Dienstag, 16. April 2024

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Wiener Etikette (1/5)
Im Walzertakt Manieren lernen

Wenn Apotheker, Juristen und Psychologen Walzer tanzen, ist Ballsaison in Wien. Höhepunkt: der Wiener Opernball. An der Zahl der Festlichkeiten kann es also nicht liegen, dass Tanzlehrer Roman E. Svabek den Verlust der Etikette befürchtet.

Von Markus Dichmann | 05.02.2018
    13. 02. 2011 Tanzlehrer Roman Svabek: Tanzunterricht für die Opernball
    "Österreich war ja noch so die letzte Insel der etikettären Elite, aber das geht verloren", fürchtet Tanzlehrer Roman Svabek, Zeremonienmeister des Wiener Opernballs (imago stock&people)
    "Walzer, wird eine schöne Geschichte werden. Es wird nicht der Donauwalzer werden, sondern, wie es in Wien halt so ist, wir werden uns für die Wiener Bürger entscheiden."
    Ein weißer Saal mit meterhohen Decken im Wiener Apothekerhaus. Ein stolzer Prachtbau aus dem Jahre 1908.
    "Und für unseren Hauptteil, werden wir uns für Josef Strauss entscheiden. Dürft's euch schon mal so aufstellen, so annähernd in Reihen."
    Die Paare begeben sich in Formation, so annähernd in Reihen. Manche wissen nicht so recht wohin mit den Füßen, andere strecken ziemlich selbstbewusst die Brust raus.
    "Jetzt können wir auch Zugreifen, ist ja eine nette Geste von der Dame, dass sie uns die Hand reicht."
    Ausgangsposition für die Ballchoreographie. Dirigent des Geschehens ist Roman E. Svabek.
    "So, jetzt mit Liebe! Nicht die Fremde anschauen, die eigene!"
    Zuständig für Vermittlung der Etikette: die Tanzschulen
    Schwarzer Anzug, schwarzes Haar, weißes Hemd leicht aufgeknöpft, den Schal lässig um den Hals geworfen. Szenekenner scherzen: Das E stehe für Elvis.
    Roman Svabek ist Tanzlehrer und bereitet die jungen, ziemlich schick gemachten Nachwuchs-Apotheker auf ihren ersten Ball vor. Den Ball der Pharmazeuten in der Wiener Hofburg, dem alten Kaisersitz, wo die Pharmazie-Studenten debütieren werden. Heute heißt das schlicht: Sie tanzen. Anders war das, als tatsächlich noch ein Kaiser in der Hofburg residierte. Damals hieß debütieren, in die Gesellschaft eingeführt zu werden.
    "Weil beim Tanzen lerne ich ja nicht Tanzschritte im ersten Kurs. Sondern ich lerne: Wie gehe ich mit einem anderen um? Wie nahe darf ich einer Dame kommen? Wie nehme ich eine Dame in den Arm, ohne ihr nahe zu kommen? Den Tanzschritt? Ja gut, den lernst erst im zweiten Stadium. Und das hat man den Tanzschulen auch ein bisschen weggenommen. Denn das sind seit ewigen Zeiten die, die dafür zuständig sind, die Gesellschaftsstruktur zu lehren. In weiterer Form die Etikette."
    Etikette. Die ist elementar für Roman Svabek. In seinen Tanzkursen, in den Benimm-Seminaren, die er gibt, und er hat über sie sogar ein Buch geschrieben. Es heißt: "Küss die Hand".
    "Österreich war ja noch so die letzte Insel der etikettären Elite, aber ja, auch das geht verloren."
    Jedes Frühjahr fast 480 Bälle in Wien
    Svabek will dagegen halten und bringt nicht nur den jungen Apotheker-Damen bei, den Knicks zu machen - "Und wenn wir aufstehen tun wir das nicht so wie meine Großmutter" - und den Herren, sich zu verbeugen - "Die Herren – Achtung! Beugen! Und fünf, sechs" - , sondern er hat das Sagen auch als Zeremonienmeister beim großen Wiener Opernball.
