Donnerstag, 28. März 2024

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Winterschlaf
Tiere im Energiesparmodus

Siebenschläfer, Igel und Bär halten Winterschlaf, um in der unwirtlichen Jahreszeit Energie zu sparen. Jetzt im Frühling werden die Winterschläfer hierzulande dann wieder aktiv. Das Phänomen Winterschlaf ist allerdings viel komplexer und rätselhafter als gedacht.

Lennart Pyritz im Gespräch mit Uli Blumenthal | 11.04.2017
    Die Draufsicht auf eine junge Haselmaus, die ihren Winterschlaf auf dem Waldboden zwischen Blättern verbringt.
    Eine junge Haselmaus verbringt ihren Winterschlaf auf dem Waldboden zwischen Blättern. ( imago/alimdi)
    Uli Blumenthal: Herr Pyritz, was sind denn klassische Irrtümer beim Thema Winterschlaf?
    Lennart Pyritz: Erstmal ist schon der Begriff Winterschlaf irreführend: Dieses Herunterfahren des Stoffwechsels zeigen Tiere nicht nur saisonal im Winter bei Kälte, sondern auch flexibel bei Dürre oder Nahrungsknappheit. Das hält dann auch nicht immer monatelang an, sondern bei einigen Arten nur wenige Tage oder Stunden. Deswegen benutzen Wissenschaftler einen allgemeineren Begriff für diesen Energiesparmodus, nämlich Torpor – lateinisch für Erstarrung. Geht ein Tier nur kurz in diesen Zustand, spricht man entsprechend von Tagestorpor oder Tagesschlaf-Lethargie.
    Dahinter verbirgt sich auch kein gemütlicher Schlaf. Die Tiere fahren ihren Stoffwechsel teils so weit herunter, dass sie Körpertemperaturen nahe dem Gefrierpunkt erreichen. Gartenschläfer kühlen sogar auf minus ein Grad Celsius ab.
    Der Tierphysiologe Gerhard Heldmaier von der Universität Marburg hat so einen ausgedehnten Torpor am Beispiel der Winterlager von Murmeltieren im Interview so beschrieben: Zwei Meter unter der Erde, ohne weiche Einstreu, zum Teil umgeben von verstorbenen Artgenossen aus dem Vorjahr – also im Grunde lebendig begraben.
    Vögel und Säugetiere können ihre Körpertemperatur selbst steuern
    Blumenthal: Sie haben gesagt, dass Tierarten in ganz unterschiedlichen Situationen in Torpor gehen können. Wie verbreitet ist das Verhalten insgesamt?
    Pyritz: Grundsätzlich spricht man nur bei Säugetieren und Vögeln von Torpor – also bei Tieren, die ihre Körpertemperatur aktiv regulieren können. Aber unter denen können das sehr viele: Bei den Vögeln zählen zum Beispiel Kolibris und Mauersegler dazu oder die nordamerikanische Winternachtschwalbe. Und bei Säugetieren haben Forscher inzwischen in mehr als der Hälfte aller Ordnungen Arten gefunden, die das machen.
    Und die Liste wird immer länger – dank moderner Technik, mit der Körpertemperatur und Sauerstoffverbrauch von Tieren im Freiland gemessen werden können. Solche Messungen haben zum Beispiel gezeigt, dass selbst Mausmakis und Fettschwanzmakis in Madagaskar, Buschbabys in Afrika und Zwergloris in Vietnam – also Primaten in warmen Weltgegenden – in Torpor gehen, wenn die Lebensbedingungen ungünstig werden. Die Arten sind zwar schon lange in Gefangenschaft beobachtet worden – dort haben sie das Verhalten aber einfach nie gezeigt.
    Blumenthal: Inwieweit unterscheidet sich dieser Torpor-Zustand von dem, was eine Schildkröte macht, die bei Kälte starr und inaktiv wird?
    Pyritz: Da ist der entscheidende Unterschied der eben schon einmal kurz erwähnte: Vögel und Säugetiere können ihre Körpertemperatur selbst steuern und über Stoffwechselaktivität von innen Wärme bilden, auch wenn die Temperatur im Winterschlaf oder Torpor zu tief fällt und zum Beispiel das Erfrieren droht.
