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Willemsen befürwortet Aufnahme von Ex-Guantanamo-Häftlingen

Der Autor Roger Willemsen fordert die Aufnahme von neun uigurischen Häftlingen aus Guantanamo in Deutschland. Bei den Männern gelte zunächst die Unschuldsvermutung. Amerika würde "niemanden entlassen, der in irgendeiner Weise schuldig wäre". Außerdem sei bislang keiner der bereits entlassenen Guantanamo-Insassen straffällig geworden, betonte Willemsen.

Roger Willemsen im Gespräch mit Jochen Spengler | 14.05.2009
    Jochen Spengler: Bis zum kommenden Jahr will US-Präsident Barack Obama das Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba schließen. Mehr als 1000 Personen wurden dort nach der Invasion in Afghanistan 2002 interniert, angeblich Mitglieder von Taliban und El Kaida, die als ungesetzliche Kämpfer eingestuft wurden, denen die Rechte als Kriegsgefangene verwehrt blieben und von denen fast 800 nach Jahren der Haft als unschuldig entlassen wurden. Derzeit sind in Guantanamo noch etwa 240 Menschen eingesperrt. Die Freilassung eines Viertels wurde bereits genehmigt, darunter auch jene neun Uiguren, um deren Aufnahme Präsident Obama Deutschland gebeten hat. Am Telefon in Hamburg ist der Publizist Roger Willemsen, Autor des Buches "Hier spricht Guantanamo", in dem fünf ehemalige Insassen schildern, was sie in Guantanamo erlebt haben. Guten Morgen, Herr Willemsen.

    Roger Willemsen: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Zunächst: Können Sie uns noch einmal ins Gedächtnis rufen, was in Guantanamo geschehen ist, was die Häftlinge dort erlebt haben?

    Willemsen: Guantanamo ist der symbolische Ort, in dem Amerika seine Terrorismusfahndung manifestiert. Dort werden Menschen interniert, die häufig von Kopfgeldjägern eingefangen wurden, die aus ihren Lebenszusammenhängen gerissen wurden, die mit einer beispiellosen Vorverurteilung konfrontiert jede Form von Folter psychischer, medizinischer und physischer Art erleiden müssen, die denkbar ist.

    Spengler: Und die unschuldig sind?

    Willemsen: Die unschuldig sind, denn Sie haben es ja eben selber gesagt: 800 etwa sind entlassen worden. Und wenn man nach fünf Jahren der Folter jemand als unschuldig entlässt, dann kann man wohl sagen, diese Schuld ist tatsächlich nicht nachweisbar. Wenn man aber weiß, dass 85 Prozent der dort Einsitzenden ja gar nicht von den amerikanischen Behörden gefangen worden sind, sondern wirklich von Kopfgeldjägern, kann man sich auch vorstellen, wie dünn dieses Eis ist, auf dem man behauptet, es sei Schuld vorhanden.

    Spengler: Wissen Sie, was mit den Entlassenen passiert ist?

    Willemsen: Die Entlassenen sind zum Teil in ihre Heimatländer wieder abgeschoben worden. Sie sind in dem Falle der zwei Russen, die ich interviewte, auch dort gleich wieder verhaftet und gefoltert worden, und die hatten im Augenblick mehr Angst vor den russischen Foltergefängnissen als vor dem, was ihnen passieren könnte, wenn sie mittellos und entfernt von ihren Familien, denn sie haben Angst, dass die Familien auch mit Hass überzogen werden, freigelassen werden.

    Spengler: Nun geht es konkret um die Aufnahme von neun uigurischen Häftlingen hier in Deutschland. Darum hat die amerikanische Regierung gebeten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sieht derzeit keine Grundlage für die Aufnahme dieser Häftlinge. Sehen Sie eine Grundlage?

    Willemsen: Ja, natürlich sehe ich eine Grundlage. Zunächst mal ist es eine humanitäre, die darin bestehen muss, dass man sagen muss, hier gilt die Unschuldsvermutung. Herr Schäuble hat ja im Grunde genommen hier eine Schuldvermutung angemeldet, die sich allein darauf bezieht, dass diese Häftlinge mal eingefangen worden und mal dort gefoltert worden sind. Amerika wird niemanden entlassen, der in irgendeiner Weise schuldig wäre, und es ist ja auch kein einziges Beispiel bis jetzt bekannt von jemandem, der straffällig geworden wäre, nachdem er aus Guantanamo entlassen wurde.

