Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Wiedertäufer in Münster - Teil 1
Der Aufstand der Bürger gegen den Fürstbischof

Das Täuferreich von Münster beschäftigt noch heute viele Forscher und Künstler. Die Täufer wollten damals eine reine Stadt Gottes errichten. Das Phänomenale an dem Ereignis sei, dass es sich in wenigen Monaten abgespielt hat, erklärte der Historiker Ralf Klötzer im Deutschlandfunk.

Ralf Klötzer im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 18.02.2014
    1533 war der Rat der Stadt Münster komplett evangelisch geworden und begann damit gegen den Fürstbischof Kirchenreformen durchzusetzen. Doch unter dem zunehmenden Einfluss aus der niederländischen Täuferbewegung setzte sich die radikal religiöse Vorstellung durch, nach der man in Münster in absehbarer Zeit die Wiederkehr Christi erwartete.
    Rüdiger Achenbach: Herr Klötzer, das Thema Wiedertäufer in Münster ist ja europaweit immer wieder von Schriftstellern, Komponisten und anderen Künstlern aufgegriffen worden. Wie sieht es denn generell mit der historischen Forschung zu diesem Thema aus? Gibt es noch genügend Material, um die Ereignisse überhaupt zu rekonstruieren?
    Ralf Klötzer: Die Quellenlage ist sehr gut. Es gibt aus verschiedener Sicht etliche zeitgenössische und spätere Berichte, Akten, Urkunden. Auf dieser Grundlage hat die historische Forschung sich mit der Täuferherrschaft beschäftigt. Und die Forschung wird auch weitergehen. Also ich bin gespannt, wie es in den nächsten Jahren auf dem wissenschaftlichen Markt aussehen wird.
    Achenbach: Das heißt, es ist immer noch ein Thema in der historischen Forschung?
    Klötzer: Ja, denn die Quellen müssen immer wieder gegen den Strich gelesen werden, weil viele gegnerische Quellen darunter sind. Man kommt der historischen Wahrheit nur auf die Spur, wenn man feinfühlig auch zwischen den Zeilen liest. Das heißt, jede neue Fragestellung, die man an die Quellen richtet, bringt auch neue Ergebnisse hervor.
    Achenbach: Wenn man das Phänomen "Täufer in Münster" überhaupt verstehen will, muss man zunächst einen Blick auf die Ereignisse der Reformation werden. Wann treten denn in Münster überhaupt die ersten evangelischen Prediger auf?
    Klötzer: Ja, das Phänomenale an diesem Ereignis der Täuferherrschaft ist ja, dass es sich in wenigen Monaten abgespielt hat - zwischen Februar 1534 und Juni 1535. Um 1530 hatten die Lutheraner das Augsburger Bekenntnis bereits verabschiedet und sich konfessionell festgelegt. Erst danach tritt Münster in die reformatorische Bewegung ein. Das war ein Problem, denn es gab wenig Freiheit und Spielraum sich noch reformatorisch zu bewegen. Münster hat trotzdem versucht, diesen Spielraum zu nutzen, auszuweiten und ist letztlich daran gescheitert.
    Achenbach: Als Stadtreformator in dieser Zeit in Münster tritt ja dann besonders eine Person hervor: Bernhard Rothmann. Was war das denn für ein Mann?
    Klötzer: Bernhard Rothmann war ein Kaplan, also ein katholischer Priester. Er stammte aus dem Umland von Münster - Stadtlohn. Er war Kaplan an der Mauritz-Kirche außerhalb der Stadt, die Stiftskirche 500 Meter vor den Toren der Stadt gelegen. Viele Bürgerinnen und Bürgen haben ihn gehört im Sommer 1531. Er predigte evangelisch. Das heißt, die beginnende evangelische Bürgerbewegung hatte hier ihren Theologen und Prädikanten - wie man sagte - also Prediger. Er erhielt mehrfaches Predigtverbot durch seine geistige Obrigkeit, das Domkapitel - und dann sogar den Landesverweis. Es wurde also zu einem Politikum. Der Kaiser hat den Fürstbischof aufgefordert, Rothmann des Landes zu verweisen, also zu vertreiben. Das führt aber nur dazu, dass seine Anhängerschaft in der Stadt, die schon viele Hundert Köpfe zählte - auch potente Bürger darunter, Rothmann förderte und in der Stadt als Reformator einführte.
    Bevormundung durch den Klerus abschütteln
    Achenbach: Das heißt, man hat sich an dem Vorbild in Münster orientiert. Was andere Städte schon hatten, man hat einen Bürgerrat eingesetzt.
    Klötzer: Und dieser 70-köpfige Ausschuss hat dann beim Rat durchgesetzt, dass alle Stadtkirchen mit evangelischen Predigern besetzt wurden. Das war im Sommer 1532 erfolgreich.
    Achenbach: Was versprach man sich denn in der Bürgerschaft von der evangelischen Lehre?
