Dienstag, 23. April 2024

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WIEDERTÄUFER IN MÜNSTER - TEIL 2
Die Macht der Propheten und die Endzeiterwartung

1534 wurde der niederländische Wanderprediger Jan van Leiden in Münster als König ausgerufen. Da man in der Stadt die baldige Wiederkunft Christi erwartete, setzte man Münster nun mit dem Königreich Zion gleich.

Ralf Klötzer im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 19.02.2014
    Das Kreuz der Gutleutkirche ist am 29.11.2012 in Frankfurt am Main (Hessen) vor bewölktem Himmel zu sehen.
    Jan Matthys verstand sich als Prophet der Wiederkunft Christi (picture alliance / dpa / Nicolas Armer)
    Rüdiger Achenbach: Wie sah denn nun diese erste Phase der Täuferherrschaft in Münster aus?
    Was wurde denn überhaupt verändert?
    Ralf Klötzer: Die erste Phase war sehr, sehr dramatisch, denn die alte Stadtverfassung mit der Ratsobrigkeit stand im Widerspruch zur Prophetenherrschaft. Jan Matthys war Mitte Februar in Münster erschienen, Jan van Leiden schon seit Mitte Januar in der Stadt und Rat, Prediger und Propheten haben eine gemeinsame Regierung gebildet. Aber es wurde von Fall zu Fall immer problematischer, wer nun eigentlich das Sagen hat.
    Die Propheten, vor allem Jan Matthys haben sich von ihrer Intuition leiten lassen und haben es nicht immer verstanden beim Rat und bei der eher traditionell orientierten Bürgerschaft mit ihren Vorstellungen durchzukommen. Dadurch sind gravierende Konflikte entstanden.
    Es wurde erst einmal die Gütergemeinschaft eingeführt, es wurde auch durch Befehl des Jan Matthys das gesamt Ratsarchiv verbrannt. Er hatte die Vorstellung, man muss sich ganz von der Geschichte und Vergangenheit trennen, um sich für die Zukunft zu öffnen. Das ist eine Katastrophe für die Stadtgeschichtsforschung, denn mittelalterliche Quellen sind in Münster kaum noch vorhanden.
    Daran haben sich Konflikte entzündet. Einer der führenden Bürger sagte, die Propheten müssen wohl einen Teufel im Leib haben, denn sie haben wohl erkannt, dass, wenn man sich ganz von der Welt verabschiedet, dann wird man auch für die Umwelt unverständlich und verliert alle Möglichkeiten, um Bündnispartner zu gewinnen.
    Einer dieser führenden Bürger hat das mit dem Leben bezahlt. Jan Matthys hat ihn getötet. Das war keine geplante Hinrichtung, es war ein dramatischer Akt einer Bestrafung und er hat ihn schließlich erschossen. Jan van Leiden hat dann gesagt er soll wieder gesund werden, also die Propheten waren wohl auch uneins, was Gott nun vorhat mit der Stadt und mit ihrem Regiment.
    Achenbach: Nun hat Matthys dann für Ostern 1534 sogar die Wiederkunft Christi angekündigt.
    Klötzer: Ja, diese Ankündigung war schon älter. Seit der Hochzeit der Reformation Mitte der 1520er-Jahre wurde mit der Christusherrschaft ab Ende 1533 gerechnet. Das sind Berechnungen, die auf mittelalterliche Vorstellungen der Wiederkunft Christi zurückgehen. Man hat sich genau auf das Jahr 1533 festgelegt. Es wurde dann noch einmal verschoben auf Ostern 1534. Das war der späteste Termin.
    Jan Matthys hat sich als Prophet der Wiederkunft Christi verstanden und Christus kam nicht. Daraufhin hat er die Stadt verlassen. Der Fürstbischof hatte inzwischen die Belagerung aufgebaut.
