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Willkommen in der Plastisphäre

Dass Plastikmüll im Ozean Fischen und Vögeln zum Verhängnis werden kann, ist bekannt. US-Forscher haben nun aber entdeckt, dass auf den Kunststoffstückchen so vielfältige Bakterienarten siedeln, wie sie nur selten im Meer zu finden sind. Die Mikroben könnten langfristig sogar die Ökosysteme auf hoher See verändern.

Von Lucian Haas | 06.08.2013
    Wenn Forscher etwas Neues entdecken, ist es üblich, dem auch einen passenden Namen zu geben. Der Meeresbiologe Erik Zettler erzählt, wie er zusammen mit Kollegen auf den Begriff der Plastisphäre kam:

    "Denken Sie an die Biosphäre, das ist die dünne Hülle des Lebens auf der Oberfläche eines Planeten. Wir gingen nun aber über zu einer eher mikrobiellen Größenskala. Wie sollten wir diesen dünnen Biofilm auf kleinen, schwimmenden Plastikteilchen nennen? Aus der Analogie heraus kamen wir auf die Bezeichnung Plastisphäre. Es ist der dünne Lebensfilm auf dem Plastikmüll im Meer."

    Doch zurück zur Vorgeschichte: Seit knapp 30 Jahren betreut Erik Zettler ein studentisches Expeditionsprogramm der Boston University in Woods Hole an der Ostküste der USA. Mit Netzen sammelt er regelmäßig kleinste Organismen aus dem Wasser, das sogenannte Plankton, um es mit den Studenten zu analysieren. Im Laufe der Jahre landeten immer mehr Bruchstücke von Plastikmüll, der im Meer treibt, in seinen Fängen. Anfangs sah er ihn nur als störenden Abfall an, aber dann entdeckte er darin ein neues Forschungsfeld.

    "Alles, was im Meerwasser ist, bekommt einen Überzug, so einen schleimigen Biofilm – ganz egal, ob es eine Hafenmole oder ein Schiffsrumpf ist. Deshalb dachten wir, dass auf diesen Plastikstückchen auch irgendetwas sein müsste. Und wir fragten uns: Werden das normale mikrobielle Gemeinschaften sein, die darauf wachsen, oder gibt es auf dem Plastik etwas ganz eigenes?"

    Erik Zettler nahm die Plastikschnipsel aus dem Meer mit ins Labor und untersuchte sie mit einem Elektronenmikroskop. Er sah Bakterien und andere Mikroorganismen, die wie miniaturisierte Seepocken dicht gedrängt die Oberfläche der Kunststoffe überzogen. Zusammen mit Kollegen analysierte er zudem Teile der DNA aus dem Erbgut dieser Mikrobengemeinschaften. Das lieferte erste Einblicke, wie viele unterschiedliche Bakterienarten auf dem Plastik siedeln.

    "Man stelle sich das nur mal vor: Diese Plastikstückchen sind vielleicht halb so groß wie mein kleiner Fingernagel. Und da sind nicht 1000 Organismen darauf, sondern 1000 unterschiedliche Arten von Organismen – also eine relativ große Vielfalt."

    Vor allem ist es eine Vielfalt, die in den sonst eher artenarmen Meeresregionen fern der Küsten so nicht zu finden ist. Erik Zettler macht sich deshalb Gedanken, welchen Einfluss die Plastisphäre auf die marinen Ökosysteme haben könnte.

    "Es gibt riesige Wasserwirbel im Ozean. Darin finden sich Hunderttausende und mehr kleiner Plastikstückchen pro Quadratkilometer. Sie sind zwar sehr klein und fein verteilt, aber es ist doch eine große Menge Plastik. Wenn jedes Stück davon eine Bakteriengemeinschaft trägt, die nicht unbedingt heimisch ist für die Region, dann könnte das langfristig die Ökosysteme auf hoher See beeinträchtigen."

    Auch Bakterien brauchen Nährstoffe. Im offenen Meer könnte die Plastisphäre mit dem ursprünglichen Plankton um die knappen Ressourcen konkurrieren. Das könnte die marine Nahrungskette beeinflussen. Erik Zettler fand zudem auf dem Plastik häufig Bakterien einer Gattung namens Vibrio. Einige Arten dieser Mikroben gelten als Krankheitserreger. Beispielsweise wird Cholera von einer Vibrio-Art ausgelöst. Es ist denkbar, dass der Plastikmüll dazu beiträgt, Krankheiten im Meer zu verbreiten.

    "Wir wissen, dass Fische diese Plastikstückchen fressen. Es wäre also möglich, dass daran haftende Krankheitserreger und Giftstoffe am Ende auch in unsere Nahrung gelangen können. Ich möchte hier nicht Alarm schlagen und sagen, dass ein Gesundheitsrisiko besteht. Aber wir sollten auf jeden Fall mehr dazu forschen, gerade weil wir bisher so wenig darüber wissen."

    Eindeutige Belege für negative Folgen der Plastisphäre auf das Leben im Meer hat Erik Zettler noch nicht gefunden. Aber er will sich nun detailliert solchen Fragen widmen. Unter anderem will er als nächstes einzelne Vibrio-Bakterien vom Plastik auf Nährböden im Labor übertragen und vermehren. So kann er testen, ob es sich wirklich um Krankheitserreger handelt.