    Klötzer: Also, man muss wohl den religiösen und sozialen Faktor auseinanderhalten beziehungsweise beides hat auch zusammengewirkt. Religiös hatte man schon die Erkenntnis, dass die katholische Lehre den wahren Glauben verhindert hat, und man mit dem Evangelium - also mit dem reinen Wort Gottes - ohne kirchliche Tradition das Seelenheil eher sichern könnte. Sozial hat man dadurch gesehen, dass der Klerus eigentlich überflüssig ist, dass man die Bevormundung durch den Klerus abschütteln konnte. Die Bürgerschaft hat sich ausgerechnet, dass sie eine Kirchenhoheit bekommt, das heißt, selbst bestimmen kann, was in Glaubensfragen richtig und falsch ist.
    Achenbach: Wie reagiert denn der zuständige Landesherr Fürstbischof auf diese Entwicklung? Das kann ihm ja nicht angenehm gewesen sein.
    Klötzer: Ja, der Fürstbischof konnte zunächst gar nicht reagieren, wenn in der Position des Fürstbischofs haben sich drei Herren abgewechselt im Jahr 1532. Erst Franz von Waldeck, der dritte Fürstbischof des Jahres 1532, der im Frühsommer eingeführt wurde, konnte dann gegen die beginnende reformatorische Bewegung vorgehen. Da war aber vieles schon eingeleitet. Die Bürger hatten ihr Selbstbewusstsein entwickelt, ihren Teilerfolg mit den evangelischen Predigten an den Stadtkirchen erzielt. Und dann konnte der Fürstbischof erst reagieren. Er hat eine Wirtschaftsblockade gegen die Stadt verhängt. Er hat 600 Ochsen beschlagnahmen lassen, die münstersche Bürger nach Köln treiben ließen, um sie dort zu verkaufen. Das war typisch im mittelalterlichen Fehdewesen, also den Gegner unter Druck setzen.
    Die Stadt hat mit Gegendruck geantwortet, in dem sie am Weihnachtstag am 25. Dezember 1532 in Telgte zehn Kilometer vor Münster die bischöflichen Berater überfallen und als Geiseln mit nach Münster genommen hat, die dort versammelt waren, um weitere Schritte gegen Münster zu planen. So kam man dann zu einem Kompromiss. Der Fürstbischof hatte 600 Ochsen, die Stadt hatte 18 bischöfliche Berater, und durch Vermittlung des hessischen Landgrafen Philipp war es dann möglich, einen Vertrag abzuschließen, indem der Fürstbischof anerkannt hat, dass die Stadtkirchen evangelisch sind. Die Stadt musste aber anerkennen, dass Dom und Kloster beim katholischen Ritus bleiben.
    Lebt so, wie Christus gelebt hat
    Achenbach: Und der Stadtreformator Bernd Rothmann bekam den Auftrag, eine neue Kirchenordnung für Münster zu entwerfen. Aber sein Verständnis der Sakramente stieß dann doch auf heftige Kritik. Warum?
    Klötzer: Er hatte schon im Jahr 1553 eine radikale Abendmahlsauffassung, die nicht nur von der Lehre der katholischen Kirche, sondern auch von der Lehre Luthers abwich und eher der Lehre Zwinglis glich - eine spiritualistische Abendmahlsauffassung, nach der das Zentrum des Abendmahls die Gedächtnisfeier des Todes Christi ist.
    Achenbach: Also mehr als Erinnerungsmahl verstanden, und kein göttlicher Gnadenerlass.
    Klötzer: Genau, aber mit großem moralischem Anspruch, denn die Erinnerung bedeutet eine Verpflichtung. Man ist verpflichtet, wie Christus gesagt hat: "Tut dies zu meinem Gedächtnis". Das hat man gedeutet auf das ganze Leben Christi - also: Lebt so, wie ich gelebt habe - bis zum Tod. Das ist also eine Märtyrer-Theologie, die letztlich dahinter steckt. Zentral in diesem Abendmahlsverständnis ist die Vorstellung, dass das Sakrament ein Bundesschluss ist. Da heißt, nicht nur Gott handelt, sondern der Mensch handelt mit. Gott und Mensch treten in einen Bund ein. Und mit diesem Abendmahlverständnis ist es nur logisch, dass auch die Taufe eine neue Theologie bekommt. Die Kindertaufe wird abgelehnt, weil sie nur passiv empfangen wird als Gnadenakt Gottes. Die beginnende Tauflehre bedeutet, dass die zum Täufertum neigenden Theologen verlangt haben, dass die Erwachsenen erst ihren Glauben bekennen müssen und dann getauft werden.
    Achenbach: Also eindeutig Taufe als Bekenntnisakt. Das bedeutete aber, dass man ja die Kinder von vornherein taufte, dass es zu Wiedertaufen kommen musste, wie man dieses Phänomen nennt. Diese Wiedertaufe war aber per Ratsgesetz von 1529 verboten.