    Spengler: Sehen Sie nicht das Problem einer Unschuldsvermutung bei möglichen Terroristen, also bei Terroristen, deren Schuld ja dann erst feststeht, wenn es zu spät ist?

    Willemsen: Das würde ja voraussetzen, dass vier Jahre lang dort ergebnislos gefoltert worden ist. Das würde ja voraussetzen, dass sich dort Schläfer befinden, die auf eine förmlich magische Weise erst mal diese Folterjahre überstehen und dann plötzlich aktiv werden. Da es kein einziges Beispiel unter den 900 gibt, die entlassen worden sind, auf die das zuträfe, und da die Amerikaner auch niemanden freilassen werden, der im Entferntesten gefährlich sein könnte, ist das eine Fiktion und es ist eigentlich eine Fortsetzung der Schuldvermutung, die George Bush etabliert hat, die Schäuble da geltend macht.

    Spengler: Woher wissen Sie das, dass die Amerikaner keinen freilassen würden, der unschuldig ist? Woher wissen Sie, dass Wolfgang Schäuble nicht Recht hat, wenn er sagt, ich weiß nicht, wie gefährlich diese Menschen sind?

    Willemsen: Zunächst mal, muss ich sagen, hat die Bush-Regierung von gesetzeslosen Kämpfern gesprochen und dann zugeben müssen, dass es harmlose Honighändler gewesen sind, die versucht hatten, sich in Afghanistan eine Existenz aufzubauen. Und die Umstände, unter denen die eingefangen sind, sind ja in einer Weise desaströs, dass man sagen kann, auch Sie sind in Ihrem Studio nicht sicher vor den Häschern, die unter solchen juristisch vollkommen haltlosen Maßgaben jeden Menschen ergreifen können. Ich kann ja bisher nur den Parameter anwenden zu sagen, gibt es einen Fall von einer Straffälligkeit, und den gibt es eben nicht.

    Spengler: Nun sagt der Innenstaatssekretär August Hanning, dass diese Uiguren angeblich terroristische Ausbildungslager durchlaufen hätten.

    Willemsen: Ach wissen Sie, in diesem Falle gibt es so viel Propaganda. Es ist auch eine Europaparlamentarierin aus Belgien ehemals nach Guantanamo gereist und hat gesagt, dort würden die Menschen human behandelt. Es sind mittelalterliche Waterboarding-Methoden, die dafür legitim erachtet worden sind. Es hat zu jedem Zeitpunkt hier Politiker gegeben, die diese Lager nicht nur toleriert, sondern irgendwie als legitime Einrichtungen betrachtet haben. Mir scheint das obszön. Mir scheint es obszön zu sagen, wir haben jeden Abend einen Film über Hitlers Poesiealbum, aber bestehende Lager, bestehende Foltermethoden behandeln wir mit einer Indifferenz, die man wirklich als Fortsetzung solcher Institutionen verstehen muss.

    Spengler: Sie haben gesagt, aus humanitären Gründen sollte man aufnehmen. Ist denn Deutschland überhaupt mitverantwortlich für Guantanamo? Viele Politiker sagen ja, gut, die USA haben sich die Suppe eingebrockt, sie sollen sie erst mal selber wieder auslöffeln und die Menschen in die USA entlassen.

    Willemsen: Das ist nicht ganz haltlos, denn die Amerikaner haben natürlich ein Interesse, diesen Konflikt zu internationalisieren, das heißt wie bei allen Dingen, wie auch dem Irak-Krieg oder der Afghanistan-Mission, möglichst viele Nationen einzubinden und gewissermaßen Guantanamo zu einer Sache der Welt zu machen. Gleichzeitig muss man sagen, die humane Sache ist eine der Welt, und wenn Menschen, die derartig gebrochen wurden, die ihrer Existenzgrundlage beraubt sind, die viel Geld aufgewendet haben, um die Länder zu verlassen, in denen sie wohnten, und die schließlich dorthin wieder zurückgeschickt werden und dort mittellos, unterhalb des Existenzminimums sind, dann ist es ein humanitärer, ein humaner Auftrag insgesamt, hier auszuhelfen.

