweise auf jetzt neun Monate verkürzt. Zudem legte die Truppe seit 2004 wesentlich strengere Tauglichkeitskriterien an. Folge: 2007 wurde gerade knapp die Hälfte des Jahrgangs tauglich gemustert. Die anderen jungen Männer kamen weder für den Dienst in der Bundeswehr, noch für den Ersatzdienst infrage. Mit Bewegungsfaulheit und Übergewicht allein lässt sich diese hohe Ausmusterungsquote nicht erklären.

    Seit Bestehen der Wehrpflicht hatte die Bundeswehr ihren Bedarf immer wieder durch Veränderungen der Tauglichkeitskriterien gesteuert. Wurden zu Hochzeiten des Kalten Krieges selbst junge Männer mit einer Unterschenkelamputation noch für den Dienst auf der Schreibstube rekrutiert, müssen die Soldaten heute fit sein, um den besonderen Belastungen bei Auslandseinsätzen gewachsen zu sein. Dabei werden Grundwehrdienstleistende gar nicht in diese Einsätze geschickt.

    Die Betroffenen empfanden diese Veränderung der Tauglichkeitskriterien als Willkür und klagten. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hält bislang der Bundeswehr den Rücken frei. Einen Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln, der die Wehrgerechtigkeit infrage stellt, lehnten die Verfassungsrichter vergangene Woche ab. Die Verfassungsrichter betonten, dass der Bundestag einen großen Ermessensspielraum habe, wenn es um die Modalitäten der Wehrpflicht gehe. So dürfe das Parlament Einberufungskriterien gesetzlich festlegen und sich dabei an den gestiegenen internationalen Anforderungen der Bundeswehr orientieren.

    Politisch ist allerdings fraglich, ob die allgemeine Wehrpflicht noch eine Zukunft hat. Allein die Union steht uneingeschränkt zu diesem Pflichtdienst. Die Liberalen haben sich längst davon verabschiedet. FDP-Chef Guido Westerwelle will die Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht bei den Koalitionsverhandlungen Ende des Jahres diskutieren:

    "Jedermann sieht doch in Anbetracht der strukturellen Veränderungen, dass wir um die Einführung einer Freiwilligenarmee nicht herumkommen."

    Die SPD dagegen entschied sich auf ihrem Bundesparteitag im Oktober 2007 für das Modell einer freiwilligen Wehrpflicht. Solange genug Freiwillige zur Bundeswehr kommen, sollte auf die Einberufung verzichtet werden. Um den Dienst in den Streitkräften attraktiver zu machen, sollten die Soldaten Vergünstigungen erhalten. Welche blieb allerdings unklar.

    Die Grünen sehen in der allgemeinen Wehrpflicht ein Hindernis für die notwendige Reform der Bundeswehr, betont der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion Winfried Nachtwei:

    "Sie wird überschattet von einer gewissen Halbherzigkeit, weil gleichzeitig noch künstlich an der Wehrpflicht festgehalten wird."

    Ohne dies zu thematisieren, knüpfen die Grünen an die US-amerikanische Reformdebatte an. Nach dem Ende des Vietnamkrieges war in den Vereinigten Staaten die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und die Streitkräfte zu einer weltweit interventionsfähigen Armee umgebaut worden. Nach diesem Muster waren auch die meisten anderen Armeen in der NATO reformiert worden. Doch ist dies auch das Ziel der deutschen Politik? Verteidigungsminister Jung weist, wie alle seine Vorgänger, darauf hin:

    "Ich glaube, dass die Wehrpflicht einen entscheidenden Beitrag mit dazu geleistet hat, wie sich heute die Bundeswehr darstellt und wie die Bundeswehr auch verwurzelt ist in unserer Gesellschaft."

    So auch Bundespräsident Köhler 2006 auf der Kommandeurtagung der Bundeswehr:

    "Ich bin selber ein überzeugter Anhänger der Wehrpflicht und wünsche ihr von Herzen Zukunft, weil sie der Bundeswehr viele kluge Köpfe zuführt, weil sie die Streitkräfte am besten in die Nation verwurzelt und auch deshalb, weil der Dienst am Gemeinwesen persönlichkeitsbildend wirkt."

    Zurück nach Köln zum Luftumschlagszug. Auch der Obergefreite Tim Lehman leistet hier seinen Grundwehrdienst ab. Er war ganz froh, als er den Einberufungsbescheid in der Hand hielt:

    "Ich habe mich schon gefreut, weil es dann auch wieder eine Chance ist, die man ergreifen könnte. Dass man dann zum Beispiel auch keine Lücken im Lebenslauf hat, dass man dann nicht hinterher sagt: Ich habe auf der Straße gesessen oder ich habe rumgegammelt oder so. Dann war das eigentlich eine ganz gute Überbrückung."