    Klötzer: Ja, die Kindertaufkritiker haben sich in eine Konfliktsituation begeben. Sie waren sich dessen auch bewusst, aber sie dachten und meinten und haben das auch vertreten, dass man nichts vor die göttliche Wahrheit stellen dürfte. Reichsgesetze gelten nur, solange die Menschen ihnen auch folgen. Wenn die Mehrheit sich zum wahren Christentum, zur Erkenntnis der Heiligen Schrift bekennt und durchringt, dann werden die Reichsgesetze auch fallen. Der Stadtrat sah sich aber genötigt, gegen die Kindertaufkritiker in der Stadt vorzugehen, und hat schließlich sogar den evangelischen Predigern die Kirchen geschlossen. Das wurde dann zu einer großen inner-evangelischen Auseinandersetzung, denn der Rat hatte nun keine Prediger mehr und musste versuchen eine konservative, eher lutherisch orientierte Reformation erst aufzubauen. Dazu fehlte es aber an der sozialen Basis. Die folgte nämlich Rothmann und seinen Mitpredigern, die die Kindertaufe kritisierten.
    Unter äußeren Druck bekannte sich der Stadtrat zur inneren Solidarität
    Achenbach: Durch dieses reformatorische Klima in der Stadt wurden dann auch Anhänger der Täuferbewegung auch aus den Niederlanden angezogen. Was waren das für Leute?
    Klötzer: Der erste und schließlich auch wichtigste Mann war Jan van Leiden, ein junger Mann - damals von 23 Jahre alt, der gehört hatte, dass in Münster das Evangelium am besten gepredigt wird. Er hat sich im Sommer 1533 zwei Monate in Münster aufgehalten, ging dann zurück nach Holland. Er ließ sich dort wiedertaufen von einem dort aufgetretenen Propheten Jan Matthys. Dieser Jan Matthys wurde in dieser Spätphase des Jahres 1533 zur wichtigsten Führungsfigur der niederländischen Täuferbewegung, die dort schon seit zwei, drei Jahren aktiv war. Dieser Jan Matthys war sehr endzeitlich motiviert, hat Christus erwartet, die Christusherrschaft, die bald eintreten sollte. Er hat dann Boten ausgeschickt. Jan van Leiden ist auch wieder in Münster erschienen im Januar 1534. Boten des Jan Matthys hatten auch schon zu Beginn des Januar 1534 die Erwachsenentaufe in Münster eingeführt. Durch diese prophetischen Einflüsse aus Holland ist die Täuferbewegung in Münster sehr stark beeinflusst worden. Das heißt, sie ist durch diese Bewegung aus Holland erst initiiert worden. Aber es treten hier eben zwei Bewegungen sozusagen in Kontakt, die münstersche Stadtreformation, die zum Täufertum neigte, und die bereits existierende niederländische Täuferbewegung.
    Achenbach: Nun war der Fürstbischof eigentlich gezwungen zu handeln, denn er musste sich ja am Reichsgesetz orientieren.
    Klötzer: Ja, und er handelte sofort. Als er hörte, dass in Münster die Erwachsenentaufe eingeführt war, da hat er sofort den Stadtrat aufgefordert, die Verantwortlichen auszuliefern. Aber unter diesem äußeren Druck hat der Stadtrat sich zur inneren Solidarität bekannt. Er hat sich nicht dazu durchgerungen, eigene Mitbürgerinnen und Mitbürger auszuliefern. Dadurch hat der Rat eigentlich seine Machtbasis verloren. Er musste sich entscheiden: entweder die Täufer aktiv zu unterstützen oder den Fürstbischof aktiv zu unterstützen. Beides wollte er nicht. Die Ratsmacht zerfiel. In der dann wieder turnusmäßig alljährlich stattfindenden Ratswahl Ende Februar wurden Täuferfreunde in den 24-köpfigen Rat gewählt. Damit begann am 23. Februar 1534 die Täuferherrschaft.
    Achenbach: Die Täufer bekamen die Stadt ganz in die Hand. Was geschah mit denen, die katholisch bleiben wollten oder die lutherisch gesinnt waren? Mussten sie die Stadt verlassen?
    Klötzer: Sie haben recht. Es gab zwei Gruppen von Gegnern: die alte Katholischen, die schon im Herbst 1533 versucht hatten, die Spannungen in der Reformation dazu auszunutzen, Münster zu re-katholisieren, und die gemäßigt Evangelischen um den Rat, der ja versucht hatte, mit Spätjahr 1533 eine gemäßigte Reformation durchzusetzen. Beide Gruppen haben schon Anfang Februar, also zwei, drei Wochen vor der Ratswahl, die Stadt verlassen, als die gesehen haben, dass sie wegen der Toleranz für die Täufer nichts mehr gegen die Täufer machen lässt. Wer dann noch in der Stadt blieb, wurde vom Täuferischen Rat dazu aufgefordert, sich entweder taufen zu lassen - also wiedertaufen zu lassen - oder die Stadt zu verlassen. Das heißt, man wollte eine reine Stadt Gottes. Die Gegner sollten dann der Strafe Gottes, mit der man rechnete, überlassen werden.