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Wie Nadeln im Heuhaufen

Genetik. - Vor zehn Jahren war die Entzifferung eines menschlichen Genoms noch etwas Besonderes. Mittlerweile sind über 1000 verschiedene Baupläne des Menschen entziffert. Die Analyse der gewaltigen Datenmenge hinkt jedoch hinterher. Im Fachblatt "Nature" stellt heute das internationale 1000-Genome-Projekt eine Zwischenbilanz der Genom-Forschung vor.

Von Michael Lange | 28.10.2010
    Längst sind die genetischen Informationen von über 1000 Menschen in den Rechnern der großen Genom-Zentren gespeichert. Und es wird weiter sequenziert, im nächsten Jahr soll die komplette Erbinformation von 2500 Personen vorliegen. Die Sequenzier-Technik wird immer schneller. Die Analyse und die wissenschaftliche Interpretation der Daten ist da schon langwieriger, wie eine Bemerkung des Evolutionsbiologen Axel Meyer von der Universität Konstanz deutlich macht.

    "Ich glaube es werden sehr viel mehr Daten erhoben, als sie wirklich im Detail analysiert werden können. Als ob wir aus einem Feuerwehrschlauch von Daten trinken, so dass wir eigentlich ertrinken an diesen Daten."

    Bei 1000 entzifferten Genomen geht es darum, aus 1000 Mal sechs Milliarden Informationseinheiten die wichtigen herauszufiltern. Viele Forschungsinstitute sind damit überfordert. Deshalb haben die Genom-Forschungszentren begonnen, der Fachwelt nicht nur Daten zu liefern, sondern auch Interpretationshilfen. Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin:

    "Also wir haben das 1000-Genome-Projekt, um die Variabilität in der menschlichen Bevölkerung genauer zu analysieren, und zwar so genau, dass wir auch relativ seltene Varianten identifizieren können, die vielleicht an Krankheitsentstehungen beteiligt sein können."

    Zu 99,9 Prozent sind zwei Menschen genetisch identisch. Die Unterschiede machen nur 0,1 Prozent aus. Auf 1000 Informationseinheiten kommt eine Abweichung. Ein Überblick über die Vielfalt dieser Unterschiede liegt nun vor. Richard Durban vom Sanger-Institute in Nähe von Cambridge in England fast die neuen Erkenntnisse zusammen.

    "Schon in der Pilotphase des Projektes haben wir 15 Millionen typische genetische Unterschiede zwischen den Menschen entdeckt, doppelt so viele wie bisher bekannt waren. Dabei haben wir erst 179 Personen verglichen. Wir können nun eine Art Katalog der menschlichen Vielfalt vorlegen. Wenn wir zwei Menschen vergleichen, entdecken wir im Durchschnitt drei Millionen genetische Unterschiede. 95 Prozent davon stehen bereits in unserem Katalog."

    Was der Katalog nicht verrät, ist die Bedeutung dieser 15 Millionen Unterschiede. Wie sie die Persönlichkeit eines Menschen prägen oder zur Entstehung von Krankheiten beitragen, bedarf in jedem Einzelfall konkreter Forschung. Die Grundlagenforschung profitiert schon heute von der Datenfülle. Das Team um Evan Eichler von der Universität von Washington in Seattle zum Beispiel hat sich Stellen im Erbgut des Menschen angeschaut, die sich mehrfach wiederholen. Dabei habe man Bereiche im Erbgut entdeckt, die dafür verantwortlich sind, dass der Mensch zum Menschen wurde, so Evan Eichler.

    "Wir haben das Erbgut von etwa 159 Menschen verglichen mit dem der Menschenaffen. Dann haben wir die Gene und Genfamilien aufgespürt, die sich bei uns Menschen verdoppelt und vervielfacht haben und deshalb mehr Platz im Erbgut beanspruchen als beim Schimpansen oder beim Gorilla."

    Die Regionen im Erbgut, die den Unterschied ausmachen zwischen Mensch und Menschenaffe, hatten häufig zu tun mit der Entwicklung des Nervensystems. Der größte Unterschied zwischen Mensch und Affe – aus Sicht der Genetik - ist demnach tatsächlich nicht die Behaarung, sondern das Gehirn. Solche Ergebnisse der Genom-Forschung tragen bei zum Verständnis des Menschen. Die angekündigten Fortschritte für die Medizin sind weit schwieriger zu erreichen. Ankündigungen, man habe das Gen oder die Gene für Schizophrenie, Diabetes oder Übergewicht entdeckt, erwiesen sich später oft als falsch oder zu stark vereinfacht. Dank neuer Daten aus dem Erbgut des Menschen könne man heute Krankheitsursachen weit besser verstehen als noch vor wenigen Jahren, meint der Humangenetiker Markus Nöthen von der Universität Bonn.

    "Die Ergebnisse, die jetzt berichtet werden, sind in der Regel sehr valide, in großen Zahlen von Patienten erhoben, und können dann auch in unabhängigen Stichproben bestätigt werden. Man hat da sicherlich eine mehrjährige Lernphase durchlaufen."