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Windenergie
"Wir brauchen ein von allen akzeptiertes Energiekonzept"

Deutschland kann seine Klimaschutzziele mit dem aktuellen Ausbau an Windparks nicht erreichen, sagte der Berliner Energiesystem-Wissenschaftler Volker Quaschning im Dlf. Er kritisierte, dass die Bundesregierung den Bau neuer Windkraftanlagen in der Vergangenheit bewusst erschwert habe.

Volker Quaschning im Gespräch mit Ralf Krauter | 05.09.2019
Windkraftanlagen drehen sich in einem Windpark bei Neubrandenburg.
Windkraftanlagen: Die Installation neuer Windräder wurde 2017 durch neue Regulierungen deutlich erschwert. (Getty Images/ Sean Gallup)
Ralf Krauter: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier hat heute in Berlin zum Windenergiegipfel geladen. Gemeinsam mit Vertretern aus Industrie und Verbänden will er da ausloten, wie die Rahmenbedingungen verändert werden müssten, damit es in Deutschland wieder zügiger vorangeht, mit dem Ausbau der Windkraft. Was genau da im Ministerium diskutiert und worauf man sich am Ende einigen wird, wissen wir noch nicht. Aber ich habe vor der Sendung Volker Quaschning gefragt, was aus seiner Sicht geboten wäre. Er ist Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Und meine erste Frage an ihn war: Wieviel Megawatt-Windenergieleistung müssten wir in Deutschland jährlich zubauen, um bei der Energiewende auf Kurs zu bleiben?
Volker Quaschning: Um die Klimakrise zu stoppen und wirklich diese katastrophalen Veränderungen für die nächsten Generationen abzuhalten, müssten wir in Deutschland so 2035, spätestens 2040 komplett klimaneutral werden. Und um unsere Energieversorgung umbauen zu können, brauchen wir etwa zwei Prozent der Landesfläche, die wir mit Windparks ausstatten, die also abgesteckt werden, 98 Prozent bleiben unberührt. Um diese dann in dieser Zeit auch wirklich vollbauen zu können, müssten wir ungefähr 7.000 Megawatt an neuen Anlagen pro Jahr dazu bauen. Also 7.000 Megawatt, im Vergleich dazu, ein großes Kohle- oder Atomkraftwerk hat ungefähr 1.000 Megawatt. Das wäre dann schon die Dimension, die wir hier in Deutschland bräuchten.
Der Ausbau der Windenergie ist ins Stocken geraten
Krauter: Nun habe ich aber gelesen, dass zum Beispiel im ersten Halbjahr 2019 unter 300 Megawatt nur zugebaut wurden. Das wäre ja dann eigentlich nur ein Bruchteil von dem, was nötig wäre.
Quaschning: Also mit dem aktuellen Zubau haben wir in Deutschland überhaupt gar keine Chance mehr, aus eigener Kraft klimaneutral zu werden. Wir werden sämtliche Klimaziele verfehlen. Dieses Jahr sieht es noch ganz gut aus, weil wir die letzten zwei Jahre noch einen einigermaßen ordentlichen Zubau haben. Deswegen wird man das nicht in diesem Jahr sofort merken, aber, wie gesagt, wenn er so niedrig bleibt, dann werden die CO2-Emissionen in den Folgejahren nur noch marginal zurückgehen. Und wir haben, wie gesagt, keine Chance, klimaneutral zu werden. Wir brauchen hier, wie gesagt, nicht eine leichte Korrektur, wir reden mittlerweile dann um den Faktor 10, den wir beim Ausbau danebenliegen.
Krauter: Können Sie da noch mal Zahlen nennen für die letzten Jahre? Also wenn das Soll wäre, 7.000 Megawatt pro Jahr, was wir eigentlich bräuchten, wie viel haben wir denn in den letzten Jahren geschafft?
Quaschning: Im Jahr 2017 sah es noch relativ gut aus. Also bis zum Jahr 2017 ging der Zubau ja deutlich nach oben. Wir waren im Jahr 2017 schon fast bei 5.000 Megawatt, also das war schon im fast grünen Bereich. Hätte man das fortgesetzt und leicht gesteigert, hätte man gesagt, wir wären auf Kurs für Klimaschutz und die Energiewende. Nun, wie gesagt, die Zahlen haben Sie ja genannt, ist das von fast 5.000 Megawatt für das Jahr 2017 auf unter 500 in diesem Jahr bislang eingebrochen. Und das zeigt einfach diese katastrophale Dimension der Windkrise.