    Szenenwechsel: von dem Luftumschlagzug in Köln in die Produktionshallen der Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften in Karlsruhe. Von den Grundwehrdienstleistenden zu den Zivildienstleistenden.

    Auf den ersten Blick sieht es in den Werkstätten genauso aus wie in allen Hallen, in denen etwas produziert wird: Menschen im Blaumann bedienen Stanzen und Druckluftpistolen, irgendwo wird geschweißt, Arbeiter ziehen Hubwagen mit Paletten durch die Gänge. Doch die Menschen, die hier arbeiten, sind behindert. Die Hagsfelder Werkstätten und Wohngemeinschaften - kurz: HWK - sind eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren 1.100 behinderte Arbeitnehmer erfolgreich elektronische Regelsysteme für Autos und Getränkeautomaten herstellen, Kabelbäume zusammensetzen, Rohbleche für die weitere Verarbeitung vorbereiten und im Lohnauftrag Packarbeiten erledigen. Insgesamt 1.100 Arbeitsplätze für geistig Behinderte bieten die HWK an. Angeleitet, betreut und verwaltet werden diese besonderen Arbeitnehmer von rund 500 nicht-behinderten Angestellten - und von 20 Zivildienstleistenden. Einer von ihnen ist Christian Schäfer, der in einem Nebenraum der großen Halle zwei Frauen und einen Mann beim Sortieren und Stempeln von Kuverts anleitet.

    "Jetzt stempeln wir die Mappen, die stempelt sie durch. Also er tut sie raussortieren, sie tut sie wieder einräumen, nachdem sie durchgestempelt sind und gelöchert. Die machen das. Die da hinten machen Schläuche fürs Krankenhaus. - Angomed! - Angomed, genau. Ich pass auf, manches anleiten und so. Ja, pass halt auf, helfe ein bisschen. Immer wie's gerade ist. Oder manchmal muss ich auch irgendwo hinfahren oder so."

    Christian Schäfer hat sich bewusst für den Zivildienst und gegen die Bundeswehr entschieden, denn er sah in der sozialen Arbeit mehr Sinn als in einer militärischen Ausbildung. Seit 1975 haben 3,1 Millionen wehrpflichtige junge Männer in der Bundesrepublik dieselbe Entscheidung getroffen wie Christian Schäfer und einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt. 156.000 waren es allein im vergangenen Jahr. Und damit stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Funktion Zivis inzwischen erfüllen? Denn: Wenn die Wehrpflicht ins Wanken gerät, wird das zwangsläufig auch Folgen für den sogenannten Ersatzdienst nach sich ziehen.

    Das Motiv, sich für den Zivildienst zu entscheiden, ist für die jungen Männer fast immer eine Mischung aus praktischen Erwägungen und sozialem Engagement. So wie Simon Autz, der ebenfalls bei den HWK seinen Zivildienst leistet:

    "Ich wäre im Januar gezogen worden und ich bin jetzt nicht unbedingt scharf drauf, bei minus fünf Grad draußen im Wald zu kampieren. Ich finde es eben sinnvoller, Menschen zu helfen - gerade Menschen mit Behinderungen: Die Leute zum Sport fahren, Fußball, Schwimmen, ich begleite die Leute zum Schwimmen."

    Es gab eine Zeit, da waren die Zivildienstleistenden eine tragende Säule des deutschen Sozialsystems: Rettungsdienste, Pflegestationen, Krankenhäuser und Altenheime bauten Dienstpläne und Logistik darauf auf, dass immer genug Zivis als billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen würden.

    Tatsächlich entstand Anfang der 1990er-Jahre ein regelrechter Zivi-Boom: Nachdem die Bundesregierung die gefürchtete "Gewissensprüfung" abgeschafft und die Kriegsdienstverweigerung faktisch zu einem simplen Verwaltungsvorgang gemacht hatte, verdoppelte sich die Zahl der sogenannten KDV-Anträge von 75.000 im Jahr 1990 auf über 150.000 im Jahr 1991 - obwohl der Zivildienst damals 15 Monate dauerte, also drei Monate länger als der Dienst bei der Bundeswehr.

