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"Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?“ Von Jo Kyung Ran

Die 1969 in Seoul geborene Kyung-Ran Jo gilt als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Koreas. Nach dem Abitur blieb sie fünf Jahre lang zu Hause mit wenig Kontakt zur Außenwelt. Sie fand schnell ihre Leidenschaft für die Literatur und versuchte, in Büchern eine Antwort für ihre Zukunft zu finden. Die Erzählung "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" war für sie ein Durchbruch.

03.06.2005
    " Es gibt verschiedene Rollen für einen Schriftsteller. Eine Aufgabe des Schriftstellers sehe ich darin, die unsichtbaren Dinge in unserer Umgebung wahrzunehmen, ihre Seele zu spüren, die mit leiser Stimme zu uns spricht und all dies in Worte zu fassen. Mich interessieren dabei immer die schwächeren Menschen und Außenseiter, die gerne sprechen wollen, aber ihre Stimme nicht erheben können. Dem Leser will ich mitteilen, wie viele unauffällige Dinge es in unserer Umgebung gibt, die wir übersehen. Ich will deren Brücke sein. "

    Eine Brücke zwischen unsichtbaren Dingen und dem Leser zu schlagen, könnte der Leitsatz der literarischen Arbeit der 36 jährigen koreanischen Autorin Kyung-Ran Jo sein.
    Ihre einfühlsame Beobachtungsgabe bezeichnet die Autorin als ihren sechsten Sinn.
    Die meisten ihrer Hauptfiguren sind Außenseiter, leben in tiefer Isolation und leiden oft unter abgebrochenen Beziehungen. Sie sind weder erfolgreich in der Liebe, noch fühlen sie sich in der Familie geborgen.

    In der Erzählung "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" handelt es sich um eine junge Frau, die die Trennung von ihrem Freund und den dramatischen Selbstmord von Verwandten nicht verarbeitet hat. Allein gelassen wacht sie nachts mehrmals aus dem Schlaf auf. Weil sie glaubt, Geister von Verstorbenen hätten sie in ihrem Zimmer besucht, greift sie zu ihrer Polaroidkamera und fotografiert in die Dunkelheit hinein.
    " Mit meiner feuchtwarmen Hand drückte ich auf den Film, um das Bild früher abziehen zu können. Die undeutlichen Umrisse begannen langsam Gestalt anzunehmen. Ich fühlte dann ein ähnliches Herzklopfen, wie jedes Mal, wenn sich eine Tür öffnet und jemand hereinkommt, auf den man gewartet hat. In dieser Nacht aber war es nicht die Aufregung, sondern ich hatte vielmehr Angst, dass mich gleich jemand mit beiden Händen würgen könnte. Bewegungslos starrte ich auf das Bild, auf dem nun alles in seiner Größe und Gestalt und in Farbe deutlich zu sehen war. Weder war es die verstorbene Großmutter noch Tante Yonsuk noch der Onkel Dosong. Es war ein riesengroßer Elefant. "

    " Der Elefant ist eine Metapher. Ich habe noch nie jemandem gesagt, was der Elefant symbolisiert. Ich will es dem Leser überlassen, dem Elefanten eine Bedeutung zuzuschreiben. Das ist für mich ein Tier zum Anlehnen und ein Trostspender. Wenn
    ich traurig bin, stelle ich mir vor, auf einem Elefanten zu sitzen und mich auf eine Reise zu begeben. Jeder braucht im Leben einen solchen Elefanten. Der Elefant ist ein Symbol für Hoffnung und Liebe. "

    Das Buch "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" besteht aus sieben autobiographischen Geschichten. Die Autorin beschreibt dabei ihre eigene Familiengeschichte, die gleichzeitig die koreanische Gesellschaft der 90er Jahre widerspiegelt, wo sich die herausragende Stellung der Familie und die enge Familienzusammengehörigkeit allmählich verlor. Den wachsenden Wohlstand und die zunehmende Materialisierung der Gesellschaft zeichnet die Autorin Kyung-Ran Jo für die Veränderung verantwortlich. Deshalb sahen koreanische Autoren sahen es als ihre Aufgabe an, diesen Wandel der Familie zu beschreiben.

    " Damals sagte ich, ohne zu zögern: "Die Familie ist das, was aufgelöst werden muss. Sie ist weder eine Blume noch eine Wiege, in der man sich ausruhen kann". Ich hasste alle Väter der Welt, auch meinen eigenen Vater. Ich dachte, die Familie und vor allem der Vater wären wie ein Fluss, den ich zu überqueren hätte. "
    Die 1969 in Seoul geborene Kyung-Ran Jo gilt als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Koreas. Nach dem Abitur blieb sie fünf Jahre lang zu Hause mit wenig Kontakt zur Außenwelt. Sie fand schnell ihre Leidenschaft für die Literatur und versuchte, in Büchern eine Antwort für ihre Zukunft zu finden. Erst mit 26 beschloss sie, an die Universität zu gehen und dort ‚kreatives Schreiben‘‚ zu lernen. Seit ihrem Debüt 1996 veröffentlicht sie jedes Jahr ein Buch. Die Erzählung "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" war für sie ein Durchbruch.

    " Das Buch bedeutet viel für mich. Nach der Veröffentlichung des Buchs hatte ich das Gefühl, endlich einen Fluss überquert zu haben. Die Geschichte habe ich lange wie einen Knoten im Herzen getragen, den man irgendwann durchschlagen muss. Es war sehr hart für mich, über mich und meine Familie zu schreiben. Seitdem schreibe ich nichts Autobiographisches mehr. Ich bin sehr erleichtert, dass ich mich nun mit anderen Themen beschäftigen kann. "

    "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" Von Jo Kyung Ran
    (Pendragon Verlag)