Krauter: Wie erklären Sie als Experte für Energienetze und für erneuerbare Energien sich diese Diskrepanz zwischen dem erklärten Soll und dem Haben auf dem Konto?
Reduzierung des Windenergieausbaus "war offen kommuniziert"
Quaschning: Trotz aller Klimaschutzversprechungen hat die Bundesregierung sich ja vor zwei Jahren das Ziel gesetzt, den Windenergieausbau deutlich zu reduzieren. Das war offen kommuniziert. Also das ist jetzt nichts Überraschendes. Wir hatten den Zubau von 5.000 Megawatt, der war in dem politischen Programm gar nicht so gewollt. Um es entsprechend nach unten zu drücken, hat die Bundesregierung erst einmal Ausschreibungen eingeführt, also entgegen jeglicher Klimaschutzversprechungen hat man dann Mengen ausgeschrieben, die mit unter 3.000 Megawatt deutlich niedriger waren, wie der Zubau und auch für den Klimaschutz entsprechend deutlich zu niedrig. Das war ein ganz klares Signal an die Investoren: Wir wollen nur noch halb so viel Windenergie. Da hat man also auch schon mal die Ersten verschreckt in diesem Bereich.
Dann hat man die Regeln so gemacht, dass über Ausschreibungen nur noch große Akteure am Markt teilnehmen können. Das ist ein sehr großes Gezocke, was da derzeit stattfindet. Und kleine Akteure, Bürgergenossenschaften, wo sich Privatleute zusammentun, um einen Park zu finanzieren, die sind da jetzt komplett raus aus diesem Rennen. Das hat dann wieder eine Rückkopplung auf die Gesellschaft. Also früher hatte man doch sehr gut akzeptierte Windparks, weil sich dann die Leute vor Ort in Bürgerbeteiligungsgesellschaften dann einfach beteiligt haben und auch von den Windparks profitiert haben. Das findet jetzt in dem Maße nicht mehr statt.
Akzeptanz für Windparks hat abgenommen
Dadurch steigen auch die Widerstände vor Ort, das zerstört die Akzeptanz. Alle Windparks werden beklagt und man kann auch jetzt keine Genehmigungsverfahren mehr im schnellen Bereich durchkommen. Viele Windparks werden durch Klagen auch noch verhindert, sodass wir einfach so eine komplizierte Gemengelage haben - mit der Absicht gestartet, so in den Jahren 2015, '16, den Windenergiebau zu drosseln und dann alle Bremsen entsprechend eingezogen.
Dann hat man sogar noch die Länder, die quergeschossen haben. In Bayern, die Abstände für Flächen so hochgesetzt, dass man in Bayern zum Beispiel in diesem Jahr gar kein Windrad mehr gebaut hat. Wenn man natürlich dann noch die nötigen Flächen für den Klimaschutz wie in Bayern oder Nordrhein-Westfalen ausschließt, dann kann man nicht erwarten, dass am Ende irgendwie groß was bei rauskommt.
Krauter: Sie sagen, die Regierung hat da bewusst auf die Bremse getreten mit zusätzlichen Maßnahmen – Änderungen der Ausschreibungsbedingungen, Deckelung der jährlichen Neubaukapazitäten und anderen Dingen. Wenn das so ist, wäre es ja eigentlich für die Regierung auch ganz einfach, jetzt Maßnahmen zu beschließen, die das wieder ändern, wenn man das Problem erkannt hat und was tun will - worauf der Windenergiegipfel heute im Wirtschaftsministerium hindeutet. Welche Maßnahmen könnten zügig Abhilfe schaffen?
Schneller Windenergieausbau würde zu deutlichen Rückgang der Kohleverstromung führen
Quaschning: Dieses bewusste Bremsen hatte ja auch Ursachen. Also ein schneller Windenergieausbau würde ja ad hoc dazu führen, dass wir auch einen deutlichen Rückgang der Kohleverstromung haben - mit einem von selbst kommenden Kohleausstieg, ohne dass wir jetzt irgendwelche Ausstiegspfade haben. Und bei den hohen Zubauraten haben wir eigentlich auch einen Kohleausstieg innerhalb der nächsten zehn Jahre durchaus zu erwarten gehabt. Das wollte man verhindern. Deswegen erwarte ich gar nicht, dass heute Sachen rauskommen, die wieder die nötige Dimension für den Klimaschutz erreichen, weil man auch dieses Dilemma 'schneller Kohleausstieg' nicht gelöst hat. Es gibt zwar einen Ausstiegsbeschluss der Kohlekommission, der aber nicht auf die notwendigen Dimensionen des Windenergiezubaus für den Klimaschutz entsprechend abgestimmt ist.
