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Wie gute Schule geht

In Hessen werten die rund 80 Mitarbeiter des Landesinstitut für Qualitätsentwicklung Vergleichs- und Abschlussarbeiten aus. Außerdem evaluieren sie die Unterrichtsqualität und Lernkultur an hessischen Schulen im Rahmen von mehrtägigen Inspektionen.

Von Anke Petermann | 07.03.2011
    "Guten Morgen, Frau Novak-Yurdolgu ... "

    Der etwas lahme Morgen-Chor täuscht, die 9. Gymnasialklasse ist hellwach und motiviert, das Thema "Potenzfunktionen" abzuschließen. In der kommenden Woche wird die Mathe-Arbeit geschrieben. Das trägt vermutlich mehr zur erhöhten Aufmerksamkeit bei, als der Besuch des Inspektors, der hinten in der Klasse sitzt - mit einem blauen Beobachtungsbogen auf dem Klemmbrett vor sich. Mathelehrerin Ute Novak-Yurdoglu beginnt das, was der Inspektionsbogen "fragend-entwickelndes" Unterrichtsgespräch nennt und in der Kategorie "lehrerzentrierter Unterricht" führt.

    "Was war den unser Ziel - warum haben wir das gemacht, warum haben wir diese ganzen Gruppenarbeitsphasen gemacht? Charlotte. - Wir wollten die Potenzfunktionen ohne Wertetabelle zeichnen können. O.k,."

    Die Schüler beteiligen sich rege, ansonsten herrscht konzentrierte Ruhe in der Klasse, keine Störungen. Inspektor Manfred Höhn macht eifrig Kreuzchen auf seinen Bogen, auf einer Skala von 1-4 hält er zum Beispiel fest, ob die Lehrerin das Unterrichtsziel klar formuliert und die Schüler anregt zu reflektieren, was Sie da gerade lernen. Ute Novak-Yurdoglu lobt und ermutigt ihre Schüler, das gibt vermutlich Pluspunkte in der Kategorie "freundlicher Umgang". Um Zensuren für die einzelne Lehrkraft geht es aber gar nicht, stellt Schulinspektor Manfred Höhn klar, und Ute Novak Yurdoglu wird den Beobachtungsbogen auch nie zu sehen bekommen.

    "Wir geben keine persönliche Rückmeldung, das versuchen wir den Lehrkräften auch immer wieder zu sagen, wir geben dem System eine Rückmeldung, wir schreiben keine Namen auf von den Lehrkräften. Wir gucken uns das System an und geben eine Rückmeldung über die Unterrichtskultur. "

    Etwa 40 Unterrichtsbesuche von je 20 Minuten absolvieren die drei Inspektoren allein an diesem Tag des dreitägigen Besuchs an der kooperativen Gesamtschule. Das Team führt Interviews mit Schülern, Eltern und Lehrern, wertet die Ergebnisse einer Online-Befragung aus. All das fließt ein in einen rund 70seitigen Bericht über die vorherrschende Unterrichtspraxis und Lernkultur an der besuchten Schule. Die Berichte in ihrer Gesamtheit werden auch landesweit ausgewertet. Das erste Resümee legte die schwarzgelbe Koalition Anfang 2009 vor. Es bestätigte schon Bekanntes: An zwei Drittel der Schulen werden Kinder zu wenig individuell gefördert, lehrerzentrierte Methoden wie Frontalunterricht herrschen vor. Schüler nehmen das so wahr:

    "Wir kriegen einfach Themen, und entweder wir verstehen sie oder nicht, mein Kopf schaltet auch meistens ab. - Bei zwei drei Lehrern läuft alles perfekt, bei dem Rest nicht. - Und bei denen machen wir dann nur Unsinn."

    Zu wenig Einzelförderung an hessischen Schulen - genau deshalb achten die Inspektoren jetzt besonders darauf, ...

    " ... ob das einfachere Aufgaben gibt oder anspruchsvollere oder ob alles quasi nach einem Schritt durchläuft, der Unterricht, und welche Möglichkeiten die Schüler haben, auch die Hilfe der Lehrkraft zu und individuelle Unterstützung zu bekommen - im Unterricht."

    Die Inspektionsberichte sollen die Schulen zum Nachdenken darüber anregen, wie sich Defizite ausbügeln lassen. Verbesserungsvorschläge und Visionen einer neuen Lernkultur gehen in eine maßgeschneiderte Zielvereinbarung mit dem Schulamt ein. Entsteht daraus gute Schule? Doris Föhr, Leiterin der der Melibokusschule südlich von Darmstadt:

    "Der Blick von außen schärft die Wahrnehmung der eigenen Abläufe und setzt damit immer wieder eine Reflexion des Kollegiums in Gang, und das finde ich halt positiv."

    Bei allem Lob klingt das reserviert, und nachdem das Mikrofon abgeschaltet ist, schildert Doris Föhr, wo die Probleme liegen: zu wenig Zeit für stark unterrichtsbelastete Lehrer, neue Förder-Konzepte zu erarbeiten. Handreichungen und Fortbildungen, die zu spät kommen für die neuen Anforderungen an das sogenannte kompetenzorientierte Lernen. Statt Stoff zu pauken sollen Schüler laut der neuen hessischen Vorgaben unter anderem lernen, fachspezifische Methoden anzuwenden, Arbeit einzuteilen, Probleme zu lösen. Nur, so der Verdacht der Gesamtschulleiterin: so lange Schule ein Auslesesystem ist, bleiben die neuen Bildungsziele Makulatur.