    Seit allerdings die Dienstzeit - parallel zur Verkürzung des Wehrdienstes - erst auf elf, dann auf zehn und schließlich auf neun Monate reduziert wurde, haben die Zivildienstleistenden für ihre Dienststellen deutlich an Attraktivität verloren. Berücksichtigt man Anlernphase, Schulungen und Urlaub, stehen die jungen Männer nicht mehr lang genug zur Verfügung, um mit wirklich wichtigen Aufgaben beschäftigt zu werden. Norbert van Eickels, der Hauptgeschäftsführer der gemeinnützigen HWK GmbH in Karlsruhe über die geschwundene Bedeutung der Zivildienstleistenden:

    "Wir haben in den letzten Jahren schon sehr viele Veränderungen bewältigen müssen, zum Beispiel die Verkürzung des Zivildienstes auf neun Monate. Die hat schon automatisch dafür gesorgt, dass an diese Struktur des Zivildienstes nicht allzu viel innerbetrieblich gekoppelt werden kann, was für das grundlegende Funktionieren gebraucht wird. Zivildienstleistung, die neun Monate, die die jungen Männer hier verbringen, das hat immer etwas Zusätzliches."

    Für unverzichtbar halten viele Organisationen den Zivildienst allerdings unter dem Aspekt der Nachwuchsgewinnung. Beispielsweise die Bundesvereinigung Lebenshilfe, die sich seit 1958 um die Belange geistig behinderter Menschen kümmert und bundesweit mehr als 3.200 Betreuungs- und Fördereinrichtungen unterhält. Über 100.000 Zivildienstleistende hat die Lebenshilfe seit ihrer Gründung beschäftigt, mindestens 1.000 davon, so schätzt ihr Bundesvorsitzender Rudolf Antretter, sind nach Studium oder Berufsausbildung als Fachkräfte zu der Organisation zurückgekehrt. Der Zivildienst als Augenöffner und Entscheidungshilfe - auch deswegen plädiert Antretter dafür, die Wehrpflicht und damit den Zivildienst beizubehalten.

    "Es würde halt etwas fehlen, was alleine mit dem Zivildienst möglich ist: Hier kommen Menschen rein, die haben abgewogen, welche Möglichkeiten habe ich, und haben sich dann für behinderte Menschen entschieden. Mancher vielleicht als das kleinere Übel, vielleicht manch anderer, weil er eben nicht drei Tage im Gelände sein will. Aber mancher, der sein Studium als Heiltherapeut oder ein sozialpädagogisches Studium aufgenommen hat, hat seine Impulse dazu hier bei der Lebenshilfe bekommen."

    Simon Autz, der Zivildienstleistende bei den HWK in Karlsruhe, wird wohl nicht zu denen gehören, die ihren neunmonatigen Ersatzdienst zum Anlass nehmen, das Soziale zum Beruf zu machen - er möchte wieder als Industriemechaniker arbeiten. Aber er glaubt, dass es ohne ihn und die anderen Zivis schwierig würde in Einrichtungen wie der in Karlsruhe:

    "Ich denke einfach, dass das dann ziemlich stressig wird für den Gruppenleiter, die Einzelbetreuung oder die Kontrolle der Qualität, was ich natürlich auch manchmal übernehmen muss, das würde dann einfach in den Hintergrund rutschen und es würde dann definitiv stressiger werden. Also meine Position ist, denke ich, schon ziemlich wichtig."

    Allerdings nicht so wichtig, dass Norbert van Eickels, der Hauptgeschäftsführer der HWK, auch nur ansatzweise darüber nachdächte, eines fernen Tages, falls es den Zivildienst nicht mehr geben sollte, die Arbeit von regulären, festangestellten Arbeitskräften erledigen zu lassen.

    "Wir können uns das wahrscheinlich gar nicht leisten, die Zivildienstleistenden durch Vollzeitarbeitskräfte zu ersetzen. Also der Zivildienst kostet uns ungefähr 5.000 Euro im Jahr. Wenn Sie den durchschnittlichen Personalkostenaufwand von Fachkräften sehen, dann liegen wir irgendwo bei 40.000 bis 45.000 Euro pro Person."

    Doch jenseits aller praktischen und finanziellen Fragen besitzt der Zivildienst vor allem auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Denn es besteht Anlass zu der Annahme, dass auch ein unfreiwilliges soziales Engagement auf Zeit den Blick der jungen Männer auf die Gesellschaft verändert. Wer einmal Alte gepflegt, Behinderte betreut oder im Jugendtreff den Dreck weggekehrt hat, ist anders sensibilisiert für die Bedürfnisse und die Probleme seiner Mitmenschen. Das sagen Befragungen von Zivildienstleistenden nach dem Ende ihrer Dienstzeit. Und das sagt Norbert van Eickels, der erfahrene Chef der gemeinnützigen HWK.

    "Das ist halt auch so der Wert des Zivildienstes: Jetzt weniger, dass wir ihn operativ ständig brauchen, aber die Zivis bereichern uns und ich glaube auch, dass die Zivis dann etwas mitnehmen in die Gesellschaft."