    "Jeder hat eine zweite Chance verdient."
    Insgesamt feiert Wien jedes Frühjahr binnen zwei Monaten fast 480 Bälle – Apothekerball, Juristenball, Bonbonball und auch den dieses Jahr wieder viel diskutierten Akademikerball. Trotz der vielen, feinen Festlichkeiten meint Svabek aber, es gehe etwas verloren:
    "Also, ob der jetzt die Gabel mit allen Fingern hält, die er findet, oder nur mit dreien, wie sich's gehört, es werden alle satt werden. Spanisches Hofzeremoniell in allen Ehren. Knigge, Etikette, ein tolles Werk! Keine Frage! Aber nichtsdestotrotz, wir müssen das an die Zeit anpassen."
    Kurze Pause für die Tänzer. Zeit, sich umzudrehen und das Nachbarpaar zu begrüßen.
    "Da kommen Komplimente, meistens Huldigungen zur Dame."
    Wenn die Etikette aber mehr ist als bloß Manieren und Komplimente - "Die lassen wir jetzt aus" -, mehr als Tischregeln, Handkuss und Walzerschritte - "…nicht weil wir den Damen nicht huldigen wollen, nein! Weil wir nicht wissen, wie's geht."
    Debütanten beim Wiener Opernball 2013
    Debütanten beim Wiener Opernball - einer von 480 Bällen in Wien jedes Frühjahr (picture alliance/ dpa/ Jens Kalaene)
    Svabek geht es um modernen Benimm
    Was ist Etikette dann?
    "Die Etikette regelt, so banalisiert sie wird, oder so abstoßend sie für manche wirkt, die Etikette regelt das Miteinander. Das Zusammenleben. Der Grundlevel unserer Gesellschaft. Was mach ich mit einem Gegenüber, das mir entgegenkommt und die Hand ausstreckt? Wann grüßt man, wann grüßt man nicht? Wie verhalte ich mich, wenn ich einen Aufzug einsteige? Bei uns gibt's mittlerweile in der U-Bahn Filme, wo beschrieben wird, wie man sich zu verhalten hat. Da rennt doch was falsch! Wenn ich einen Film brauch, damit ich meinen Landsleuten sage, hört zu, bitte rempelt den anderen nicht an und wenn eine gebrechliche Person hereinkommt, dann gib ihr einen Sitzplatz, dann hab ich doch was an meinem Sein falsch verstanden."
    Es geht Svabek also um modernen Benimm für U-Bahn, Aufzug und auch junge Apotheker-Paare. Aber ein Hofzeremoniell, wie es in Österreich vor 100 Jahren noch zelebriert wurde, das sei zu Recht Geschichte.
    "Ich hoffe niemals, dass wir zurückfallen in die Monarchie. Es hat vor allem unter dem letzten Herrscher, den alle da verherrlichen, mehr Kriege gegeben als in den letzten 200 Jahren vor seiner Regentschaft."
    Er meint Kaiser Franz Josef I, Regent von 1848 bis 1916. Seine Gattin: Sissi.
    "Und er hat den größten Krieg aller Zeiten angezettelt. Das muss man auch immer sagen."
    "Achtung und: Zueinand', umeinand', und um den Herren! Was glaubst Du, was ist mit 'um den Herren' gemeint?"
    Beim Walzer hakt's vielleicht noch an der einen oder anderen Stelle. Aber die Formationen sitzen mit jedem Versuch besser und ein ganzer Saal junger Apotheker tanzt zusammen einen ansehnlichen Walzer.
    "Das ist der Punkt, wo ich neue Wege zeigen möchte. Dass man mit altem Regelwerk sehr wohl auf modern leben kann. Jeder hat ein Ablaufdatum, wird schon bei der Geburt drauf gestempelt. Es geht nur darum, die Zeit möglichst friedlich miteinander zu verbringen."