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Windkraft sucht Nachwuchs

In der Windenergie arbeiten bundesweit etwa 100.000 Menschen. Vor allem im Offshore-Bereich, also bei Windanlagen im Meer, entstehen neue Berufsfelder. Spezialisten sind jedoch schwer zu finden. Universitäten entwickeln erst nach und nach neue Studiengänge sowie Weiterbildungsangebote.

Von Christina Selzer | 28.09.2010
    Die Berufsaussichten in der Windenergie sind gut. Davon profitiert später wahrscheinlich auch Stanislav Rockel. Der 28-Jährige hat an der Universität Oldenburg Physik studiert und schreibt gerade seine Abschlussarbeit. Das Thema: Er versucht, die dynamischen Eigenschaften einer im Meer schwimmenden Windkraftanlage zu charakterisieren.

    "Mein erster Versuch, ich habe eine große Regentonne gekauft, wir haben keinen Wasserkanal oder einen See, ist ungünstig zum Messen. Deshalb habe ich eine Tonne gekauft, ein Riesenteil, damit man gucken kann, was passiert, wie wackelt das, wenn ich einen Boje nehme und ein Windrad ranpacke. Wie wackelt das? Das ist ganz spannend."

    Als Norddeutscher hat sich Stanislav Rockel, wie er sagt, schon immer für das Thema Wind interessiert. Als Physiker bringt er Fachwissen mit - und Begeisterung:

    "Ich hab zuerst auch gedacht: Ist das was Richtiges für reine Physiker, aber dann habe ich gesehen, welche Messtechnik dahinter steht. Das einzubauen, und zu gucken, systematisch zu untersuchen, was passiert unter welchen Bedingungen, welchen Einfluss haben turbulente Strömungen in Windkanälen. Wie sich das auf die Dynamik des Systems auswirkt, ist schon sehr spannend."

    Auf hoher See bläst der Wind sehr stark. Anlagen können dort doppelt so viel Strom erzeugen. Doch die Bedingungen etwa in der Nordsee sind rau: Windböen von 160 Kilometern pro Stunde, fünfzehn Meter hohe Wellen und salzhaltige Luft. Außerdem müssen Fundamente entwickelt werden, die im Meeresboden verankert bleiben und den Naturgewalten viele Jahre lang trotzen. Das sind alles hohe Anforderungen: an die Technik und an diejenigen, die sie entwickeln. Unternehmen suchen händeringend nach Nachwuchs, zum Beispiel am vergangenen Samstag auf der Jobbörse der weltgrößten Windenergiemesse in Husum. Michael Munder-Oschimek vom Windkraftbauer Areva Wind hofft, hier Kontakte zu machen:

    "Momentan fehlt es an gut ausgebildeten Ingenieuren im Bereich Maschinenbau. Hier gibt es einen Schwerpunkt, der in Süddeutschland liegt. Wir sind auf gutem Wege, Verträge zu schließen, mit Mitarbeitern in Süddeutschland oder auch mit der Möglichkeit, die Mitarbeiter nach Bremerhaven zu holen."

    Nicht nur Unternehmen, auch die Wissenschaft braucht den Nachwuchs. An vielen Universitäten und Hochschulen gibt es bislang die Möglichkeit, sich auf Windkraft zu spezialisieren. Professor Martin Kühn hat vor sechs Jahren in Stuttgart den ersten deutschen Lehrstuhl für Windenergie aufgebaut. Jetzt soll in Oldenburg mit seiner Hilfe vor allem die Offshore-Energie stärker werden. Einheitliche Ausbildungsgänge sind selten, betont Professor Kühn. Die Windenergie ist noch kein Fachgebiet.

    "Ein Grund ist, dass verschiedene Disziplinen zusammen kommen: über Aerodynamik, Luft und Raumfahrt, Elektrotechnik, bis zur Bautechnik für Offshore-Bauwerke."

    Ein elfmonatiges berufsbegleitendes Studium für onshore-, also Windanlagen an Land, bietet die Universität Oldenburg schon seit vier Jahren an. 24 Fach- und Führungskräfte, darunter auch Quereinsteiger aus anderen Industriezweigen lernen im Team, was sie bei der Planung von Windparks beachten müssen. Die Bewerberzahl sei allerdings doppelt so hoch, so Moses Kärn, Studienleiter vom Oldenburger Zentrum für Windenergieforschung Forwind. Und der Bedarf an Fachkräften werde weiter steigen.

    "Wo sollen die herkommen? Ausgebildet werden die nicht. Da machen die Unis Tropfen auf den heißen Stein."

    Moses Kärn entwickelt für Forwind ein Konzept für einen Offshore-Studiengang, der noch im Oktober vorgestellt werden soll. Berufsbegleitend und international ausgerichtet soll er sein. Die Unterrichtssprache ist Englisch und die Zusammenarbeit mit Hochschulen in den Niederlanden und Dänemark soll verstärkt werden. Denn die Windenergieingenieure und -manager der Zukunft werden nicht nur in Deutschland arbeiten. Laut einer Studie der Europäischen Windenergieagentur EWEA verdoppelt sich in den kommenden 10 Jahren in ganz Europa die Zahl der Beschäftigten. Es werden dann mehr als 300.000 sein - gute Aussichten für Studierende.