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Wieviel Ökostrom ist drin?

Seit 2005 müssen Energiekonzerne auf der Stromrechnung angeben, aus welchen Quellen ihr Strom kommt. Ab 1. November 2011 wird der Energiemix in den Informationen anders dargestellt.

Von Philip Banse | 10.11.2011
    Jochen Schneider: Philip Banse in Berlin, einige Ökostrom-Anbieter sprechen dabei von Verbrauchertäuschung – warum?

    Philip Banse: Es geht um eine neue Kategorie, ein neues Tortenstück, das in den Tortendiagrammen jetzt auftaucht. Dort gibt es jetzt nicht mehr die Kategorie "sonstige erneuerbare Energien", also Ökostrom, sondern eine zweite Kategorie, die heißt Strom aus "erneuerbaren Energien, gefördert nach dem erneuerbare-Energien-Gesetz". Der Vorwurf der Täuschung kommt so zustande: Strom aus der ersten Ökostrom-Kategorie "erneuerbare Energien", den hat der Stromkonzern wirklich eingekauft und an den Verbraucher geliefert. Jetzt gehen Verbraucher natürlich davon aus, dass auch der Strom aus diesem zweiten neuen grünen Tortenstück daneben an ihn geliefert wurde. Davon kann er jedoch nicht ausgehen. Denn diese neue Kategorie Ökostrom im Strommix ist eine rein statistische Größe. Sie sagt nicht, ob und wieviel Ökostrom ein bestimmter Stromkonzern einem bestimmten Verbraucher geliefert hat. Dieses zweite grüne Tortenstück sagt nur, wie viel Ökostrom wir alle insgesamt so finanziert haben mit der Ökostrom-Abgabe, die ja jeder von uns mit der Stromrechnung bezahlt. Diese Kategorie sagt, nicht wieviel Ökostrom mein Stromlieferant wirklich eingekauft, geschweige denn, an mich geliefert hat. Weil Stromanbieter sich jetzt aber dieses zweite grüne Tortenstück in den Strommix schreiben dürfen, obwohl sie vielleicht gar keinen Ökostrom an die Verbraucher ausliefern, spricht Tim Loppe vom Ökostrom-Anbieter Naturstrom von Täuschung:

    "Es kann im schlimmsten Fall sein, dass ein Stromversorger seinen Strom zu 100 Prozent aus Kohlekraft bezieht und trotzdem ein Anteil erneuerbarer Energien in seinem Strommix ausweist."

    Schneider: Was fordern die Ökostrom-Anbieter?

    Banse: Die Ökostromanbieter fordern, dass das Energiewirtschaftsgesetzt wieder geändert wird, damit dieses neue grüne Tortenstück wieder aus dem Strommix verschwindet, weil es eben nur allgemein sagt, wie viel Öko-Strom wir Verbraucher so mitfinanziert haben. Im Strommix solle nur Ökostrom auftauchen, der auch wirklich an die Verbraucher geliefert wird. Ob geplant ist, diese zweite Kategorie wieder zu streichen, konnte mir das Bundeswirtschaftsministerium gestern und heute nicht sagen.

    Schneider: Was sagen denn die großen Stromkonzerne?

    Banse: Ein Sprecher des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, dem Lobbyistenverband der großen Stromkonzerne, sagte mir: Ja, diese neue, zweite Ökostrom-Kategorie bedeute nicht, dass dieser Ökostrom auch vom Stromanbieter an den Verbraucher geliefert wurde. Verbrauchertäuschung sei das jedoch nicht. Dieses neue grüne Tortstück solle dem Verbraucher zeigen, wie viel Ökostrom er mit dem Aufschlag auf seine Stromrechnung mitfinanziert. Das solle die Akzeptanz für erneuerbare Energien steigern. Ökostromanbieter entgegnen: Ja, richtig, auch wir wollen den Verbrauchern zeigen, wie viel Ökostrom sie mit ihrer Abgabe helfen zu produzieren – aber bitte nicht als Tortenstück im Strommix:

    "Man kann das den Verbrauchern auch auf anderem Wege mitteilen, einfach, indem man sie in einem kleinen Absatz noch mal darauf hinweist, dass sie über die Erneuerbare-Energie-Umlage von derzeit knapp 3,5 Cent pro Kilowattstunde ihren Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien leisten."

    Sagt Tim Loppe vom Ökostrom-Anbieter Naturstrom.

    Schneider: Auf was muss der Verbraucher beim Strommix also achten, wenn er wirklich wissen will, ob und wieviel Ökostrom er geliefert bekommt?

    Banse: Er kann es leider nicht mehr genau sehen. Wie hoch der Ökostrom-Anteil an seinem Strommix mindestens ist, sagt das erste grüne Tortenstück mit der Aufschrift "sonstige erneuerbare Energien". Die zweite neue Kategorie mit der Aufschrift "erneuerbare Energien, gefördert durch das erneuerbare Energiengesetz" sagt nicht, ob dieser Ökostrom geliefert wurde. Mann kann aber auch nicht sagen, dass er nicht geliefert wurde. Das ist das Verwirrende.