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Willkommen im Wasserwahn

Immer wieder mahnen Mediziner dazu, täglich genügend Wasser zu trinken - mindestens zwei bis drei Liter, heißt es oft. Alles Quatsch, sagt jetzt eine Veröffentlichung im "British Medical Journal".

Von Anna-Lena Dohrmann | 26.07.2011
    "Heute habe ich noch keine zwei Liter Wasser getrunken, das ist echt schlecht! Gut, dass sie mich dran erinnern ... "

    Der Passant in der Leipziger Innenstadt holt sofort seine Wasserflasche raus und gönnt sich erst einmal einen großen Schluck!

    "Ich habe meistens so eine Flasche bei mir. Ja, das braucht der Körper, die Organe müssen gut durchspült werden!"

    Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Ganz im Gegenteil. Zahlreiche Organisationen, Lifestyle-Magazine und auch Ärzte raten immer wieder: Viel trinken! Doch jetzt hat das "British Medical Journal" einen Artikel veröffentlicht, der sagt: Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage dafür! Klar, der Körper braucht Wasser – vor allem an heißen Tagen oder beim Sport. Doch eigentlich meldet er sich von ganz alleine. Und zwar mit dem einfachen Signal: Durst! Darauf können sich gesunde Menschen auch verlassen, so Privatdozent Dr. Joachim Beige. Er ist Nierenspezialist an dem St. Georg Klinikum in Leipzig:

    "Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Nachweis dafür, keine Begründung, eine explizit hohe Trinkmenge zu fordern, die vielleicht das allgemeine Gesundheitsempfinden bessern würde oder bestimmte Krankheiten verhindern würde. Dafür gibt es schlichtweg keine medizinische Begründung. Das halte ich eigentlich für Unfug."

    Trotzdem hält sich dieser Mythos erstaunlich beharrlich. Viele Leipziger achten zumindest sehr bewusst darauf, wie viel sie trinken:

    "Leider zu wenig. Ein Liter Wasser trink ich schon, ja, ich muss mich bemühen."

    "Ich muss mich schon ein bisschen dazu zwingen und ich schaff auch nicht die drei Liter. Aber zwei Liter sind so das, wo ich mich halt ja, zu zwinge."

    "Aufgrund des Anratens des Arztes trinke ich mindestens eineinhalb bis drei Liter pro Tag."

    "Die Volksweisheit ist ja drei Liter täglich. Und ich denke mal, das sollte man auch schon so ungefähr als Richtlinie sehen."

    Von solchen Volksweisheiten hält Joachim Beige gar nichts. Er ist der Meinung, dass jeder seine ganz persönliche Trinkmenge finden muss. Und die kann auch jeden Tag anders sein. Wer kerngesund ist und gerne fünf Liter am Tag trinken will – der soll das ruhig tun. Und alle, die sich zum Trinken zwingen müssen, sollten erst einmal nachrechnen, ob sie wirklich zu wenig Flüssigkeit zu sich nehmen:

    "Wenn man also, Paradebeispiel, viel Obst isst - Äpfel, Orangen und so weiter - da kann man sich den Flüssigkeitsgehalt mehr oder weniger natürlich schon ableiten. Der liegt in der Größenordnung von 60 bis 80 Prozent. Und ein Apfel hat 200, 300 Milliliter Flüssigkeit und ersetzt insofern auch etwas an Flüssigkeit und es ist also durchaus legitim, das in der Flüssigkeitsmenge, die man trinken sollte, 1,5 bis 2 Liter am Tag, mitzurechnen."

    Wer also auf seine Ernährung achtet und Obst und Gemüse isst, braucht sogar nur noch einen bis eineinhalb Liter Wasser pro Tag – eine Menge, die vielen Menschen zu wenig erscheint.

    Das Gefühl, viel trinken zu müssen, kann also kein rein körperliches sein. Es ist der Kopf, der einem sagt: Trink mehr, das ist gesund! Wasser ist zur Lifestyle-Frage geworden, die Wasserflasche quasi zum modischen Accessoire. Sie gilt als chic und sportlich.

    "Das ist eine Modeerscheinung. Also es ist der Industrie sicherlich auch über weite Strecken gelungen, diese ständig mitgeführte Wasserflasche in so einen Hip-Status zu versetzen, dass jetzt viele glauben, das gehört irgendwie dazu."

    Genau das kritisiert auch der im British Medical Journal veröffentlichte Artikel. So unterstütze die Firma Danone - zu der unter anderem die Wasser Evian und Volvic gehören - Initiativen wie "Hydration for Health". Frei übersetzt heißt das: Mehr Wasser für die Gesundheit! Beziehungsweise, wenn es nach Danone ginge: Mehr Volvic für die Gesundheit!

    Im Endeffekt ist es wie bei so vielen Dingen: Das Maß ist entscheidend. Und der Gesunde sollte am besten auf seinen Körper hören, um sein ganz persönliches Maß herauszufinden.