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Wiener Schauspielhaus
Anja Hillings "Sinfonie des sonnigen Tages"

Von Hartmut Krug | 03.10.2014
    Die Müllsammlerin Lou, eine Frau aus der Dritten Welt, ist übers Meer gekommen. Nun kämpft sie am und im Meer vergeblich um ihre Existenz. Dagegen will ein Ehepaar aus der 1. Welt im Strandurlaub nur sein Beziehungsleben in Ordnung bringen. Irgendwie, und das meint wirklich irgendwie, hat das Paar auch Probleme damit, dass es ihm gut geht, während es überall andernorts anderen Menschen schlecht geht. So entwirft die Autorin einen Gefühlskosmos, in dem eine Figur aus der Dritten Welt gegen ein biederes europäisches Mittelstandspaar antritt.
    Und es gibt es immerhin Streit darum, ob und wie viel Ananas man dem Verkäufer am Strand abkauft oder wie man auf einheimische Tänzerinnen reagiert. Dazwischen redet sich Lou, die zu Beginn schon tot ist, noch einmal durch ihr Leben und ihre Wünsche. Sie erzählt vom Bett unterm Ziegenstall in einem ehemaligen Tiermarkt, spricht mit ihrem nicht auftretenden Mann und erinnert sich an eine Rakete, die auf sie zuflog, aber im Müll landete.
    Hillings Stück ist der Versuch eines Flüchtlingsdramas, doch es bleibt vor allem ein Ehe- und Beziehungsstück. 0bwohl das Schauspiel Wien erklärt, es sei, Zitat, ein "Rausch der Körper, Töne, Materialien, eine Widerrede im Angesicht des Universums" und ein "Exzess des Schmerzes." Das ist ein Missverständnis. Zwar versucht sich der kraftmeierische Text in enorme Bedeutungshöhen zu heben, doch bleibt er dabei oft im Kitsch hängen. Die Figuren erklären sich nicht, noch erspielen sie sich ihr Leben und ihre eigene Wahrheit, sondern sie werden von der Autorin in langen Passagen erklärt. Oder es gibt Resümees wie dieses. Zitat: "Im kopierten Himmel mitten in ihnen zeigt sich das Nichts vergessener Völker im Sternenumriss eines mageren Raubtiers." Zitat Ende. Nun ja....
    Wie eine Sinfonie in vier Sätzen möchte soll das Stück verstanden werden. Statt mit klassischen Musikinstrumenten, z. B. einem Fagott, wie es die Autorin in ihrem Text als eine Möglichkeit beschreibt, untermalt und atmosphärisiert das Elektroduo "Mouse on Mars" die Textfluten:
    Doch man merkt schnell: Das Stück besteht vor allem aus einem Exzess der Worte und Wörter. Philosophische Überlegungen verhaken sich in poetisierend undeutlichen Wortkaskaden und überwuchern dabei die Geschichte.
    Anja Hillings Stücke handeln stets auch von Beziehungsproblemen und der Sehnsucht der Menschen nach dem wahren Leben. Oder, wie die Autorin es formuliert: "Ihr Unglück ist ein Tier aus anderen Zeiten, größer als sie selbst und nicht leicht zu fassen." Das Zitat stammt aus Hillings Stück "Der Garten", das Ende 2011 am Schauspiel Wien ebenfalls von der Regisseurin Felicitas Brucker uraufgeführt wurde. Auch für die Uraufführung von Hillings "Sinfonie des sonnigen Tages" zeichnet Felicitas Brucker verantwortlich. Sie hat sich konsequent für das poetische Denkspiel entschieden. Das macht den nur fünfundsiebzig Minuten langen Abend doch arg zäh. Wo die Autorin noch etwas Realität erwähnt, eine Ferienanlage beschreibt, einen kleinen Jungen als Masseur oder einen Mann mit Rollkoffer, also einen Flüchtling, da wird auf Viva Schudts leerer Raumbühne jeder Realismus vermieden. Nun hat die Autorin auch kaum Dialoge geschrieben. Nur Erklärungen, Beschreibungen und Behauptungen. Weshalb ein Disput des des Paares über einen aktuellen Seitensprung des Mannes das Publikum sofort und das einzige Mal reagieren lässt. Denn sonst stehen und reden die Darsteller meist vor einer beweglichen Metallwand, die bei Lous Ausbruchsversuchen wunderbar dröhnt oder für das Urlaubspaar grelles Licht spendet.
    Über der Bühne schwebt ein Erzähler, der auch die Musik einzuspielen scheint. Er spricht Hillings Figurenbeschreibungen und deren Erklärungen des tieferen Sinns des Geschehens ein, worauf die Darsteller erst einmal diesen referierenden Sprechstil übernehmen. Realistisches Spiel ist in Hilling/Bruckners Denkspiel-Anordnung nicht vorgesehen. Natürlich kommt Lou, die Beweisfigur aus der 3. Welt, am Ende zu Tode. Doch sie war ja schon zu Beginn tot, da mochte die weißgeschminkte Darstellerin noch so laut und undeutlich aufbegehren.
    Kaum zu erwarten, dass Anja Hillings Stück, trotz seines Themas, nun die Spielpläne stürmt.