    Jan Matthys ist mit einigen Getreuen in die Hände der Belagerer gefallen und wurde am Ostertag am 5. April 1534 getötet. Möglicherweise hat er sich als Zeuge der Wiederkunft Christi verstanden und sein Tod war - nach der Apokalypse des Johannes - eine Vorbedingung der Wiederkunft Christi.
    Achenbach: Das heißt also, er sah sich als einer der beiden Zeugen, die dort angekündigt wurden vor der Wiederkehr Christi, denn zur gleichen Zeit saß ja in Straßburg Melchior Hoffmann im Gefängnis, der allgemein als der sogenannte erste Zeuge angesehen wurde.
    Was veränderte sich in der Täuferstadt nach dem Tod des ersten Propheten?
    Klötzer: Jan van Leiden war nun der verantwortliche Prophet. Er hat die Situation umgedeutet, man sollte nicht mehr passiv auf die Wiederkunft Christi warten, sondern seine Vorstellung war, Münster sollte ein Vorbild sein für die Welt.
    Münster als Vorbild für die Welt
    Achenbach: Also er ändert das Konzept.
    Klötzer: Ja, absolut. Das war das Konzept was dann durchtrug bis zum Ende. Die Änderung bedeutete aber eine Verknüpfung des alten reformatorischen Konzeptes, nämlich dass die Stadt selbst sich verändern muss mit der Endzeiterwartung nämlich, dass Gott wiederkommt und die Weltregierung übernehmen wird in einem Friedensreich. Das heißt hier in dieser Perspektive, Münster als Vorbild für die Welt, verschmilzt die radikal-reformatorische Stadtreformation mit der Endzeiterwartung.
    Gesellschaft in Münster war am Ausprobieren
    Achenbach: Und es kommt dann im Juli 1534 - das wird immer als besonders spektakulär hervorgehoben – vor allem in Verfilmungen dieses Themas – in der Täuferstadt zu einer neuen Ehegesetzgebung. Wie sah die aus?
    Klötzer: Jan van Leiden hat das verkündet und die Prediger waren zunächst dagegen. Man hat acht Tage darüber diskutiert, es dann aber doch angenommen.
    Jan van Leiden war davon überzeugt, dass man die Ehe als Grundordnung der Gesellschaft einführen musste. Das heißt, nach Gottes Willen sollten Mann und Frau in der Ehe zusammenleben.
    Das Problem war, das in der Stadt nur etwa 2.000 Männer, aber 5.500 Frauen lebten, so dass viel zu wenig Männer für eine normale Eheordnung vorhanden waren. Nach dem Vorbild des alten Testaments hatte man dann die Mehrehe zugelassen. Ein Mann sollte und durfte mehrere Frauen heiraten. Umgekehrt war das nicht möglich, also die Mehrehe für die Frauen.
    Die Vorstellung wurde später revidiert und abgeändert, indem dann auch das Scheidungsrecht der verheirateten Frauen, die gegen ihren Willen verheiratet worden waren, zugelassen wurde.
    Das heißt, die Gesellschaft in Münster war am Ausprobieren und das waren keine Betonköpfe, sondern sie haben ihre Revolution, ihre Gesellschaftsveränderung als einen Prozess verstanden.
    Achenbach: Und Jan van Leiden ging als Vorbild voran und nahm dann gleich 16 Frauen, 16 Ehefrauen und es kam noch was anderes dazu: Jan van Leiden wurde nun zum König ausgerufen. Er war König des Königreichs der Täufer in Münster und verstand dieses Königtum als ein universales Königtum, sie haben das vorhin schon einmal angedeutet. Denn er wollte ja Münster zum Vorbild für die Welt machen und von Münster aus auf die Welt wirken. Da hat man in diesem Zusammenhang auch versucht eine Missionskampagne zu starten für die Nachbarstädte, die aber nicht besonders glücklich ausgegangen ist.