    Viele Fische und Reptilien, zu denen auch Schildkröten zählen, können das nicht. Bei denen hängt die Körpertemperatur maßgeblich von der Umgebungstemperatur ab: Wenn es kalt wird, kühlen diese Tiere mit aus und müssen warten, bis sie über die Außentemperatur wieder aufgewärmt werden. Bei extremer und lang anhaltender Kälte können die Tiere dabei auch erfrieren.
    Generell spricht man bei dieser Anpassung nicht von Torpor oder Winterschlaf, sondern von Kälte- oder Winterstarre.
    Für die Tiere natürlich eine körperliche Extremsituation
    Blumenthal: Vögel und Säugetiere schalten also im Torpor oder Winterschlaf ihren Stoffwechsel gezielt auf Sparflamme, um Energie zu sparen. Welche Folgen hat das?
    Pyritz: Das ist für die Tiere natürlich eine körperliche Extremsituation. Die meisten wachen auch immer wieder kurz aus dem Torpor auf und erwärmen sich. Da gibt es Hinweise darauf, dass dadurch das Immunsystem für kurze Zeit aktiviert wird. Andere Forscher gehen davon aus, dass die Tiere aufwachen, um Verschaltungen zwischen Nervenzellen wiederherzustellen oder lebenswichtige Stoffwechsel-Produkte zu erneuern, die im Torpor verloren gehen.
    Außerdem erholen sich die Tiere. Das mag paradox klingen, aber Winterschlaf ist kein Schlaf. Nach einer längeren Torpor-Phase haben die Tiere vielmehr ein Schlafdefizit und wachen auf, um zu schlafen.
    Zu den langfristigen Folgen gibt es auch Studien: Einer zufolge sind Säugetiere, die Torpor zeigen, seltener vom Aussterben bedroht als solche, die das Verhalten nicht zeigen. Dahinter könnte stecken, dass Torpor hilft, auch plötzlich auftretende ungünstige Lebensbedingungen auf Sparflamme zu überstehen.
    Blumenthal: Weiß man denn, wie die Tiere ihren Stoffwechsel auf Sparflamme schalten?
    Pyritz: Untersuchungen haben gezeigt, dass das Verhältnis der Tag-Nacht-Längen oder die Nahrungsverfügbarkeit äußere Auslöser für ein Tier sein können. Aber welche Prozesse dann in dessen Körper ablaufen, ist noch weitgehend rätselhaft.
    Allem Anschein nach stecken keine speziellen Winterschlaf-Gene dahinter. Das scheint also ein evolutiv sehr altes Verhalten zu sein, für das keine speziellen Eigenschaften im Vogel- oder Säugetierkörper notwendig sind.
    Das Thema weckt große Hoffnungen bei Forschern
    Blumenthal: Heißt das, dass die Fähigkeit zum Winterschlaf auch in uns Menschen schlummert?
    Pyritz: Ausgeschlossen ist es zumindest nicht. Tatsächlich gibt es eine Arbeitsgruppe zum Thema Torpor bei der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA. Deren Vision ist es, irgendwann Astronauten auf dem Weg zum Mars gezielt in Torpor zu versetzen. Das würde eine Menge Lebensmittel und Treibstoff sparen.
    Es gibt aber auch Forscher, die da einfachere Mittel sehen. Thomas Ruf von der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat zum Beispiel einmal in einem Gremium der ESA gesagt: Statt eines großen Mannes wie Alexander Gerst, der ja 2018 Kommandant der ISS werden soll – könne auch eine kleine Frau als Astronautin ins All geschickt werden. Die hätte einen wesentlich niedrigeren Energie-Umsatz, wodurch sich unter Umständen genau so viel Energie sparen ließe wie ein Bär im Winterschlaf.
    Das mag etwas flapsig formuliert sein, das Thema wird aber in der Tat kontrovers diskutiert und weckt bei einigen Forschern große Hoffnungen. Übrigens auch bei Medizinern, die Unfallopfer oder Organe in so einen Energiesparmodus versetzen wollen, bis die Notaufnahme erreicht bzw. die Zeit für eine Operation gekommen ist.
    Mehr zum Thema auch in der Sendung Wissenschaft im Brennpunkt am Karfreitag