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Wiener Festwochen
Der ganz andere Life Ball

In Wien ist derzeit viel los: Die HIV-Benefiz-Veranstaltung Life Ball und der anstehende Eurovision Song Contest sorgen für bunten Trubel in der Stadt. Ebenfalls bunt, aber wesentlich leiser, macht derzeit die erste Opernpremiere der Wiener Festwochen auf sich aufmerksam: Salvatore Sciarrinos "Die tödliche Blume", inszeniert von Achim Freyer.

Von Jörn Florian Fuchs | 17.05.2015
    In Wien herrscht momentan Ausnahmezustand. Die Vorbereitungen auf das kommende Woche stattfindende Finale des Eurovision Song Contest laufen auf Hochtouren, doch schon dieses Wochenende sah man in der ganzen Stadt viel schrilles Personal.
    Grund war der berühmte Life Ball, auf dem sich vor allem Gleich- und Zwischengeschlechtliches tummelt. Sogar die Ampeln der Innenstadt wurden eigens aus diesem Anlass umgerüstet. Doppelmännlein oder Zweifachweiblein zeigen an, wohin die Reise geht.
    Im Museumsquartier stand unterdessen die erste Opernpremiere der diesjährigen Festwochen an und man muss vor Intendant Markus Hinterhäuser wirklich sämtliche bunten Hüte ziehen. Denn kann man genialer auf ein Superspektakelevent wie den Life Ball reagieren als mit dem filigranen, leisen, zitternden Musiktheater "Die tödliche Blume" von Salvatore Sciarrino? Das Stück handelt im Kern vom Renaissance-Barock-Komponistenfürsten Carlo Gesualdo, der seine Frau und ihren Liebhaber tötete. Doch Sciarrino entwickelt aus dem Stoff eine sinnlich reflektierende Parabel über Liebe und Vergänglichkeit, über kurze Momente, die existenzielle Situationen zum Kippen bringen, über völlige Hingabe – und über Musik. Denn neben seiner einschlägigen, kurzatmig dahineilenden, schattenhaften Textur hört man auch höchst kunstvoll verarbeitete 'Gesualdismen'.

    Das Klangforum Wien lässt unter Emilio Pomàricos behutsamer Leitung viele kostbare Details ertönen, Anna Radziejewska verleiht der unglücklich Liebenden vokal Flügel, die rivalisierenden Herren sind mit Otto Katzameier und Kai Wessel perfekt besetzt.
    Perfekte Besetzung, mangelnde Akustik
    Ein Wermutstropfen ist leider die wahrlich nicht optimale Akustik des Aufführungsortes. Achim Freyer verbannt das Orchester sehr weit weg und nach unten, über den Musikern gibt es drei Spielflächen auf drei Etagen. Ganz oben hängt kopfüber der immer wieder mal ins Geschehen hinein flüsternde Diener, darunter steht – meist stocksteif – die umworbene Dame. Seitlich und schräg unter ihr singen die Herren ihre Liebes- und Todeslieder. Alle Figuren sind wie immer bei Freyer stark stilisiert, es gibt Masken, kunstvolle Gewänder, grelles Make-up. Hinzu kommen Videos auf einem Gazevorhang, die abstrakte Formteile oder Insekten oder vertikale und horizontale Linien zeigen. Gesungen wird konsequent nur direkt ins Publikum, man sieht sich nicht an und reagiert allenfalls durch kleine Gesten aufeinander. Auf Sciarrinos artifizielles Gefüge reagiert Achim Freyer mit einer ganz eigenen, kunstvoll künstlichen Ästhetik.
    Gegengift zum Life Ball
    Das Ergebnis ist zwar sehr sinnlich, fordert aber auch immense Konzentration. Vor das eigentliche Stück hat Freyer außerdem noch eine 15-nminütige Performance für fünf stumme Spieler gestellt. Hier sieht man in schnell geschnittenen Szenen wiederum angedeuteten Mord- und Totschlag. Ein roter Handschuh liegt da, es gibt ein kopfloses Schaukelpferd oder miteinander ringende Wesen.
    Im Ganzen ist dieser wundersam verschrobene, zugleich schrille wie meditative Abend ein echtes Gegengift zum Life Ball. In Sachen Buntheit und Verrücktheit ist er ihm vermutlich wenn nicht überlegen, so doch mindestens ebenbürtig.