"Die Karre ist soweit im Dreck, dass das Reparieren Jahre dauert."
Und deswegen wird man nur kosmetische Veränderungen machen. Man wird versuchen, vielleicht vor Ort ein bisschen den Windenergieausbau zu beschleunigen, indem man die Akzeptanz erhöht, indem man vielleicht Geld vor Ort lässt oder auf dem Papier ein bisschen Bürgerbeteiligung oder vielleicht marginal die Ausschreibemengen erhöht. Aber man wird die großen Probleme nur ansatzweise damit lösen können.
Vor allen Dingen ist die Karre mittlerweile so weit im Dreck, dass also das Reparieren auch einige Jahre dauert. Das heißt, ich kann mir auch, wie gesagt, dann nicht vorstellen, dass die Bundesregierung jetzt die Größe zeigt, zu sagen, okay, die ganzen Maßnahmen, die wir jetzt gemacht haben, gingen alle komplett in die falsche Richtung. Und wir wickeln das jetzt alles wieder ab und gehen auf den alten Status. Insofern bin ich sehr skeptisch, dass da was rauskommt, was dem Problem, was wir haben, eigentlich angemessen ist.
"Bürger vor Ort müssen wieder einbezogen werden."
Krauter: Aber seien Sie mal optimistisch: Was sollte Herr Altmaier denn tun? Was wären die richtigen Maßnahmen?
Quaschning: Also um die Akzeptanz zu erhöhen, müssen wir ganz klar die Bürger vor Ort wieder reinbekommen. Das heißt also: Wir müssen schauen, dass aus diesen Ausschreibungen, wo einfach gezockt wird, die ganzen Bürgerwindparks rausgenommen werden. Dass man also wieder nach dem alten Recht Bürgerwindparks zulässt, sogar noch befördert mit entsprechend höheren Zuschüssen. Und auch dann schaut, dass Gelder von den Windparks bei den Gemeinden ankommen - dass wir erst mal diese Akzeptanz hinbekommen.
Dann müssen wir die Ausschreibeverfahren deutlich vereinfachen. Es kann nicht sein, dass es vier oder mehr Jahre dauert, bis ein Windpark von der Planung dann bis ans Netz geht. Selbst bundeseigene Unternehmen, selbst die Bundeswehr oder die Flugsicherung verhindern ja mittlerweile über Klagen Windparks. Auch hier könnte man durch moderne Technik einfach die Hürden, die da sind, ausräumen. Das heißt, es ist relativ vielschichtig. Aber das Wichtigste, glaube ich, damit wir diese Mengen für den Klimaschutz realisieren können, sind Maßnahmen, die auch die Akzeptanz und die Bürgerbeteiligung ziehen.
"Wir brauchen ein von allen akzeptiertes Energiekonzept."
Krauter: Aber können das allein finanzielle Maßnahmen sein? Weil das Problem scheint ja tatsächlich zu sein: Jeder will eigentlich regenerativen Strom, aber keiner will ein Windrad in Sichtweite haben. Brauchen wir eine Imagekampagne für die Windenergie?
Quaschning: Wir brauchen nicht eine Image-Kampagne, wir brauchen generell ein von allen akzeptiertes Energiekonzept. Was momentan ja permanent passiert, ist ein komplettes Stückwerk, das heißt, es werden Einzelmaßnahmen beschlossen, wo jeder weiß, es wird im Prinzip nicht funktionieren. Das heißt, wir machen ja schon seit Jahren Ausbau von Solar- und Windenergie. Und wir verfehlen ja trotzdem die Klimaschutzziele. Dann ist natürlich vor Ort zu Recht die Argumentation da, was soll dieser ganze Windenergieausbau, wenn wir damit die Klimaschutzziele nicht erreichen.
Das heißt, man muss die Mengen kommunizieren, die man braucht. Und sagt, also wenn wir die von mir genannten Mengen bauen, dann werden wir auch die Klimaschutzziele einhalten, und dann muss man auch kommunizieren, dass alle vor Ort einen Beitrag leisten müssen. Auch das kann ich jetzt verstehen, dass jemand in Hessen sagt, warum soll hier ein Windpark gebaut werden, wenn Bayern sich komplett weigert, Windparks zu bauen. Auch hier muss eine gerechte Verteilung der Lasten stattfinden, nur dann haben wir eine Chance, das dann zu realisieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.