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"Wir alle benutzen ja amerikanische Software"

Die meisten deutschen Unternehmen hätten nicht damit gerechnet, auch von den USA ausspioniert zu werden, sagt Anton Börner, Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes. Das sei nun anders. Ein Problem sei nur, dass ein großer Teil der benutzten Programme aus den USA komme und deshalb nicht sicher vor Ausspähungen sei.

Anton Börner im Gespräch mit Silvia Engels | 30.10.2013
    Silvia Engels: US-Präsident Obama bemüht sich also, den diplomatischen Schaden infolge der NSA-Spähaffäre verbal etwas einzugrenzen. Derweil haben amerikanische Geheimdienstverantwortliche im US-Kongress eher das Gegenteil getan und ziemlich offensiv ihr eigenes Vorgehen verteidigt, und das, obwohl EU-Vertreter derzeit in Washington ein rasches Ende der Ausspähungen fordern.

    Eine Kanzlerin, ein US-Präsident und ein Handy standen bislang im Mittelpunkt der Affäre um mögliche US-Abhöraktionen. Nun verteidigen sich die US-Geheimdienste, wir haben es gerade gehört, und auch dieses Hin und Her kann Folgen haben, zum Beispiel auf die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Am Telefon ist Anton Börner, er ist Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes. Guten Morgen!

    Anton Börner: Guten Morgen!

    Engels: Leiden die deutschen Firmen unter der schlechten Stimmung im bilateralen Verhältnis?

    Börner: Na ja, Firmen leiden immer, wenn es zwischen Handelspartnern eine schlechte Atmosphäre gibt. Aber das ganze Thema ist viel tiefer, als das momentan hochgekommen ist. Industriespionage ist ein Thema, mit dem wir uns ja seit ewigen Zeiten herumschlagen müssen, und es sind ja nicht nur die USA, die uns da ausspionieren. Es sind andere Staaten, wenn wir an China denken, Russland. Das gehört, wenn Sie so wollen, zum unternehmerischen täglichen Leben, wenn man in sensitiven technologischen Bereichen tätig ist, und die deutsche Wirtschaft als sehr hypermoderne Wirtschaft ist fast überall in solchen Bereichen tätig. Dadurch sind wir natürlich interessant, weil andere Länder dann ja Milliarden von Entwicklungskosten sparen, was definitiv auch der Fall ist, wenn man Konstruktionspläne, Ideen, unternehmerische Entscheidungen einfach absaugt und abgreift.

    Engels: Dann sehen wir mal genau auf das Thema Wirtschaftsspionage, das Sie ansprechen. Haben die Firmen derzeit zu sehr in Richtung Osten, in Richtung China geschaut und waren Richtung Westen, Industriespionage aus den USA, vielleicht zu gutgläubig?

    Börner: Ich glaube, ja, das kann man sicher so sagen, dass wir in erster Linie nicht an die USA gedacht haben. Das ist jetzt wieder unterschiedlich. Wenn man in ganz bestimmten Bereichen wie Rüstung oder Raumfahrt oder Mikrotechnologie, Nanotechnologie tätig ist, ist das sicher ein anderes Thema. Da war irgendwie schon klar, dass die USA da auch hochgradig interessiert sind an den Dingen, die bei uns in den Entwicklungsabteilungen laufen. Aber das Problem ist ein vielschichtiges. Wir haben ja heute in einer computervernetzten Welt im Grunde genommen eine Situation, dass jeder mit jedem irgendwo vernetzt ist und dass jeder mit seinem Laptop oder selbst mit seinem iPhone, mit seinen E-Mails, wenn er auf Reisen ist, immer den halben Betrieb mit dabei hat. Da fängt das Problem an. Wir wissen schon seit vielen Jahren, wenn wir nach Ostasien reisen – das muss jetzt nicht immer China sein, da gibt es auch noch andere Staaten -, dann den Laptop im Zimmer hat und den selbst im Hotelsafe einsperrt, dass man nicht sicher ist, dass in der Nacht oder während man bei einer Sitzung ist jemand kommt und einfach die Daten runterkopiert. Die Geheimdienste, wie wir ja jetzt wissen, haben ja so ausgefeilte Methoden, dass sie so primitive Dinge wie Runterkopieren gar nicht machen müssen, sondern dass sie ohnehin wissen, was drauf ist.

    "Wir wissen noch nicht genau, wie wir damit umgehen"
    Engels: Da sprechen Sie es an. Da ist doch jetzt auch die Frage, wenn ich in meiner Firma mit US-Software arbeite und darüber hinaus noch US-Server nutze, weil das ja auch im Alltag, wenn man zuhause ist, gar nicht zu vermeiden ist, ist das ja jetzt eine Sicherheitslücke. Sehen Sie hier ein Umdenken deutscher Firmen?

    Börner: Umdenken ja. Das Problem ist immer nur: Wir alle benutzen ja amerikanische Software. Es sind ja nicht nur die Firmen, jeder Private trägt irgendeinen Software-Teil mit sich herum, der aus USA kommt und dort auch gepflegt wird. Und wenn Sie nur an eine Release-Änderung denken, aktualisierte Fassung herunterladen, Knopf drücken, dann ist es schon passiert. Und Sie wissen auch gar nicht, was da alles heruntergeladen wird. Ich glaube, das ist ein Thema, mit dem wir uns intern in den Betrieben viel, viel mehr beschäftigen müssen, und zwar jetzt nicht nur in der Spezialabteilung, sondern die Aufgabenstellung ist, das in alle unsere Mitarbeiter hineinzubekommen. Aber das hat natürlich Grenzen, weil sie ja mit Kunden kommunizieren, mit Lieferanten kommunizieren, auch im Freundeskreis. Sie sind ja praktisch immer da, sind immer vernetzt und Sie haben immer irgendein elektronisches Gerät in der Tasche, das wir nicht ausschalten können und auch nicht tun, auch nicht wollen, weil es ja auch bequem ist, ein Handy dabei zu haben oder ein iPhone, ist keine Frage.