    Spengler: Aber es wäre, Herr Willemsen, doch in Ordnung, wenn man zumindest mal die USA fragt, warum nehmt ihr sie nicht selber auf?

    Willemsen: Das ist in jedem Falle in Ordnung und da alle Prozesse rund um Guantanamo symbolische Prozesse sind, egal ob es um die Schließung geht, oder ob es um die Aufnahme von Häftlingen geht, würde ich sagen, diesem symbolischen Charakter, zu sagen, das ist jetzt eine Sache der Welt, dem kann man sich mit guten Gründen verschließen.

    Spengler: Ich frage das auch deswegen, weil diese Uiguren keinerlei Beziehungen zu Deutschland haben sollen. Sie haben wohl Verwandte in Kasachstan, in Usbekistan und anderswo, aber haben mit Deutschland eigentlich nichts zu tun. Ist es verantwortlich, solche Menschen sozusagen ins Land zu holen?

    Willemsen: Es ist verantwortlich, wenn man die moralische Situation sich ansieht. Dann müsste man Menschen aus jedem Land und mit jedem Hintergrund, gerade wenn ihre Unschuld so eindeutig ist wie die der Uiguren ist, aufnehmen. Aber natürlich liegt die Verantwortung erst mal bei Amerika. Nur stelle man sich vor, wo kommen die an. Es sind da neun Individuen, die unter Schuldvermutung, von Herrn Schäuble weitergetragen, hier existieren sollen. Ich kann mir vorstellen, wie die "Bild-Zeitung" mobil machen würde und welche Fotos von diesen ehemaligen Häftlingen, die ja traumatisiert, die ja gebrochen sind, kursieren würden. Also tun wir nicht so, als würden wir denen hier ein menschenwürdiges Leben garantieren können.

    Spengler: Dann muss ich Sie fragen, warum sind Sie denn trotzdem dafür, dass wir sie hier aufnehmen?

    Willemsen: Weil es einfach undenkbar ist, sie zu lassen wo sie sind, und weil sie in Amerika keine besseren Bedingungen haben können. Man muss einfach sagen, jedes Gefühl irgendeiner Form von Mitgefühl, von Caritas, worauf man sich immer beziehen will, kann nur den einzigen Auftrag artikulieren zu sagen, dann ist die Weltgemeinschaft für die, die unschuldig verhaftet, gefoltert worden sind, verantwortlich. Das ist kein Gebot nationaler Politik, das ist ein Gebot der Mitmenschlichkeit.

    Spengler: Herr Willemsen, es gibt Anzeichen dafür, dass Präsident Barack Obama die Insassen des Gefangenenlagers Guantanamo doch mit etwas mehr Rechten als bislang vor die umstrittenen Militärtribunale stellen will, also anders, als er es angekündigt hat. Die Verfahren vor diesen Tribunalen sind im Januar von ihm ausgesetzt worden, bis zum 20. Mai. Was heißt das, wenn das nun doch wieder passiert?

    Willemsen: Es könnte sein, dass man sich dem Gedanken nähert, dass die Etablierung eines gesetzlosen Kämpfers unrechtmäßig ist. Das würde bedeuten, dass alle Regresspflicht hätten, das heißt, dass es irgendwie möglich wäre, Entschädigung für die dort erlittenen Leiden zu bezahlen. Das wäre eine Prozesslawine, die ist ja in vielen Ländern schon vorbereitet: in Jordanien, in Russland, überall gibt es Anwälte, die sich darum bemühen, dass es regelrechte Tribunale, regelrechte Prozesse gibt und damit auch finanzielle Entschädigung denkbar ist. Ich glaube, dass Amerika sich sehr davor schützen wird, diese Prozesse zu führen, denn sie würden die Vorgängerregierung mit Fakten konfrontieren, die uns alle erbleichen ließen.

    Spengler: Und deswegen eine Rückkehr zu den Tribunalen?

    Willemsen: Deswegen eine Rückkehr zu Tribunalen, die unter Umständen eine geschlossene Veranstaltung sein werden und wo man sich fragen kann, was wird dabei rauskommen. Aber zumindest ist eine juristische Aufarbeitung dessen, was dort passiert ist, glaube ich, unerlässlich.

    Spengler: Danke schön! - Der Publizist und Fernsehmoderator Roger Willemsen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Willemsen.