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Winkels: Vermisse Krachts "Imperium"

Aus 162 Titeln wurde für den Deutschen Buchpreis 2012 eine Longlist mit 20 favorisierten Titeln veröffentlicht. Hubert Winkels, Literaturkritiker aus der Redaktion des Büchermarkts im Deutschlandfunk, war vor drei Jahren selbst Vorsitzender der Jury und gibt eine Einschätzung zur aktuellen Liste.

Michael Köhler im Gespräch mit Hubert Winkels | 15.08.2012
    Michael Köhler: Über die jüngsten Aufgeregtheiten des Literaturbetriebs sprechen wir gleich zuerst. Heute ist die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2012 erschienen und ein scheinbar harmloser Schwedenkrimi entpuppt sich zum deutschen Feuilletonkrimi. Rufmord, eine Abrechnung unter Publizisten beschäftigt uns. Auch eine Beziehung, die offenbar nur nach hinten verstanden werden kann und eventuell nach hinten losgeht.
    Rainald Goetz und Bodo Kirchhof, sie stehen drauf, Stan Nadolny und Ursula Krechel, auch Wolfgang Herrndorf und Patrick Roth. Aus 162 Titeln wurde für den Deutschen Buchpreis 2012 eine Longlist mit 20 Titeln veröffentlicht – heute. Hubert Winkels, Literaturkritiker aus der Redaktion des Büchermarkts im Deutschlandfunk, habe ich gefragt: Sie waren vor drei Jahren selber mal Vorsitzender dieser Jury, was schätzen Sie auf dieser Liste, was vermissen Sie?

    Hubert Winkels: Na ja, die Liste hat so einige direkt auffallende Eigenheiten. Es sind fünf Suhrkamp-Titel dabei, das ist enorm, einige, die schon eine Vorausschau auf den Herbst gemacht haben, sagen auch, es ist ein Suhrkamp-Literaturherbst. "Anakin", der Hauptband bei Suhrkamp, ist noch nicht mal mit dabei, also ist sehr stark. Die anderen Großverlage kommen kaum oder gar nicht vor, auffallend Bertelsmann, S. Fischer, KiWi gar nicht, Rowohlt mit einem alten Buch – auch ein bisschen seltsam –, dann viele kleine Verlage, Picus zum Beispiel oder Diaphanes oder Wallstein – ist nicht wirklich klein, aber für Literatur nicht gerühmt, hat immerhin zwei Bände drauf. Ursula Krechel, eine Autorin hauptsächliche für Lyrikerin, Hörspielautorin, kommt zu späten Ehren. Sie ist auch keine junge Autorin mehr und sie knüpft an mit "Landgericht" an ihr "Shangai fern von wo", ist die Rückkehr eines exilierten Richters nach Deutschland nach 1945, der auf völliges Unverständnis für seine Verfolgung und Exilsituation stößt. Insofern sind auch inklusive Ernst Augustin, mittlerweile über 80-jähriger Autor, fast schon kleine, wenn man es denn so übertrieben deuten will, Rehabilitationen großer Autoren, in Anführungsstrichen, dabei als auch wirklich Neuentdeckungen, auf die nun gar keiner gekommen wäre, der nicht mit der Nase darauf gestoßen würde, wie Angelika Meier "Heimlich, heimlich mich vergiss".

    Köhler: Sie haben es schon ein bisschen angedeutet, einige der namhaften Großverlage, von denen man eigentlich immer einen sicheren Autor dabei hätte, ist nicht dabei – was vermissen Sie?

    Winkels: Was ich vermisse: Christian Kracht "Imperium". Sie erinnern sich vielleicht, alle literatur-, alle feuilleton-, im weitesten Sinne kulturinteressierten Menschen müssen sich erinnern, dass es in diesem Frühjahr richtig gekracht hat im Karton, nämlich die Diskussion um seinen Roman, Krachts Roman "Imperium". Und dabei gab es zwei ganz klare Linien: Der erste Vorwurf, es sei ein im Kern faschistisches Buch, wurde erhoben, stand wie ein Donnerschlag im Raum, und dann hat sich die kritische Maschine angefangen zu bewegen, um nach und nach festzustellen, das ist nicht nur nicht der Fall, sondern, durch die Bank, es ist sogar ein gutes Buch. Wenn das so ist, dann ist es mir unverständlich, warum Christian Kracht nicht dabei ist. Einen anderen Autor, den ich persönlich vermisse, ist Norbert Scheuer, "Peehs Liebe", neues Buch bei C.H. Beck. Bei der Gelegenheit würde ich gerne mal in Klammern anmerken, dass es mir nicht besonders gut gefällt, dass Christiane Schmidt, eine Lektorin, die hauptsächlich für Beck arbeitet, mit in der Jury ist. Ich halte die Anwesenheit von Lektoren, die bestimmten Verlagen zugeordnet sind oder fest angestellt sind oder ihr Büro da haben, in einer unabhängigen Fachjury für nicht glücklich – das ist in diesem Fall so gegeben, aber C.H. Beck, Norbert Scheuer, "Peehs Liebe" ist auch nicht dabei. Ich könnte mehrere nennen, aber das ist natürlich immer ein willkürliches Spiel, welcher Kritiker zu dem jetzigen Zeitpunkt kennt all die Bücher aus dem Herbst zum Beispiel, die jetzt nicht hier auf dieser Liste sind. Man muss sogar fragen, wie viele Bücher kennt man jeweils von der Liste. Das ist alles ein bisschen spekulativ.

