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"Wie teilen wir diesen Kuchen auf?"

Führende Klimaforscher haben neue Forschungsergebnisse präsentiert: Trotz geringer Erwärmung, machen sich deren Folgen doch sehr dramatisch bemerkbar, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung an der Universität Potsdam.

Hans Joachim Schellnhuber im Gespräch mit Friedbert Meurer | 07.12.2009
    Friedbert Meurer: Ab heute steht also die dänische Hauptstadt Kopenhagen im Zentrum der internationalen Politik. Führende Klimaforscher haben unmittelbar vor der Konferenz in Kopenhagen in der sogenannten Kopenhagen-Diagnose neue Forschungsergebnisse präsentiert. Welche diese sind, habe ich den Mitautor der Diagnose Hans Joachim Schellnhuber gefragt, den Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung.

    Hans Joachim Schellnhuber: Die bemerkenswerte Aussage ist die, obwohl wir ja bisher nur eine relativ milde Erderwärmung haben von ungefähr 0,8 Grad seit 1900, die sich allerdings beschleunigt hat in den letzten Jahrzehnten, dass die Folgen dieser Erwärmung eben doch sehr dramatisch sich bemerkbar machen, zum Beispiel das rapide Schwinden des Meereises in der Arktis, der rapide Rückzug der Gletscher etwa im Himalaya-Gebiet, aber natürlich auch ein beschleunigter Meeresspiegelanstieg, was viele Küstenzonen bedroht.

    Meurer: Ist für Sie eindeutig der Mensch daran Schuld, dass das Eis dünner wird?

    Schellnhuber: Eindeutige Aussagen kann der Naturwissenschaftler eigentlich nie machen. Das kann man vielleicht in der Mathematik, aber ein Physiker kann ihnen nie einen hundertprozentigen Beweis liefern, nicht mal fürs Gravitationsgesetz. Aber es ist eben so, dass wir versuchen - und das tut ja auch der Weltklimarat -, die Gesamtmenge der Indizien, wenn Sie so wollen, zu bewerten, und dann kann man sagen, mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 oder 95 Prozent - das wird auch explizit so vorgerechnet - ist der Mensch der Hauptverursacher dieser Erwärmung. Hauptverursacher heißt dann drei Viertel etwa des Erwärmungstrends.

    Meurer: Das meist genannte Ziel für die Weltklimakonferenz in Kopenhagen, Herr Schellnhuber, ist, dass das Klima nicht mehr als um zwei Grad steigen soll. Wenn man die Vorschläge der Staaten nimmt, wie sie im Moment auf dem Tisch liegen, um wie viel Grad wird dann das Weltklima ansteigen?

    Schellnhuber: Das ist eine interessante Übung. Es hätte fast etwas Sportliches an sich. Es gibt so verschiedene Bewertungsvorgänge da im Augenblick, Prozesse. Es hätte fast etwas Sportliches an sich, wenn es nicht so ernst wäre. Im Augenblick liegt wohl die Erwärmung, die wir in diesem Jahrhundert bekommen werden, dann bei 3,8 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau, wenn nur das umgesetzt würde, was im Augenblick auf dem Tisch liegt in Kopenhagen durch die verschiedenen Länder. Im Übrigen kann man sich ja nicht mehr sicher sein, dass diese Zusagen dann eingehalten würden, wenn zum Beispiel eine extrem schlechte Konferenzdynamik entsteht.

    Meurer: Dann würden es mehr als 3,8 Grad?

    Schellnhuber: Dann würden es mehr als 3,8 Grad sein und das ist eine Menge Holz.

    Meurer: Herr Schellnhuber, es gibt nun einen Fall, der sich in England abspielt. Dort ist der Leiter eines renommierten Klimainstituts in Norwich zurückgetreten, vorläufig von seinem Amt zurückgetreten: Phil Jones, ein renommierter Klimaforscher, den Sie sehr gut kennen. Rüttelt die Kritik an Jones, dass er dazu aufgerufen haben soll, sozusagen missliebige andere Autoren auszugrenzen, an der Glaubwürdigkeit der Klimaforscher?

    Schellnhuber: Zunächst einmal bin ich sicher, dass das Verhalten von Phil Jones - und das wird ja eine unabhängige Kommission sehr bestätigen - in keiner Weise die Seriosität der Klimaforschung beeinträchtigt. Aber allein der Vorwurf, der jetzt durch die Medien geht, aufgrund einer extrem dünnen Beweislage beziehungsweise sogar aufgrund krimineller Akte - es ist ja eingebrochen worden in den Computer beziehungsweise ins Computerzentrum der University of East Anglia -, aufgrund dieser Beweislage diese Vorwürfe zu formulieren, wird natürlich das Ansehen von Phil Jones und das Ansehen der University of East Anglia und das Ansehen der internationalen Klimaforschung nachhaltig schädigen. Aber es ist eben der Akt der Vorwurfformulierung und es ist nicht ein Akt irgendeiner Datenmanipulation.

    Meurer: Es wird eine E-Mail zitiert, in der Jones selbst von einem Trick spricht, den er angewandt hat. Was ist ein Trick in der Wissenschaft?

    Schellnhuber: In der Wissenschaft ist ein Trick vor allem bei Physikern und Mathematikern - ich bin ja mathematischer Physiker - eine clevere Prozedur, übrigens oft auch ein geradezu genialer Einfall, mit dem man ein scheinbar unlösbares Problem löst, oder mit dem man durchblickt sozusagen in einer komplizierten Datensituation, was wirklich vor sich geht. Nun bin ich nicht dabei gestanden, wie Phil Jones diese E-Mail geschrieben hat, und ich weiß auch nicht, was ihm damals durch den Kopf ging, aber ich halte ihn für einen absolut integeren Wissenschaftler. Insofern gehe ich davon aus, dass diese Formulierung nun nichts mit irgendeiner unlauteren Praktik zu tun hat.

