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Wiederentdeckung der Würde

Italiens Frauen haben genug und formieren sich zum "Marsch der Frauen". Ihr Protest richtet sich gegen das Frauenbild, für das ihrer Ansicht nach Ministerpräsident Silvio Berlusconi verantwortlich ist.

Von Beatrix Novy | 12.02.2011
    Morgen könnte sich zeigen, ob das Beispiel, das die Tunesier und die Ägypter gerade der Welt gegeben haben, auch anderen Völkern Mut macht. Es gäbe da auch in Europa ein Land mit einem gewissen Revolutionsbedarf; aber wie groß ist die Nachfrage? Auch in diesem Land regiert ein älterer Mann, der sich nichtsdestoweniger auf seine jugendliche Spannkraft viel einbildet. Die sucht er allerdings weniger durch den Anschein effektiven Regierens zu beweisen, lieber demonstriert er unausgesetzt seine Virilität; unter Assistenz junger, manchmal sehr junger, manchmal zu junger Frauen. Die Partys in seiner Villa sind freizügig und gut besucht, denn woanders müsste man für so etwas bezahlen. Der Regierungschef findet es spaßig, von hinten an eine Politesse heranzutreten und eindeutige Bewegungen zu machen – zu sehen auf Youtube. Weil sich diese Attitüden mit traditionellen Mentalitäten seines Landes nicht schlecht vertragen, kommt das Machotum des Alten auch nicht schlecht an bei seinen Wählern.

    Aber die italienischen Frauen, die morgen auf die Straße gehen wollen, haben mehr als nur Silvio Berlusconi satt. Es geht ihnen nicht nur um Ruby und all die anderen, die den Ministerpräsidenten in mehr oder weniger kleine Verlegenheiten gebracht haben, sondern um die systematische Berlusconisierung des Frauenbildes, die Tag und Nacht in den Fernsehsendern des Moguls und auch im halbstaatlichen Sender RAI Programm ist. Als in den 80er-Jahren Korrespondenten über strippende Hausfrauen auf Italiens Privatsendern berichteten, schüttelten zumal die Deutschen betrübt die Köpfe: Kulturverfall! Was daraus noch werden sollte, hätte sich keiner träumen lassen. Tief dekolletierte bis halbnackte Frauen als lebende Dekoration jeder, wirklich jeder Talk- oder Quizsendung, je nach Status reine Staffage beziehungsweise laszive Tanzeinlage oder aber Quasselstrippe. Zwischen korrekt und stoffreich angezogenen Männern tummelt sich das lächelnde nackte Fleisch, das vielleicht auch einmal den Moderatoren das Blatt mit den Nachrichten reicht. Velina ist das Durchschlagpapier, Veline heißen die Mädchen, die inzwischen auch den Weg ins Lexikon gefunden werden, mit der Wortcharakterisierung: peggiorativo – abwertend. Eine Velina, das ist vorgekommen, wird auch schon mal vornübergebeugt über ein Fließband gehängt, in einer Reihe mit saftigen Schweineschinken, und vom Moderator auf den Hintern gestempelt. Was ist dagegen ein bisschen Demütigung bei Germany's Next Topmodel.

    Mädchen drängen massenhaft in diese Fernsehunterhaltung, was man ihnen nicht verdenken kann, denn dies ist ein Beruf mit Aussichten: Alles ist möglich von der Fußballerbraut bis zur Ministerin. Vor allem zur selbstsprechenden Moderatorin kann frau es bringen; dass dieser Weg, wie vor einigen Jahren bekannt wurde, bei der RAI über die Sofas von Politikern führte, macht den strukturellen Charakter dieser Vernuttung des TV-Geschäfts deutlich. Sie ist der vollendete Kleinbürgertraum des Silvio Berlusconi, dem nach Meinung seiner Gegner, unter anderem Umberto Eco, über zwei fernsehende Generationen die Verblödung eines Großteils der italienischen Gesellschaft gelungen ist – worüber man unbedingt streiten sollte.

    Berlusconi und seine Anhänger rechtfertigen sich mit der zynischen Feststellung, jeder sehe doch gern schöne Frauen. Und das stimmt. Weibliche Schönheit fasziniert immer, und zwar beide Geschlechter. Aber Botox-entstellt und in lächerlichen Posen kann sie nur verlieren.

    Frauenbefreiung heißt durchaus auch: Sich an der eigenen erotischen Ausstrahlung freuen und sie zeigen dürfen, sich fürs andere Geschlecht attraktiv zu machen. Das ist das Spiel, ein schönes Spiel. Wenn aber Frauen als lebender Schinken vor die Kamera gefahren werden, das ist kein Spiel. Denn so ein Schinken, das ist ja kein Mensch.