    Köhler: Wir sind bei dem Thema der Aufgeregtheiten und müssen über eine andere Aufgeregtheit in diesen Tagen sprechen, die etwas von einer Vergeltungsaktion zu haben scheint. In acht Tagen erscheint ein weiterer Schwedenkrimi, könnte man meinen, auf den ersten Blick. Das Werk heißt "Der Sturm", der Autor heißt Per Johansson und im S. Fischer Verlag erscheint das Ganze, aber es ist offenbar ein Feuilletonkrimi in allerbesten Kreisen, ohne Leichen, dafür aber vielleicht mit Rufmord, in zwei Sätzen erklärt: Der Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung" soll angeblich unter Pseudonym diesen Roman geschrieben haben, in dem Autor, ein Herausgeber einer Zeitung, zum Mordopfer gemacht wird. Alles deutet darauf hin, dass es sich um den Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dem Feuilletonchef Frank Schirrmacher handelt, behauptet jedenfalls "Die Welt". Also, Opfer ist ein hochdekorierter deutscher Journalist, Publizist, Herausgeber – entweder ist das eine neue Stufe der Aufmerksamkeitseskalation, Diffamierung oder Denkmalsturz. Gehört so was jetzt auch zum Betrieb?

    Winkels: Da haben Sie, glaube ich, die richtige Frage gestellt. Also in der "Welt" versucht mein Kollege Richard Kämmerlings die Sache von der Psychologie, sozialpsychologischen Seite in den deutschen Feuilletons, namentlich "FAZ", "SZ" und Steinfeld und Schirrmacher, mit ihrer gemeinsamen Geschichte her zu beantworten, eine Insider-Psychologisierung, die, glaube ich, nicht sehr weit trägt oder auch müßig ist. Viel, viel sinnvoller ist es zu fragen, wie platziert man so etwas, warum macht man so etwas? Warum macht der S. Fischer Verlag, dessen Verlagsleiterchef sozusagen, Jörg Bong, gerade unter Pseudonym selbst einen Bestseller in allen Bestsellerlisten hat, nämlich "Jean-Luc Bannalec", so ist das Pseudonym mit bretonische Verhältnisse ist Jörg Bong, derselbe Jörg Bong, der jetzt das Pseudonym mutmaßlich von Thomas Steinfeld, Per Johansson, publiziert. Diese Technik der dünnen Camouflage, wo der Betrieb schon lange immer was munkeln gehört hat, ist ein bisschen – na, unanständig ist es nicht, aber so anrüchig, ja. Es ist ein bisschen schmuddelig, man fragt sich immer, an welcher Stelle wird es kriminell oder ist inkriminierbar. Das hängt natürlich von Schirrmachers Reaktionen ab. Wenn er sagt, ich bin hier in diesem Schlüsselroman erkennbar und mit Eigenschaften ausgestattet, die meinen Ruf schädigen, könnte er Persönlichkeitsrechte geltend machen, dann ging das den Weg alles Maxim-Biller-haften wie Leyla und ähnliche Großprobleme. Das sieht aber nicht danach aus, dass das passiert – wenn er gescheit ist, lässt er es sein und lässt es ins Leere laufen. Aber man darf vermuten, dass der Verlag und dass der Autor darauf spekuliert haben, dass die Sache aufgedeckt wird. Also man spürt doch sehr deutlich den Willen, den Markt aufzurollen und, ganz blöd gesagt, auch mal Geld zu machen, also große Aufmerksamkeit zu generieren und Geld zu generieren. Und ich finde, das ist ein relativ schäbiger Weg, das zu tun, aber es ist natürlich auch ein bisschen eine Wiederholung damals des Walser-Romans "Tod eines Kritikers" gegen, in Anführungsstrichen, Marcel Reich-Ranicki. Also es ist wirklich eine Literaturbetriebsatire aus der Entfernung gesehen, und aus der Nähe hat es erst mal ein Rüchlein.

    Köhler: Sagt Hubert Winkels über die Longlist zum Buchpreis 2012 und einige Bosheiten, alte Rechnungen und Racheakte, die als Schwedenkrimi daherkommen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.