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"Wir brauchen auf alle Fälle mehr Transparenz"

In Deutschland finden jährlich Hunderttausende Transporte mit radioaktiven Stoffen statt. Die atompolitische Sprecherin (Bündnis 90/Die Grünen) fordert mehr Transparenz und eine "bessere Erfassung und Auswertung der Transportzahlen und Routen". Außerdem plädiert sie für eine Minimierung der Beförderung radioaktiver Stoffe.

Sylvia Kotting-Uhl im Gespräch mit Theo Geers | 14.11.2011
    Theo Geers: 500.000 Transporte mit radioaktiven Stoffen finden jährlich in Deutschland statt, 10.000 davon stehen direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie, und genau diese Transporte gelten als besonders gefährlich. Und auf das daraus resultierende Gefahrenpotenzial weisen heute die Grünen im Bundestag hin. – Am Telefon ist jetzt die atompolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Sylvia Kotting-Uhl. Guten Tag, Frau Kotting-Uhl.

    Sylvia Kotting-Uhl: Guten Tag, Herr Geers.

    Geers: Frau Kotting-Uhl, was wird denn da alles transportiert?

    Kotting-Uhl: Da wird Uran in allen relevanten chemischen Verbindungen transportiert, inklusive Uranhexafluorid, Brennelemente, Abfälle jeglicher Form, kontaminierte Großkomponenten, jede Menge atomarer Müll und sonstige Bestandteile des atomaren Kreislaufs.

    Geers: Wie gefährlich ist denn das? Welche Risiken lauern da?

    Kotting-Uhl: Na ja, bei Uranhexafluorid, das ein hoch giftiger Stoff ist, ist neben der nuklearen Komponente natürlich auch das toxische Potenzial extrem gefährlich. Die gehören mit zu den gefährlichsten Transporten. Aber dann sind natürlich die Brennelemente hochgradig gefährlich. Da kann ein schwerer Unfall passieren, da könnte ein Terrorangriff vorkommen, durch weniger schwere Unfälle kann auch mal die Abschirmung verloren gehen, und vor allem auch bei längeren unplanmäßigen Aufenthalten kann die Belastung durch Direktstrahlung relativ hoch sein.

    Geers: Kann man auch sagen, wo diese Risiken lauern, also welche Regionen in Deutschland besonders betroffen sind, Frau Kotting-Uhl?

    Kotting-Uhl: Ja. Am höchsten, hat sich nun nach unserer gründlichen Untersuchung herausgestellt, ist Niedersachsen belastet mit Transporten. Das liegt zum einen an den Seehäfen dort, zum anderen aber auch an der Brennelementefabrik Lingen. Die ist tatsächlich der häufigste Ausgangs- und Zielort in ganz Deutschland.

    Geers: Nun sind ja bisher Gott sei Dank, muss man sagen, keine gravierenden Unfälle mit Atomtransporten hierzulande passiert. Ist das jetzt aus Ihrer Sicht ein Indiz dafür, dass da alles seine Ordnung hat, dass Verlader, Versender und Speditionen oder auch die Bahn sorgsam mit dieser gefährlichen Fracht umgehen? Oder haben wir einfach nur Glück gehabt?

    Kotting-Uhl: Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, dass es nicht ab und an kleinere Störfälle gab, von denen man nichts wusste. Auch im Umgang mit Atomkraftwerken wird ja durchaus das eine oder andere nicht publik gemacht, wenn es denn passiert ist und nicht gleich in der Öffentlichkeit war. Ich glaube, wir brauchen auf alle Fälle mehr Transparenz und wir brauchen eine bessere Erfassung und Auswertung der Transportzahlen und Routen. Ansonsten können die Verantwortlichen weder dem Gebot der Strahlenminimierung gehorchen, noch wirklich ausreichend auf Transportunfälle vorbereitet sein.

    Geers: Sie sagen, wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen Informationen über die Transporte. Kann es auch sein, dass wir weniger Transporte brauchen?

    Kotting-Uhl: Auch das, selbstverständlich. Das ist natürlich unser Ziel als Grüne, diese Transporte zu minimieren. Deswegen haben wir sie jetzt alle mal zusammengestellt. Man muss sich zum Beispiel wirklich fragen, ob es Sinn macht, wenn eine Fracht abgebrannter Brennelemente erst aus dem Norden Deutschlands, zum Beispiel aus Geesthacht, durch ganz Deutschland nach Kalderasch transportiert wird, um dort vorbereitet zu werden, verpackt zu werden sozusagen, und dann wieder durch ganz Deutschland nach Lubmin ins Zwischenlager transportiert wird. Solche Transporte sind wirklich zu hinterfragen, und das alles haben wir jetzt aufbereitet, haben auch Karten zeichnen lassen, die mal genau zeigen, wo die ganzen Transportlinien sowohl auf der Bahn wie auf der Straße entlanggehen, um dann zu schauen, was kann man da minimieren, was ist vielleicht überflüssig.

    Geers: Sie sagen, wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen auch einen Verzicht auf Ihrer Meinung nach überflüssige Transporte. Was fordern Sie noch?

    Kotting-Uhl: Ich möchte auf alle Fälle auch von Umweltminister Röttgen vor dem Hintergrund der zunehmenden AKW-Stilllegungen, die ja jetzt anstehen, eine umfassende Sicherheitsbetrachtung des Transports von Großkomponenten. Darüber haben wir nämlich noch überhaupt keine Sicherheitsbestimmungen.

    Geers: Nun ist es ja, Frau Kotting-Uhl, schlechterdings nicht vorstellbar, dass man ganz auf solche Transporte verzichten könnte. Vielleicht kommen ja auch in Zukunft noch neue Transporte dazu, die wir derzeit noch gar nicht mitzählen können. Ich denke mal an den Fall, dass wir den strahlenden Atommüll aus der Asse herausholen und dann in ein anderes Bergwerk bringen müssen. Oder denken wir an den Rückbau von Atomkraftwerken. Was glauben Sie, wie lange wird uns das Problem noch erhalten bleiben?

    Kotting-Uhl: Das wird uns noch sehr lange erhalten bleiben, denn Brennelemente zum Beispiel müssen ja auch sehr lange abklingen in den standortnahen Zwischenlagern, bevor sie dann in ein erst noch zu findendes und auszuwählendes Endlager transportiert werden können. Die Asse wird uns zusätzlich rund 10.000 Transporte bescheren, wenn der Müll rückgeholt werden kann, was im Sinne der Sicherheit absolut notwendig wäre. Konrad, wenn es denn in Betrieb genommen wird, wird 25.000 Transporte transportieren. All das haben wir jetzt ausgerechnet im Moment. Und umso wichtiger ist es, dass wir uns wirklich mal klar machen, wo diese Transportlinien sind, wirklich die Länder auch auffordern, darauf zu achten, das auszuwerten und dem Strahlenminimierungsgebot nachkommen. Das geht nur mit Transparenz, deshalb ist diese Transparenz so wichtig.

    Geers: Zu viel und zu riskant. Wir sprachen mit Sylvia Kotting-Uhl von den Grünen über Atomtransporte in Deutschland. Vielen Dank.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.