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"Wir alle erleben schlimme Zeiten"

Mit 14 Romanen in gut 20 Jahren gehört Paul Auster zweifelsohne zu den produktivsten amerikanischen Autoren, der allerdings im eigenen Lande weniger gilt als in Europa. Nach einigen Bänden Lyrik, die keiner kaufen wollte, schaffte er mit seinen Romanen Anfang der 90-er Jahre den Durchbruch. Allerdings war Paul Auster auch stets von Filmen fasziniert, hat nicht nur eigene gedreht, sondern auch für mehrere Regisseure Drehbücher geschrieben - bei seiner sehr bildhaften Sprache verwundert die Liebe zum Film wenig. Und sie taucht denn auch in seinem jüngsten Roman wieder auf.

Von Johannes Kaiser | 30.12.2008
    Paul Auster ist zudem ein Autor, der sich in mehreren Essays intensiv mit dem eigenen Schreiben sowie Literatur im allgemeinen auseinandergesetzt hat. Er weiß genau, was er tut. So hat er denn auch zu seinem jüngsten Roman 'Mann im Dunkel' einiges zu sagen.

    "Das Buch handelt vor allem vom Krieg. Außerdem geht es um das Innenleben unseres Helden Brill und die persönliche Geschichte seiner Familie, seines Lebens, seiner Kinder, seiner Tochter und seiner Enkelin. Es kümmert sich also gleichzeitig um mehrere Dinge. Es erzählt von den großen Problemen, die sich die Menschen gegenseitig schaffen und von dem kleinen Alltag, wie wir ihn alle kennen. Es handelt von unserer großen Fähigkeit zu lieben, aber ebenso eine Liebe zu zerstören. Es geht einfach, wie soll ich's sagen, um ein ganz normales Leben."

    Man muss allerdings schon ein Schriftsteller wie Paul Auster sein, um aus der alltäglichen Schlaflosigkeit eines ans Bett gefesselten 72-jährigen Literaturkritikers solche Funken schlagen zu können. Und das gelingt ihm in seinem neuen Roman 'Der Mann im Dunkeln' vor allem dadurch, dass er die Geschichte seines Protagonisten August Brill geschickt mit einem halben Dutzend weiterer Geschichten so verschränkt, dass ständig neue Überraschungen auf einen lauern.
    Der Roman beginnt und endet im Bett. In dem liegt seit einem schweren Verkehrsunfall, der ihm die Beine zerschmetterte, August Brill. Er kann nicht schlafen, und so überfallen ihn in der Stille der Nacht die Erinnerungen an schmerzliche und peinvolle Situationen. So gerne er an die glücklichen Momente mit seiner schon vor einigen Jahren gestorbenen Frau Sonia zurückdenkt, so unangenehm gegenwärtig ist ihm aber auch sein damaliges Versagen, als er sie nach 20 Jahren Ehe für eine jüngere Frau verließ. Zwar nahm sie ihn nach Ende der Affäre wieder auf, aber das Schuldgefühl bleibt.

    "Er ist mir sympathisch. Er ist ein einfühlsamer Mensch, wie wir alle von moralischen und ethischen Problemen geplagt. Er ist aber wenigstens in der Lage die Fehler zu erkennen, die er gemacht hat und das quält sich ihn. Er sagt an einer Stelle des Buches im Hinblick auf den Film Tokio Story über eine der Figuren, eine Schwiegertochter, dass sie ein guter Mensch sei. Doch die Guten wissen nie, dass sie gut sind. Deswegen sind sie gut. Sie bestrafen sich die ganze Zeit selbst, schaffen es nie, sich selbst zu vergeben, aber sie vergeben stets den anderen. Nur die Schlechten wissen, dass sie gut sind. Und ich denke, Brill gehört gewissermaßen in diese Kategorie der Guten, die auf sich selbst einprügeln."

    Zu seinen sympathischen Zügen seines 'Helden' Brill gehört auch, dass dem Wunsch seiner Tochter Miriam gefolgt ist und derzeit in ihrem Haus lebt, denn seine Tochter leidet heftig unter Einsamkeitsgefühlen, seit sie ihr Mann für eine jüngere Studentin verlassen hat. Zudem bemüht sich der bettlägerige Exkritiker um seine Enkelin Katya, die den grausamen Tod ihres Freundes nicht überwinden kann, der im Irak verschleppt und von Terroristen hingerichtet worden ist. Brill verbringt seine Tage mit ihr vor dem Fernsehen. Sie schauen sich alte Filme an.

    "Für sie ist das eine Art von Flucht. Sie sagt an einer Stelle, dass sie sich diese Bilder anschaut, um sich nicht den anderen Bildern auszusetzen, insbesondere denen aus dem Video, das zeigt, wie ihr Freund im Irak ermordet wird. Sie alle haben es gesehen und es war für alle eine schreckliche Erfahrung, die sie niemals vergessen werden. Sie versucht die Erinnerungen an die wirkliche Welt durch Bilder aus Filmen auszuschalten und macht damit Ähnliches wie Brill, der ebenfalls versucht, seine Erinnerungen an die echte Welt dadurch zu verdrängen, dass er sich selbst Geschichten erzählt. Darin sind die beiden Gefährten."

