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Wie Walross, Seehund und Seelöwe zu ihren Flossen kamen

Paläontologie. - Den Weg vom Wasser an Land machten einige Säugetiere wieder rückgängig, so etwa Walrosse und Co. Wie der Schritt jedoch vom Landraubtier zur Robbe hin vor sich ging, konnten Paläontologen bislang nicht klären. Heute lüften kanadische Forscher im britischen Fachblatt Nature des Rätsels Lösung.

Von Michael Stang | 23.04.2009
    Im Norden des kanadisch-arktischen Archipels liegt die größte unbewohnte Insel der Erde. Dort auf Devon-Island entdeckte Natalia Rybczynski bei minus 15 Grad Celsius den Beweis, wie Walross, Seehund und Seelöwe zu ihren Flossen gekommen sind. Bis dahin war nur bekannt, dass einige Fleischfresser das Leben an Land irgendwann aufgegeben haben und zu Robben bzw. Flossenfüssern wurden. Paläontologen kannten nur die Ausgangsform und die bestens an das Leben im Wasser angepassten Nachkommen. Die Zwischenstufen waren unbekannt. Licht ins Dunkel bringen nun die versteinerten Knochen eines kleinen, otterähnlichen Wesens, rund 27 Millionen Jahre alt.

    "Das Tier ist tatsächlich ein Flossenfüsser und damit die älteste Robbe, die wir kennen. Es steht genau zwischen den heutigen Vertretern, die wie die Seelöwen richtige Flossen haben, und den Vorfahren, die reine Landtiere waren. Allein die Form des Schädels zeigt, dass es gerade erst am Anfang stand, sich zu einer im Wasser lebenden Form zu entwickeln."

    Die Zähne erinnern noch eher an einen Hund als an ein Tier, das sich von Mariner Kost ernährt, sagt die Paläontologin vom Kanadischen Naturkundemuseum in Ottawa. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie das Tier für einen Otter halten, in Wahrheit sei es aber so etwas wie eine Robbe auf Beinen.

    "Dieser Fund füllt eine Lücke im Stammbaum, da man an den Knochen wunderbar den Übergang vom Land ins Wasser sehen kann. Diese primitivste bislang bekannte Robbe hatte bereits Schwimmhäute, einen stromlinienförmigen, gut einen Meter langen, Körper mit einem kurzen Schwanz und erinnert etwas an einen Seelöwen. Aber es ging wahrscheinlich nur zum Futtersuchen ins Wasser. Nachts und vor allem bei kälteren Temperaturen hat es vermutlich noch an Land gelebt. Daher ist ein wichtiges Missing Link."

    Das fehlende Bindeglied zwischen Landraubtier und Wasserraubtier suchen Paläontologen seit Bestehen ihrer Disziplin. Klar war bislang nur, dass es eine Übergangsform geben muss, denn die Evolution kennt kein Schild "Wegen Bauarbeiten geschlossen". Die Entwicklung und Übergangsstadien stellte sich der britische Naturforscher Charles Darwin 1859 in seinem Werk "Die Entstehung der Arten" wie folgt vor:

    Während des Sommers geht das Tier ins Wasser und fängt sich Fische, aber während des langen Winters verlässt es die gefrorenen Gewässer und lebt wie andere Marderarten von Mäusen und allerlei Landtieren.

    Erst 150 Jahre nach Darwins Werk konnten Natalia Rybczynski und ihre Kollegen eine der wichtigsten Lücken im Stammbaum der Evolution schließen. Als Hommage an diese eingetretene Prophezeiung wurde Charles Darwin posthum Namenspatron der neuen Form: Puijila darwinii. Der Gattungsname Puijila geht auf das Wort der arktischen Inuit für "junger Meeressäuger" zurück. Auch wenn diese von seiner Entdeckerin als "laufende Robbe" bezeichnete Form wichtige Einblicke in die Evolution ermöglicht, ist sie nicht der direkte Vorfahre heutiger Walrosse, Seehunde und Seelöwen.

    "Zu seiner Zeit gab es bereits Robben, er war damals schon eine Art lebendes Fossil. Aber das Tier besitzt noch so viele primitive Merkmale, dass wir nun erstmals den Übergang vom Landraubtier zum Wasserraubtier direkt an einem Fossil sehen können und nicht mehr spekulieren müssen. Wir bekommen erstmals Einsichten, aus welcher Urform sich die heutigen Seelöwen, Walrosse und Seehunde entwickelt haben."

    Auch diesen Sommer wird Natalia Rybczynski wieder in die Arktis nach Devon-Island fahren und weiter nach dem Ursprung der heutigen Flossenfüsser suchen, diese Gegend gilt nun endgültig als Wiege der Robben. Auch wenn eine wichtige Frage geklärt ist, hofft sie auf weitere spektakuläre Fossilien. Denn bislang ist Puijila darwinii nur ein Einzelfund.