    Klötzer: "Ja, zunächst. Jan van Leiden hat wohl 16 Frauen geheiratet, aber im Laufe der Zeit. Das heißt, im Herbst hatte er erst vier, dann sechs und erst im Frühjahr 1535 16 Frauen.
    Seine Vorbildfunktion war wichtig, denn die Männer waren gar nicht so begeistert von der Mehrehe. Sie haben sich damit nur Probleme gemacht.
    Jan van Leiden wurde im September nach dem zweiten abgewehrten Sturmversuch der Belagerer zum König ausgerufen. Ein neuer Prophet – Johann Dusenschuher – hat gesagt, Jan van Leiden soll König sein, man hat sich berufen auf die kleinen Propheten Jeremia, Echeziel in denen von einem einzigen König, der überall auf Erden herrschen soll am Ende der Zeiten gesprochen wird.
    Jan van Leiden hat durch seine Boten die er im Oktober 1534 sich nach Soest, Warendorf, Coesfeld und Osnabrück geschickt hat versucht, das Gesellschaftsprojekt von Münster in andere Städte zu tragen.
    Das war wirklich die einzige Chance die Münster hatte, Bündnispartner zu gewinnen, aber die Boten sind ergriffen worden.
    Warendorf wurde eine Woche von den Täuferboten beherrscht. Die haben dort predigen dürfen, aber der Fürstbischof hat Truppen hingeschickt – die Stadt wurde schneller besetzt als es in Münster möglich war. Und da wurde der Garaus gemacht.
    Damit scheiterte eigentlich das Projekt von Münster. Die Täufer in Münster haben dann im Spätherbst noch versucht, bewaffnete Hilfe aus Holland zu mobilisieren. Aber die niederländischen Täufer waren selbst zu schwach. Sie haben sich wohl teilweise bewaffnet, aber zu einem Zug zur Befreiung Münsters konnten sie nicht aufbrechen, denn dazu haben ihre Kräfte nicht ausgereicht.
    Achenbach: Und es war dann vor allem Heinrich Greesbeck, einer der die Stadt verlassen konnte, einer der wenigen der als Überlebender aus der Stadt herauskam, der dann zu Eroberung der Stadt eine entscheidende Rolle gespielt hat, indem er die Schwachstellen sozusagen in der Sicherung der Stadt verraten konnte. Aber was geschah nun mit dem Täuferkönig Jan van Leiden und seinen führenden Täufern nachdem man die Stadt eingenommen hatte?
    Klötzer: Bei der Eroberung der Stadt sind die meisten Männer getötet worden – etwa 650 getötete die sich noch zuvor verteidigt hatten – einzelne wurden dann in den folgenden Tagen hingerichtet – auch einige führende Frauen. Die Stadt war menschenleer, weil die Frauen vertrieben, die Männer umgebracht worden waren.
    Man hatte drei Hauptgefangene: Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling, den Bürgermeister der Täufer und Bernd Grechting, ein ehemaliger Priester, der zu einer Führungsfigur aufgestiegen war. Aber das waren nur drei stellvertretende Führer. Man hätte noch mehr Führer verantwortlich machen können. Man brauchte aber für eine Schauhinrichtung nur diese drei Köpfe.
    Diese hat man ein halbes Jahr im Kerker gefangen gehalten und sie dann im Januar 1536 – ein halbes Jahr nach Eroberung der Stadt auf dem Prinzipalmarkt – auf dem Markt der Stadtminister – vor dem Rathaus hingerichtet.
    Achenbach: Und ihre toten Körper wurden in Eisenkäfigen aufrecht festgebunden und zur ewigen Abschreckung an den Turm der Lamberti-Kirche gebunden und dort kann man diese Käfige bis heute noch sehen in Münster.
    Klötzer: Ja, die Käfige sind ein warnendes Zeichen des Fürstbischofs gewesen, nie wieder eine Revolution einzuführen gegen die Reichsgesetze und so hängen sie heute noch da.