    Meurer: Was sagen Sie denn dazu, dass Ihr Hamburger Kollege Hans von Storch sagt, Konkurrenten mit abweichenden Meinungen würden aus dem Weltklimarat herausgehalten?

    Schellnhuber: Ich halte das für blanken Unsinn, aber ich will es nicht weiter kommentieren, weil ich nicht weiß, auf welche Argumente sich Hans von Storch stützt, und ich lehne es in der Regel vollkommen ab, sozusagen in Einzelauseinandersetzungen mit Kollegen zu gehen.

    Meurer: Welche Risiken, Herr Schellnhuber, gehen wir ein, wenn wir es nicht schaffen, das Klima um maximal zwei Grad zu erwärmen, diese Zwei-Grad-Grenze einzuhalten?

    Schellnhuber: Es ist eben wichtig, dass wir auf dies noch mal zurückkommen und uns nicht von Störmanövern von den eigentlich wichtigen Dingen ablenken lassen.

    Meurer: ... , die die Glaubwürdigkeit der Klimaforscher in Frage stellen, oder nicht?

    Schellnhuber: Sie stellen die Glaubwürdigkeit scheinbar in Frage, wenn die Medien das ganze Spiel so spielen, aber ich bin sicher - das habe ich ja schon gesagt -, dass am Schluss die Wissenschaftler mit völlig weißer Weste dastehen werden. Aber kommen wir auf die zwei Grad Celsius noch mal zurück. Denken Sie daran, dass die Menschheit wahrscheinlich im Jahr 2050 aus neun Milliarden Menschen bestehen wird, und es ist schwer vorstellbar, wie man diesen neun Milliarden Menschen ein Leben in Würde ermöglichen könnte, wenn wir die Umweltbedingungen so radikal verändern werden.

    Meurer: Wie viele Menschen werden denn betroffen bei 3,8 Grad beispielsweise?

    Schellnhuber: Wenn wir auf drei oder vier Grad gehen - wir haben dazu gerade eine Konferenz in Oxford durchgeführt; da ging es genau um einen Blick in eine Vier-Grad-Welt. Sie können da allein davon ausgehen, dass der Meeresspiegel um viele Meter steigen wird, möglicherweise in der Größenordnung von 40 oder 50 Metern. Wenn wir das umrechnen, wie viele Menschen in Küstenzonen leben et cetera, dann kommen sie zu dem Ergebnis, dass im Grunde genommen 300 Millionen bis möglicherweise eine Milliarde Menschen dann sich eine neue Bleibe suchen müssen beziehungsweise dort nicht mehr leben könnten.

    Meurer: Sie haben ja errechnet, Herr Schellnhuber, welche Menge an Kohlendioxid-Ausstoß die Welt sich noch erlauben darf. Wie groß ist denn eigentlich diese Menge?

    Schellnhuber: Wenn wir davon ausgehen, dass zwei Grad Celsius aufgrund der Befunde gewissermaßen die Grenze zur wirklich absolut gefährlichen Klimaänderung darstellt, dann müssen wir auskommen mit einem Kohlenstoffkredit bei der Natur, wenn Sie so wollen, von 750 Milliarden Tonnen CO2 bis Mitte des Jahrhunderts. Das hört sich enorm viel an, aber in Wirklichkeit wäre das nach etwa 20 Jahren aufgezehrt, wenn die Menschheit weiterhin so emittieren würde wie heute. Aber der tatsächliche Trend ist, dass die Emissionen sogar noch steigen. Aber dann ist natürlich die Frage, wie teilen wir diesen Kuchen, der uns gewissermaßen insgesamt noch bleibt, unter den Menschen gerecht auf, und ich glaube, es gibt nur einen robusten Ansatz. Man kann ihn dann ein bisschen verändern, oder man kann ihn ein bisschen abmildern für die einen oder anderen, nämlich dass jeder Mensch auf diesem Planeten das gleiche Recht auf Nutzung der Atmosphäre hat. Dann würden sie diese 750 Milliarden Tonnen eben einfach aufteilen nach Bevölkerungsstärke unter den verschiedenen Ländern. Das wird dann wirklich interessant. Das bedeutet nämlich, dass die USA dann bei jetzigem Konsum und bei jetzigem Ausstoß in fünf Jahren schon kohlenstoffinsolvent wären.

    Meurer: Das wird nicht zu erreichen sein, diese fünf Jahre.

    Schellnhuber: Natürlich nicht und das bedeutet aber - und dann kommt eben das volkswirtschaftliche Argument -, dass man so etwas wie einen globalen Emissionshandel braucht, wo diejenigen, die natürlich nicht so schnell ihre Industrie transformieren können, in der Lage sind, gewissermaßen Anleihen bei denjenigen aufzunehmen, sagen wir die afrikanischen Länder, die eben deutlich weniger Naturverbrauch haben. Das wäre dann sozusagen Ergebnis einer globalen Solidarität, nur es bedeutet: diejenigen, die über viele Jahre hinweg, wenn nicht sogar Jahrhunderte die Atmosphäre kostenlos genutzt haben, müssten halt jetzt nach dem Verursacherprinzip dafür bezahlen.

    Meurer: Das war Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung an der Universität Potsdam.