    Um nicht ständig an die Schicksalsschläge zu denken, die seine Familie getroffen haben, erfindet sich der Erzähler Brill eine Geschichte. Sie soll seinen Geist beruhigen und ablenken. Dazu ist sie allerdings wenig geeignet.
    Ihre Hauptperson ist der 31-jährige Zauberer Owen Brick, der sich sein Geld mit Auftritten bei Kindergeburtstagen und ähnlichem verdient. Eines Morgens erwacht er allerdings in einem Erdloch. Er weiß weder, wie er dahin gelangt ist noch kennt er die Uniform, die er trägt. Als ihn ein anderer Uniformierter aus der Grube befreit, erfährt er, dass er mitten im zweiten amerikanischen Bürgerkrieg gelandet ist. Er versteht die Welt nicht mehr. Seine absurde Situation ist für Paul Auster durchaus als Metapher auf die derzeitige politische Situation Amerikas zu verstehen.

    "Dieses parallele Amerika, das Brill erfindet, ist mein entsetzter Kommentar zu den Wahlen von 2000 in Amerika, denn Al Gore ist als Präsident gewählt worden und jeder weiß das. Er hat nicht nur die Bevölkerungsmehrheit gewonnen, die irrelevant ist, er hat auch in Florida gewonnen und durch legale politische Manöver wurde ihm seine Wahl genommen und ich hatte die ganzen letzten acht Jahre dieses irritierende Gefühl, dass wir in gewissem Sinne nicht mehr in einer wirklichen Welt leben, dass einen dieses alptraumartige Wahlurteil in eine Schattenwelt gestoßen hat, die wir nicht gewollt, um die wir nicht gebeten haben. Brill nun denkt sich aus, dass die Empörung der Amerikaner so groß ist, dass sich bestimmte Staaten von den USA trennen und damit einen Bürgerkrieg auslösen. Natürlich ist das reine Phantasie, klar. Das wird niemals geschehen, aber gleichzeitig glaube ich, dass Amerika derzeit so gespalten, so entzweit ist, dass wir uns in gewissem Sinne in einem Bürgerkrieg nicht der Kugeln, sondern der Ideen, der Worte befinden. Die kulturellen Unterschiede sind so grundlegend, dass die beiden Seiten nicht mehr miteinander kommunizieren können. Wir besitzen zwei verschiedene Weltanschauungen, die in einem einzigen Land nebeneinander koexistieren, ohne dass es zwischen uns auch nur irgendeine Gemeinsamkeit gibt."

    In Paul Austers Geschichte endet der Ausflug des Zauberers in die Parallelwelt tödlich. Man verlangt von ihm, den Urheber dieses Bürgerkriegs zu töten, also den Literaturkritiker, dessen Phantasie er entsprungen ist. Nur so könne der beendet werden. Falls Owen sich aber weigert, droht man ihm, seine Frau umbringen. Das moralische Dilemma ist groß, doch Owen Brick bringt es nicht über sich, August Brill zu töten. Lieber stirbt er selbst beziehungsweise Brill lässt ihn im Kugelhagel des Krieges sterben.
    Dieses Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen, wie es Paul Auster schon immer geliebt hat, erinnert stark an den vorangegangenen Roman 'Reisen im Skriptorium', ebenfalls ein relativ schmales Buch. Auch in ihm erfindet sich ein alter Mann in einem Raum eingeschlossen eigene Welten und spürt seinen schwindenden Erinnerungen nach. Viele kleine Geschichten lösen einander ab. Es gibt keinen großen geschlossenen Erzählstrang, keine wirkliche Handlung. Der neue Roman 'Mann im Dunkeln' setzt diese Erzählweise fort.

    "Ich sehe es als einen Roman an, in dem zahlreiche Geschichten erzählt werden. Ich habe das schon ein paar Mal in meinen Büchern getan. Das geschieht instinktiv. Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und das so plane. Diese Ideen entwickeln sich organisch. Das hängt wohl damit zusammen, dass sich auch im Leben Geschichten in Geschichten und Geschichten verbergen und die eine Geschichte die andere nach sich zieht. Wenn sie einen Roman schreiben, kann es interessant sein, Geschichten nebeneinander zu stellen, eine Realität neben die andere, so wie Künstler Collagen bilden, bei denen dann drei, vier, fünf Elemente in einem Rahmen zusammen auftauchen. Mir scheint die Anwesenheit von mehr als einem Element eine Energie hervorzubringen, die die Kraft jeder dieser voneinander unabhängigen Einheiten noch verstärkt. Und in diesem Kraftfeld, das dadurch geschaffen wird, dass die verschiedenen Bilder aufeinanderstoßen, entsteht irgendwie etwas Neues, in anderen Worten, etwas, das größer ist als die Summe seiner Teile."

    Geschickt mischt Paul Auster Wahres und Erfundenes miteinander, denn manche Geschichte kann nur der Wirklichkeit entnommen sein, so abenteuerlich ist sie. Sie alle zusammen, die kleinen und großen Geschichten, die August Brill durch den Kopf flitzen und die er seiner Enkelin Katya erzählt, als die ihn ebenfalls schlaflos mitten in der Nacht besucht, bieten aber nicht nur den beiden Lesern, sondern auch dem Leser indirekt Trost an:

    "Tatsache ist doch, das Leben ist für die meisten Menschen hart. Wir alle erleben schlimme Zeiten, wir alle verlieren Menschen. Es ist nicht so, dass ich irgendwelche ungewöhnlichen Situationen anschneide. Es geht einfach darum, dass die Figuren vom Leben geschlagen worden sind, es hat Narben hinterlassen. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, dem das Leben keine Narben geschlagen hat."

    Paul Austers Buch verkörpert denn auch die klassische Botschaft der Literatur: Geschichten von Leid und Verlust anderer können uns helfen, eigene Schicksalsschlägen leichter zu ertragen.

    Paul Auster: "Mann im Dunkel". Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Rowohlt Verlag, Reinbek.