    Das ist eine neue Welt. Ich glaube, man muss es so drastisch sagen: Es ist eine neue Situation, es ist eine neue Welt und wir wissen noch nicht genau, wie wir damit umgehen. Gut an der ganzen Geschichte ist, dass alle aufgeschreckt sind bis zur Bundeskanzlerin. Jeder weiß jetzt, Achtung, da muss sich was tun. Die Erfahrung in der Geschichte zeigt: Wenn eine globale Bedrohung bekannt ist, dann hat man sich zusammengefunden und hat immer irgendwelche Gegenmaßnahmen entwickelt. Das dauert eine gewisse Zeit, aber da, glaube ich, ist jeder von uns jetzt sensibilisiert, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, die Europäer müssen was tun.

    Engels: Das könnte möglicherweise auch dazu führen, dass die Europäer und die europäischen Firmen eigene sichere Software und eigene Server entwickeln?

    Börner: Ja und nein, weil wir in Europa ja auch nicht geschlossen auftreten. Wenn Sie die Diskussion der vergangenen Wochen genau verfolgt haben, dann hat Frankreich mit USA eine eigene Geschichte, England sowieso, Frankreich und England sind große Teile Europas. Wie kann man die einbinden? Wollen die überhaupt eingebunden werden? Wird da was Gemeinsames gehen, das dann verlässlich ist? Offen sagt natürlich jeder, ja, ja, aber die Frage ist, was passiert wirklich, und da sind noch sehr, sehr viele Stolpersteine auf der Straße. Da habe ich eher Sorge, dass das nicht so einfach geht. Ich denke, jedes Unternehmen muss für sich selber schauen, welche Sicherheitsmaßnahmen kann es machen, was ist auch vertretbar. Jetzt bei Frau Merkel war es ja deutlich: ein sicheres Handy. Aber das ist ausgesprochen unbequem und kompliziert zu handhaben und dann legt man es halt weg. Und so geht das auch in den Unternehmen. Man geht dann zum einfacheren Weg und dann hat man die Lücke schon wieder aufgemacht.

    Engels: Herr Börner, Sie sprechen aber auch durch diese Ausspähaktionen von einer neuen Bedrohung. Welche politischen Folgen sollte das denn haben? Gestern sah ja EU-Justizkommissarin Reding beispielsweise das geplante transatlantische Freihandelsabkommen in Gefahr. Sollte man die Verhandlungen aussetzen?

    Börner: Nein, unter keinen Umständen. Bedrohung heißt ja nicht, dass ich nicht Geschäfte mit einem Partner mache, vor dem ich mich auch irgendwo schützen muss. Das wäre der völlig falsche Weg. Dadurch wird die Weltwirtschaft insgesamt leiden. Wir leiden massiv darunter, die Amerikaner würden leiden, also das wäre eine wirkliche Verlustsituation für alle, von Asien bis über Russland, Europa und China. Das darf unter keinen Umständen passieren.

    Engels: Welches wäre denn dann ein Druckmittel?

    Börner: Was man muss: Man muss beiden Seiten klar machen, wo die Grenzen tolerabel sind. Sicher sind sie tolerabel bei der Terrorismusprävention. Da, glaube ich, brauchen wir uns nicht drüber unterhalten, dass die NSA Deutschland geholfen hat, Attentate zu verhindern. Auch in Frankreich und England ist klar, liegt auf der Hand: Dass man das nicht abbrechen darf, ist auch klar. Sondern man muss irgendwo Spielregeln formulieren unter Freunden und sagen, so weit gehen wir, freiwillige Selbstbeschränkung heißt das Wort, und dann vor allem Transparenz zu schaffen unter den Partnern, unter den Sicherheitspartnern, dass man weiß, okay, bis dahin können wir uns verlassen, da passiert nichts, und darüber, da ist halt dann freie Spielwiese. Das ist das Erste.

    Das zweite ist: Es ist auch eine technische Aufgabe, nationale Aufgabe. Wenn die Europäer sich nicht einigen, muss man es national machen. Welche technischen Mittel haben wir? Was können wir realistisch machen? Schulungen in den Unternehmen durchführen, Begleitung des Staates, die Sicherheitsorgane sensibilisieren, auch dort Abteilungen aufbauen. Die Chinesen haben beispielsweise eine riesige Cyber-War-Truppe, wir haben eine Minitruppe von ein paar Leuten, ob man da von staatlicher Seite, von den Sicherheitsorganen umstrukturieren muss, mehr investieren muss in diesen Bereich, mehr aufklären muss, mehr Transparenz schaffen, mehr Netzwerke schaffen, wo man sich austauscht, auf Verbandsebene beispielsweise, dass man auch berichtet, welche Erfahrungen man hat, weil jede Erfahrung bringt einen Entwickler wieder weiter, da einfach solche Strukturen aufbauen. Und natürlich die rechtliche Seite massiv bringen und ächten, weltweit ächten, wenn was hochkommt, nicht runterkehren, na ja, da sagen wir nichts, sondern auf den Tisch und sagen, das geht so nicht, Freunde, das müsst ihr sein lassen. Die Ächtung ist etwas sehr Wichtiges und wirkt ganz gewaltig.

    Engels: Anton Börner war das, der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes. Wir sprachen mit ihm über mögliche Folgen der NSA-Affäre für die Wirtschaft. Vielen Dank für das Gespräch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen
    Firmen leiden immer, wenn es zwischen Handelspartnern eine schlechte Atmosphäre gibt, sagt Börner. (dpa / Tim Brakemeier)